Die Stadt gestalten

Christian Holl
17. April 2013

Andreas Feldtkeller ist einer der verdienstvollen Vertreter seiner Zunft, als Leiter des Stadtsanierungsamts Tübingen hatte er maßgeblichen Anteil an jenen Projekten, die als bundesweit und international vorbildliche Beispiele der Stadtplanung gelten. Nun hat er eine Schrift Zur Alltagstauglichkeit unserer Städte vorgelegt, in dem für eine kleinteilige Nutzungsmischung geworben wird. Auf Erfahrung wie breite Kenntnis der entsprechenden Literatur gestützt, argumentiert Feldtkeller überzeugend gegen die Ansicht, kleinteilige Nutzungsmischung lasse sich nicht planen oder sei ökonomischer Marktgesetze wegen nicht durchzusetzen. Die Quartiere kleinteiliger Nutzungsmischung, die Stadt der kurzen Wege, für die Feldtkeller plädiert, haben ohne Zweifel viele wesentliche Vorteile: ökologische, soziale, für bestimmte Gewerbeformen kleiner und mittlerer Größe auch wirtschaftliche. Doch fehlt dem Plädoyer eine über das Tübinger Beispiel, das ja nun zur Genüge bekannt ist, hinausgehende Konkretisierung, Feldtkeller bleibt in Fragen von Peripherie und regionalen Zusammenhängen in abstrakten Allgemeinheiten, die schwer auf die konkrete städtebauliche Praxis übertragen werden können; die pauschale Verurteilungen von Großsiedlungen etwa ist wenig konstruktiv (siehe hierzu auch den Leitartikel dieser Ausgabe). Die Forderung, die öffentliche Hand müsse darauf verzichten, zivilgesellschaftliches Engagement durch staatliche Wohltaten ersetzen zu wollen, mutet etwas befremdend an: liegt hier das Problem der aktuellen Diskussion? Die Behauptung schließlich, über die Schwächen funktionalistischen Städtebaus werde der Mantel des Schweigens gehüllt, ist schlicht falsch.

Wir machen die Probe aufs Exempel. Christa Reicher hat im vergangenen Jahr ein Lehrbuch Städtebauliches Entwerfen herausgegeben, das mittlerweile in der zweiten Auflage erschienen ist. Die Qualitäten der Nutzungsmischung werden hier nicht ansatzweise in Frage stellt. Es finde ein Paradigmenwechsel in der Stadtentwicklung statt, "hin zu einer verstärkten Nutzungsmischung auf der Ebene des Quartiers". Das übersichtliche und kompakte Grundlagenbuch (etwa 290 Seiten) wartet mit Qualitäten auf, die es von anderen unterscheidet: Zum einen finden sich darin viele aktuelle Beispiele, teilweise auch aus Wettbewerben, insbesondere den Europan-Konkurrenzen. Die Erfahrung Reichers als Planerin gibt die Gewähr, dass diese Beispiele nicht ihres spektakulären Entwurfs, sondern ihrer Tauglichkeit für aktuelle Fragestellungen wegen ausgewählt wurden. Zum anderen wurde intensiv auf neue Herausforderungen des städtebaulichen Entwerfens eingegangen: dazu gehören prozessuale Planung, die Zwischennutzungen und die Open-Source-Idee einbezieht ebenso wie ein Entwerfen in schrumpfenden Gemeinden, wo mit Rückbau und Umbau operiert werden muss.

Schrumpfen ist in Baden-Württemberg nicht die prägende Herausforderung. Auf dieses Bundesland konzentriert sich das von der LBS-Stiftung Bauen und Wohnen mit Gerd Kuhn, Susanne Dürr und Christina Simon-Philipp herausgegebene Buch Räume zum Leben – Strategien und Projekte zur Aufwertung des öffentlichen Raums. Eingebettet in Einführungen und Überblicksbeiträge, die einen nationalen und internationalen Zusammenhang herstellen, werden die Erkenntnisse über aktuelle Fragen der Planung des öffentlichen Raums anhand von ausführlich vorgestellten Beispielen aus dem Südwesten gewonnen. Interessant auch hier, was dieses Buch von anderen unterscheidet: Hier werden nicht nur die Innenstädte in den Blick genommen, sondern auch periphere Lagen, kleine Städte und Dörfer, es wird die künstlerische Intervention als Aktivierungspotenzial, als Teil eines Prozesses der Wahrnehmung und Behandlung von öffentlichem Raum untersucht. Und auch hier wird für den öffentlichen Raum die Überlagerung von Nutzungen propagiert, mehr noch, das Konfliktpotenzial des öffentlichen Raums wird als dessen Qualität und gesellschaftliche Relevanz benannt. Dass dies gewollt werden muss, aber nicht von allen gewünscht ist, wollen die Autoren nicht leugnen. Umso wichtiger ist es, die zu unterstützen, die sich dafür einsetzen.

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