Die Realität des Banalen
Ausstellungsansicht mit Videoinstallation von Mike Bouchet (Schirn Kunsthalle Frankfurt, Foto: Norbert Miguletz)
"Privat" in der Schirn.
Filme von Familienfesten und alte Fotoalben empfangen den Besucher in der Ausstellung "Privat" der Schirn Kunsthalle in Frankfurt. Keine Kunstwerke, sondern anonyme Alltäglichkeit, wie sie in deutschen Wohnzimmern so oder ähnlich tausendfach aufgezeichnet wurde und vorzufinden war. Das Ende der Ausstellung bildet eine Videoarbeit von Mike Bouchet von 2011. Fast 10.000 kurze Pornofilm-Sequenzen wurden grob gepixelt aneinander gefügt. Die vielfache Enthüllung des intimen Aktes geht in der Fülle der visuellen Eindrücke unter, entzieht sich der Wahrnehmbarkeit, die sie eigentlich herstellen will. Zwischen diesen Polen, der beginnenden Auflösung bürgerlicher Vorstellungen des Privaten durch Film und Foto einerseits und der Banalität des Provokativen in ihrer unendlichen Wiederholung andererseits verorten sich die Arbeiten der Künstler, die in dieser eindrücklichen Schau in Frankfurt zu sehen sind. Sie reichen von Stan Brakhages Dokumentation einer Geburt (Window Water Baby Moving, 1959), Andy Warhols Film des schlafenden Liebhabers (Sleep von 1963) über Polaroid-Bildersammlungen Dash Snows (2001-09), Bilder sich selbst als Star inszenierender Mädchen von Eva Baden (2009-10) und Tracy Enims Frage, warum Journalisten sich um ihre Katze kümmern, während gleichzeitig tausende in Afghanistan in Folge eines Erdbebens sterben (2002).
Ryan McGinley, Marcel, Ann & Coley, 2007 (Ryan McGinley, Foto: Courtesy of the artist, Alison Jacques Gallery, London, Team Gallery, New York, und Bischoff Projects, Frankfurt)
Privat sei, so liest man am Beginn der Ausstellung, schon fast ein Wort aus der Vergangenheit – und mag man dies zunächst für eine Übertreibung halten, so wird man doch nachdenklich angesichts des sozialen Zwanges, der ausgeübt wird, sich wie andere zu verhalten und Persönliches ohne Nachdenken preiszugeben. Vor dem Hintergrund der Unerbittlichkeit des Netzes wird Ai Weiweis Äußerung, der Blog sei die moderne Zeichnung, schon fast naiv; geht es doch nicht nur um die Notation, sondern um deren Verfügbarkeit.
Marilyn Minter, Mom Smoking, 1969-1995. Aus der Serie Corel Ridge Towers, 1969-1995 (Courtesy of Andréhn-Schiptjenko)
Die Kuratorin Martina Weinhart will nicht moralisieren. Zwar fragt sie, ob nach den emanzipatorisch wirkenden Tabubrüchen nicht die Zeit gekommen sei, auf die Untiefen zu achten, die hinter all dieser Transparenz und Sichtbarkeit lauerten. Diese so angenehm vorsichtige Formulierung macht deutlich, dass es vor dem Urteil um anderes gehen muss. Privat und Öffentlich sind idealisierende Extreme, zwischen denen in vielfachen Schattierungen sich die Äußerungen des Individuums, die sozialen Praktiken vollziehen, und lange schon gehen sie in der Stadt und in den Gebäuden fließend ineinander über. Das gilt es zur Kenntnis zu nehmen. Die Stadt durch die Trennung von Privat und Öffentlich konstituiert zu sehen, ist nicht erst in Facebook-Zeiten ein Anachronismus.
"Privat". Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt.Bis. 3. Februar 2013