Zusammenwachsen?
In Halle (Saale) entsteht das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation. Jetzt liegt ein Architekturentwurf vor: Ein Team um Richter Musikowski Architekten hat den Wettbewerb gewonnen. Doch gelingt in Zukunft eine ausgewogenere Geschichtsbetrachtung?
Der friedliche Umsturz in der DDR gelang durch den Mut der Ostdeutschen. Sie riskierten sehr viel, als sie in Massen auf die Straße gingen und sich gegen das SED-Regime auflehnten. Doch über drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung verstimmt viele von ihnen die Aufarbeitung ihrer Geschichte in der Bundesrepublik: Weil der Diskurs über die DDR meist in den Schwarz-weiß-Erzählmustern des Kalten Krieges gefangen bleibt und auf das totalitäre Regime sowie das Scheitern des Staatssozialismus fokussiert, werden die Lebensleistungen der Ostdeutschen kaum gesehen und gewürdigt. Das zeigt sich übrigens auch in der Architekturgeschichte, die sich erst seit wenigen Jahren den Bauten der DDR widmet und die Gestaltungen ostdeutscher Baukünstler würdigt.
Doch wie kann Geschichte aus verschiedenen Perspektiven und weniger politisch überfrachtet erzählt werden? Und welche Lehren lassen sich aus dem Zusammenwachsen Deutschlands ziehen, das sich so viel schwieriger gestaltet als zunächst angenommen? 30 Jahre nach der Wiedervereinigung reifte die Idee, eine Forschungsstelle mit Begegnungszentrum aufzubauen, um die Wendejahre zu würdigen und aus den Erfahrungen von damals zu lernen. Mitte Februar 2023 fiel die Standortwahl auf Halle (Saale), nicht zuletzt wegen der guten Erschließung, denn die Stadt ist an das ICE-Netz der Bahn angeschlossen. Halle setzte sich gegen aussichtsreiche Mitbewerber wie Leipzig, Eisenach oder Frankfurt (Oder) durch.
Entstehen soll der Neubau auf einer Freifläche nördlich des Riebeckplatzes – also genau auf halbem Weg zwischen dem Bahnhof und der historischen Innenstadt. Vor über hundert Jahren war dieser das elegante Eingangstor Halles. Zu DDR-Zeiten entwickelte er sich zum verkehrsreichsten Knotenpunkt des Landes: Während sich unter der Erde mehrere Durchgangstunnel verzweigten, überspannte die erste Hochstraße der DDR den Platz. Anfang der 2000er-Jahre wurde die Anlage mit ihren drei Verkehrsebenen groß umgebaut, bis heute besitzt sie ein sehr urbanes Flair.
Für das Großprojekt stehen 200 Millionen Euro zur Verfügung. Bauherr ist das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Wie genau das Zukunftszentrum bespielt werden wird, ist noch nicht gänzlich klar. Laut Carsten Schneider, dem Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland, wird der Kulturbau Räume für Veranstaltungen und Austausch sowie eine geisteswissenschaftliche Forschungsstelle aufnehmen. In die Ausgestaltung des Programms sind die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Universität Halle federführend eingebunden.
Jetzt ist der Architekturwettbewerb für den Neubau entschieden, den die Bundesregierung ausgelobt hat. 126 Entwürfe hatten Architektinnen und Architekten ins Rennen geschickt, durchsetzten konnten sich Richter Musikowski Architekten und ST raum a. Gesellschaft von Landschaftsarchitekten. Das Berliner Architekturbüro hat bereits das Futurium in der Hauptstadt entworfen. In der Begründung der Jury um die Architektin Jórunn Ragnarsdóttir heißt es: »Insgesamt überzeugt der Entwurf durch eine leicht wirkende und zugleich prägnante Formensprache, die das Zukunftszentrum als identitätsstiftenden Ort mit starker Wirkung im Stadtraum positioniert.«
Tatsächlich wird der zehngeschossige Solitär mit Dachterrasse von einer Zeltdachkonstruktion umhüllt. Der Fußabdruck des Baus ist ein unregelmäßiges Viereck mit konkav geschwungenen Längsseiten. Nach oben hin verjüngt sich der Baukörper, um schließlich mit einem rechteckigen Grundriss zu enden. Auch die seitlichen Kanten sind dabei geschwungen. So erinnern die Fassaden an geblähte Segel. Architekt Jan Musikowski sieht die extravagante Gebäudeform denn auch als Metapher für ein Schiff, das die Menschen einlädt, an Bord zu kommen. Mit seiner markanten Form dürfte das Bauwerk dereinst einen hohen Wiedererkennungswert haben, und aufgrund seiner imposanten Höhe wird es die Skyline der Stadt mitprägen. Das Innere allerdings wird eine gewöhnliche Skelettkonstruktion sein, das zeigen die Visualisierungen. Zwar ist ein solcher Bau frei auszugestalten und flexibel nutzbar. Doch architektonisch werden die Innenräume womöglich nur wenig mit der aufregend geschwungenen Gebäudehülle zu tun haben. Fertig werden soll das Haus 2030 – pünktlich also zum 40. Jahrestag der Deutschen Einheit.
Doch nicht nur hinsichtlich der Architektur bleiben noch Frage offen: Ist es wirklich ein guter Plan, Geschichtsschreibung zu zentralisieren? Und lässt sich der Ost-West-Dialog, den es in Deutschland ohne Zweifel dringend braucht, staatlich arrangieren? Wird das neue Zentrum auch Menschen aus dem Westen der Bundesrepublik anziehen? In Halle sehen viele das Projekt als Chance für ihre Stadt und freuen sich. Der Bürgermeister erhofft sich sogar steigende Steuereinnahmen, die unter anderem für die Sanierung der Infrastruktur gebraucht werden. Doch es gibt auch kritische Stimmen, die meinen, man könne die 200 Millionen Euro wesentlich sinnvoller investieren.