Walter Kaufmann: »Optimierte, ressourcenschonende Tragwerke müssen unser Ziel sein«
Katinka Corts
11. September 2024
Gäste posieren während der Besichtigung im Gebäude HIF der ETH Zürich vor dem Large Universal Shell Element Tester (LUSET). Mit der beeindruckenden Maschine werden Bauteile auf ihre Belastbarkeit getestet. (Foto: © Caglar Onbasi IBK, ETHZ)
Walter Kaufmann forscht an der ETH Zürich zum Trag- und Verformungsverhalten von Konstruktionen aus Stahlbeton. Im Rahmen des IASS-Symposiums zeigte er die neue Versuchshalle des Departements Bau, Umwelt und Geomatik.
Zur Jahresversammlung der International Association for Shell and Spatial Structures (IASS) kamen Ende August Expertinnen und Experten aus aller Welt nach Zürich. Keynote-Speaker wie Anupama Kundoo, John Ochsendorf und Laurent Ney sprachen über ihre Arbeit. Zahlreiche Paper aus laufenden und bereits abgeschlossenen Forschungsprojekten wurden während der viertägigen Veranstaltung präsentiert, und die Lehrstühle des Departements Bau, Umwelt und Geomatik der ETH luden die Gäste ein, ihre Arbeiten kennenzulernen. Angeboten wurde unter anderem ein Besuch der neuen Versuchshalle des Departements, die im frisch umgebauten Forschungs- und Lehrgebäude HIF auf dem Campus am Hönggerberg untergebracht ist.
Der Bau stammt aus dem Jahr 1976 und wurde von 2019 bis 2023 vom einheimischen Büro Stücheli Architekten umfassend saniert. Besonders verzwickt machten die Bauaufgabe die hohen Anforderungen an die technische Ausstattung. Der Erweiterungsbau nimmt moderne Labore auf, beherbergt aber vor allem den sogenannten Large Universal Shell Element Tester (LUSET), an dem Großversuche zur Belastbarkeit von Stahlbeton-Schalenelementen mit Abmessungen von bis zu 2 × 2 Meter und variabler Dicke durchgeführt werden. LUSET besteht aus einem Stahlrahmen mit Außenabmessungen von rund 9.6 × 9.6 × 2.8 Meter. Die 100 servohydraulisch geregelten Pressen der Maschine können je einen Druck von bis zu 1400 kN erzeugen. Neben konventionell bewehrten Stahlbeton-Elementen ermöglicht die Anlage auch Versuche an faserverstärktem Beton, Mauerwerkselementen, Betongelenken und Teilen von Stützmauern, wie Walter Kaufmann erklärt. »Mit dieser und anderen Versuchsanlagen haben wir wirklich ein Privileg am Standort«, freut sich der Professor. »Unsere Studierenden im Bachelor und Master sind sich nicht immer bewusst, wie außergewöhnlich diese Einrichtungen sind«, fährt er fort und ergänzt lachend: »Bei den Doktoranden wird es dann besser.«
»Die ETH verfügt über eine ausgezeichnete Infrastruktur für großmaßstäbliche Versuche, die mich seit meiner Zeit als Doktorand hier faszinieren.«
Die Anlage ermöglicht, neuartige Konstruktionen umfassend zu testen. Davon zeugen zwei nebenan aufgestellte Säulenpaare des Weißen Turms, einer Klanginstallation und Theaterbühne, die demnächst im Schweizer Bergdorf Mulegns aufgebaut wird. Hergestellt wurden sie in einem robotergestützten 3D-Druckverfahren, das am Lehrstuhl für Digital Building Technologies entwickelt wurde. Mit ihm ist es möglich, den Materialverbrauch zu halbieren. Auch wenn für die Bauteile des Turms besondere Materialrezepturen notwendig sind und der technische Aufwand enorm ist, zeigen solche Experimentalbauten einen mögliche Zukunft der Bauwirtschaft.
In der Praxis kostet es heute oft mehr, wie bei den Säulen Material zu sparen. Das klingt zunächst paradox, wird aber schnell verständlich, wenn man sich die aktuellen Arbeits- und Materialkosten vergegenwärtigt. Überdimensionierte Betondecken zu gießen, ist zum Beispiel bedeutend günstiger, als filigrane, geometrisch komplexe Rippendecken zu schalen, um Material zu sparen. »Wir kommen nicht darum herum, die bei uns gängigen Baustoffe weiterzuentwickeln und mit ihnen nachhaltiger zu bauen. Um Klimaneutralität zu erreichen, brauchen wir diese Forschung«, sagt Walter Kaufmann. Material zu sparen, ist für ihn klar der richtige Weg: »Bei Brücken ist das zirkuläre Bauen überhaupt nicht der Fokus, hier benötigen wir vielmehr effiziente Tragsysteme, die möglichst wenig Material verbrauchen und lange halten.« Die nötigen technischen Neuerungen zu entwickeln, dazu möchte der Professor mit seiner Forschung beitragen: »Gelingen uns optimierte, ressourcenschonende Tragwerke, ist der Beton gar nicht mehr der Klimakiller, sondern Teil der Lösung – und das muss doch eigentlich das Ziel sein.«
3D-gedruckte Säulenpaare für den Weißen Turm in Mulegns (Foto: © Caglar Onbasi IBK, ETHZ)
Walter Kaufmann unterrichtet an der ETH Zürich Massiv- und Brückenbau und forscht zu neuartigen Tragwerken. Seit 2016 ist er zudem im Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) Digitale Fabrikation engagiert. Professor Kaufmann ist Vorsitzender der Normenkommission Betonbau des Schweizerischen Ingenieur und Architektenvereins (SIA), Mitglied der fib Commission 2 Analysis and Design und Delegierter der Schweizer Gruppe der fib sowie Mitglied der Arbeitsgruppe Brückenforschung des Schweizer Bundesamts für Straßen (ASTRA).
Das diesjährige IASS-Symposium wurde von Philippe Block gemeinsam mit den Lehrstühlen von Catherine De Wolf, Jacqueline Pauli und Walter Kaufmann organisiert. Wir haben den ETH-Professor im Vorfeld der Veranstaltung getroffen. Zum Interview