Vordenker und Skandalfigur – zum Tod von Léon Krier

Elias Baumgarten | 27. Juni 2025
© World-Architects

Mit 15 begeisterte sich Léon Krier für Le Corbusier. Er kaufte sich sechs Bücher über dessen Werk und wollte sein wie der berühmte Architekt. Doch aus Bewunderung wurde Abneigung: Le Corbusier habe von Urbanismus nichts verstanden, seine Stadtentwürfe seien eine Katastrophe gewesen, urteilte Krier schließlich. Sein Studium an der Universität Stuttgart schmiss er nach kurzer Zeit. Alle Studierenden hätten industrielle Beton-Plattenbauten entworfen, erinnerte er sich in einem Interview mit der Welt zu seinem 70. Geburtstag. Jeder, der »etwas Vernünftiges« gezeichnet habe, sei abgefertigt worden. Krier, der ursprünglich hatte Luftfahrtingenieur oder Pilot werden wollen und durch seinen älteren Bruder Rob zur Architektur kam, lernte lieber bei James Stirling. Anschließend wechselte er zu Josef Paul Kleihues nach West-Berlin. Doch wohl fühlte er sich an der Spree nicht: »Ich habe diese Stadt gehasst vom ersten bis zum letzten Tag«, sagte er über seine Berliner Zeit. »Diese Hässlichkeit! Am Kurfürstendamm wurden Altbauten entstuckt und mit braun-weißen Horizontalstreifen auf Erich Mendelsohn getrimmt.« Der Schmerz über den Verlust historischer europäischer Stadtanlagen sollte Krier als Architekten und Theoretiker prägen. Nach zwei Jahren verließ er Berlin – auch weil seine Entwürfe im Büro auf wenig Gegenliebe stießen. Dafür holte ihn Rem Koolhaas’ Mentor Elia Zenghelis als Lehrer an die renommierte Association School of Architecture (AA) nach London.

Vordenker des New Urbanism

In den 1960er-Jahren kritisierten Architektenkollegen, aber auch Schriftstellerinnen, Soziologen, Aktivistinnen und Philosophen den Städtebau der Architektur-Moderne hart: Jane Jacobs kämpfte mit Protestaktionen und Artikeln gegen die Zerstörung gewachsener Nachbarschaften in New York. 1961 rechnete die amerikanisch-kanadische Aktivistin in »The Death and Life of Great American Cities: The Failure of Town Planning«, ihrem bekanntesten Buch, mit dem modernistischen Städtebau ab. In Deutschland holten Gina Angress, Elisabeth Niggemeyer und Wolf Jobst Siedler 1964 mit »Die gemordete Stadt« zum Frontalangriff auf die Stadtgestaltung der Nachkriegszeit aus. Auch Krier schärfte seine Kritik an den Stadtanlagen der Architektur-Moderne. Die Funktionstrennung machte er für Verkehrschaos und Ressourcenverschwendung verantwortlich, im industriellen Bauen sah er den Grund für uniforme, identitätslose Stadtlandschaften.

Krier entwickelte sich zum Wortführer einer Bewegung, die die Rekonstruktion der europäischen Stadt forderte. Seine Kritik drückte er gerne mit bissigen Zeichnungen aus: Le Corbusier karikierte er 1979 mit einem Kopf aus Fabrikschloten, Flugzeugen, Raketen, Baukränen und der amerikanischen Flagge. In der Öffentlichkeit machte er mit architektonischen Gegenentwürfen Stimmung. Einer der bekanntesten entstand, nachdem Krier von Plänen zur Bebauung des Kirchberg Plateaus in seiner Heimat Luxemburg erfahren hatte. Er entwarf eine neue Hauptstadt Europas. Zwei von Verwaltungs- und Kulturbauten, aber auch Geschäften, Cafés und Restaurants gesäumte Boulevards durchziehen die Anlage. In ihrem Schnittpunkt plante Krier einen großen Gemeinschaftsbau mit riesigem Holzdach. Er teilte die Stadt in überschaubare Nachbarschaften ein, und um die Funktionstrennung der Moderne zu vermeiden, sollten etwa die Banken Wohngeschosse tragen. 

Kriers Ideal war eine polyzentrische Stadt aus Quartieren für maximal 15'000 Menschen. Alle wichtigen Einrichtungen sollten in zehn Minuten zu Fuß erreichbar sein. Und statt industriellen Bauweisen forderte er die Rückbesinnung auf das Handwerk und das Formenrepertoire historischer Bauten.

Verhängnisvolle Bewunderung

1985 veröffentlichte Léon Krier eine Monografie über Albert Speer. Das mit Unterstützung von Hitlers Lieblingsarchitekten und Rüstungsminister entstandene Buch geriet zum Skandal. Denn Krier hatte für den Prachtband mehrere Originalfotografien aus der Zeit des Nationalsozialismus so bearbeitet, dass deren Wirkung noch gesteigert wurde: Über die Große Halle und Hitlers Palast montierte er zum Beispiel einen Sternenhimmel. Weit mehr noch schadete seinem Ruf aber, dass er Speers Architektur von ihrem politischen Kontext löste und in seiner Bewunderung ignorierte, wie eng sie mit Versklavung, Krieg und Völkermord verknüpft ist. 

Der Buchhandel boykottierte »Albert Speer – Architecture 1932–1942«. Krier geriet in Streit mit dem einflussreichen Architekten und Theoretiker Peter Eisenman und verlor den Auftrag zur Erweiterung der National Gallery in London. Er konnte nicht verstehen, wieso sich Freunde und Weggefährten von ihm, dessen Eltern unter der deutschen Besatzung gelitten hatten und der sich selbst als Linken verstand, abwandten. Im erwähnten Interview mit der Welt bezeichnete er Speer als Massenmörder, doch auf die Frage nach den veränderten Bildern meinte er trotzig: »Warum nicht? Eine meiner Montagen haben die Experten gar nicht erkannt.« In ein Modellfoto des Innenraums der Großen Halle hatte er das Publikum einer Mussolini-Rede eingefügt. »Dieses Bild wird viel publiziert, aber ohne Hinweis auf mein Buch.« Aller Kritik zum Trotz: Krier schwärmte auch Jahrzehnte nach dem Skandal um sein Buch lieber über Speers Architektur und machte Verbesserungsvorschläge, statt sich mit dessen Verbrechen auseinanderzusetzen und seine Entwürfe kritisch zu diskutieren.

Poundbury – die traditionalistische Musterstadt

Eine neuerliche Wende erfuhr Kriers Karriere, als er 1988 vom heutigen King Charles III den Auftrag erhielt, die Musterstadt Poundbury in der Grafschaft Dorset zu gestalten. Er gliederte die Anlage gemäß seinen städtebaulichen Idealen in fünf Nachbarschaften und entwickelte eine funktionsdurchmischte Bebauung aus niedriggeschossigen Häusern. Höher sollten nur die Monumente wie die Markthalle werden. Für die einzelnen Gebäude, die in den 1990er-Jahren realisiert wurden, arbeitete der amerikanische Architekt Andrés Duany Gestaltungsvorschriften aus. Poundbury wurde zu einem Schlüsselwerk der Architektur-Postmoderne, und bei den Bewohnenden ist die Planstadt beliebt. Ob Bauten und Stadtanlage allerdings den historischen Vorbildern tatsächlich gerecht werden, sei dahingestellt. 

Léon Krier erhielt für seine Arbeit zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Berliner Architekturpreis, die Jefferson Memorial Gold Medal und den Europäischen Kulturpreis. Der ebenso leidenschaftliche wie umstrittene Architekt wurde 79 Jahre alt.

Vorgestelltes Projekt 

Grüntuch Ernst Architekten BDA

Bürohaus Darwinstraße Berlin

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