Pionierbau am Flughafen Zürich von BIG
Manuel Pestalozzi
29. Juni 2022
Visualisierung © Imigo
Bjarke Ingels hat mit einem internationalen Team den Wettbewerb um die Gestaltung eines Ersatzneubaus für das Dock A des Zürcher Flughafens gewonnen. Das über 500 Meter lange Gebäude soll aus Holz errichtet werden.
Seit den 1950er-Jahren ist der Flughafen Zürich zu einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Europas herangewachsen. Die Anlage ist in einem permanente Wandel begriffen. Fortwährend wurde sie in den letzten Dekaden angepasst und erweitert: Zur Jahrtausendwende wurden das Airside Center und die unterirdische Passkontrolle gebauten. 2010 ging das komplett erneuerte Dock B in Betrieb, zudem wurden das Busgate Süd und das Sicherheitskontrollgebäude errichtet. Fünf Jahre später wurde das Terminal 2 saniert, und im Jahr 2020 wurde die Gepäcksortieranlage durch eine neue, größere ersetzt. Und nun soll das Dock A, das seit 35 Jahren in Betrieb ist, einem Ersatzneubau weichen. Es sei am Ende seines Lebenszyklus angelangt, erklärt die Flughafen Zürich AG dazu in einer Pressemitteilung.
Um die Gestaltung des Nachfolgedocks startete 2020 ein selektives, zweistufiges Dialogverfahren mit nach Fachrichtungen getrennter Präqualifikation. Gewonnen hat ein internationales Team um das bekannte dänische Büro BIG (Bjarke Ingels Group) und die Flughafenexperten von HOK aus St. Louis im US-Bundesstaat Missouri zu dem auch 10:8 Architekten aus Zürich, das Berliner Ingenieurbüro Happold und der Holzbauexperte Pirmin Jung aus dem luzernischen Rain gehören.
Die Gitterschale über dem Atrium der Dockwurzel wird verglast. Der Tower wirkt statisch als tragender Mast. (Visualisierung © Imigo)
Das Projekt mit dem das Team Konkurrenten wie Foster + Partners oder Grimshaw Architects überflügeln konnte, heißt «Raumfachwerk». Der Projektname bezieht sich auf die Konstruktion des über 500 Meter langen Gebäudes: Das Tragwerk besteht aus V-förmigen Holzbindern, einem weitgespannten Holzfachwerkdach und einer Unterkonstruktion aus Stahlbeton. Diese Lösung nimmt laut den Gestalter*innen Bezug auf die jahrhundertealte Tradition des Schweizer Holzbaus und die Formen von Satteldächern in der alpinen Landschaft. Die Struktur kann als modulares System vorgefertigt und vor Ort zusammengesetzt werden. Verbaut werden sollen nicht weniger als 30000 Kubikmeter einheimisches Holz.
Die große Menge an Material sei in der Schweiz vorhanden, versichert der Branchenverband Lignum in einer Mitteilung zum Wettbewerbserfolg, und bei ausreichendem Vorlauf verfüge man auch über genügend Verarbeitungskapazitäten. Der Holzbauingenieur Pirmin Jung teilt diese Auffassung: «Die Schweizer Holzwirtschaft ist heute technologisch und leistungsmäßig in der Lage, ein Großprojekt wie das neue Dock A mit der Wurzel in der gefragten Zeit weitgehend mit Schweizer Holz auszuführen.» Ein Flughafengebäude dieser Grösse aus Holz zu errichten, ist eine Premiere. Darüber freut sich auch Harry Gugger, der Vorsitzende der Jury. Er äußerte sich lobend über die Funktionalität und Flexibilität der Struktur, aber auch über ihre zu erwartenden atmosphärischen Qualitäten.
Harry Gugger, der Vorsitzende der Jury, hält das Projekt für einen Meilenstein nicht nur für den Flughafen Zürich, sondern für die ganze Luftfahrtbranche. (Visualisierung: mit freundlicher Genehmigung von BIG)
Das Bauwerk wird aus den Passagierbereichen des Docks, dem neuen Tower und der sogenannten Dockwurzel bestehen. Bei Letzterer handelt es sich um einen Gebäudeteil mit dreieckigem Fußabdruck, der die Verbindung zum Airside Center und zur Passkontrolle herstellt, die im Zuge der Bauarbeiten erweitert werden soll. In der Dockwurzel werden sich dereinst Geschäfte und Restaurants sowie Lounges mit Blick auf das Vorfeld befinden.
Die hölzerne Gitterschale des Daches geht in den Tower über, der statisch als tragender Mast wirkt. Die doppelt gekrümmte Konstruktion wird im Scheitelpunkt des Atriumdaches verglast, um natürliches Licht in den offenen Innenraum zu bringen. Die übrigen Dachflächen sollen vollständig mit Photovoltaikmodulen eingedeckt werden, die rund zwei Drittel des jährlichen Strombedarfs des Docks decken. Auf diese Weise soll das Gebäude dem Flughafen helfen, seine CO2-Einsparziele zu erreichen. Außerdem ist dies auch im Sinne der Energiestrategie des Bundes, nach der in der Schweiz 2050 rund 34 TWh Strom durch Solarenergie produziert werden sollen.
Der größte Teil der Dachfläche wird mit Photovoltaikmodulen eingedeckt. Diese werden zwei Drittel des für das Dock A benötigten Stroms produzieren. (Visualisierung © Bucharest Studio)
Das heutige Dock A bleibt während des Baus seines Nachfolgers weiter in Betrieb. Denn dort werden heute täglich über 100 Maschinen abgefertigt, was rund einem Drittel des gesamten Passagieraufkommens entspricht. Nach der Fertigstellung des Neubaus nördlich des heutigen Docks wird der alte Bau außer Betrieb genommen und abgebrochen. Zuletzt wird dann die Südseite des neuen Docks vollendet. Die Pläne sehen vor, dass die Nordseite mit Non-Schengen-Gates ausgestattet wird und die Schengen-Gates auf der Südseite bei Bedarf Zug um Zug zu Non-Schengen-Gates umgebaut werden können.
Der Ersatzneubau wird zu einem größeren Hof zwischen den Docks A und B sowie dem Airside Center in der Mitte führen. Dies erlaubt dem Flughafen Zürich eine bessere Organisation der Abläufe auf dem Vorfeld ohne Gegenverkehr. Dass Busse, die Passagiere zu den wartenden Maschinen bringen oder nach der Landung abholen, unter dem Ersatzneubau vorfahren, wird zu einer weiteren Entwirrung führen.
Der Baustart ist für 2030 geplant. Die Investitionen für das neue Dock A inklusive des neuen Towers und der Dockwurzel werden auf rund CHF 700 Millionen geschätzt. Das Projekt ist in vielerlei Hinsicht interessant, und man darf gespannt sein, wie es sich weiterhin entwickelt. Allerdings können auch die ökologischen Vorzüge des riesigen Holzbaus nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Fliegen die Umwelt massiv schädigt. Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der trotz wachsendem Bewusstsein für viele Menschen persönliche Wünsche über allem stehen und Fernreisen oder gar kurzfristige Shopping-Touren nach New York weiter dazugehören.