Mehr Moos!

Manuel Pestalozzi
5. Juli 2019
Fassaden lassen sich mit wirkungsvollen „disruptiven Vertikalbegrünungen“ schmücken und dadurch noch nützlicher machen. (Grafik: artificial-ecosystems.com)

Vom Botanikunterricht her kennen wir Moose als Pionierpflanzen. Die Gründer des Start-up Artificial Ecosystems, Botaniker Dr. Tobias Graf, Wirtschaftsinformatiker Björn Stichler und Bauingenieur Martin Hamp, wissen, dass sie auch Erfahrung mit der nicht vom Menschen verursachten Luftverschmutzung haben. Sie reicht 400 Millionen Jahre zurück. „Damals gab es eine Reihe von Vulkanausbrüchen, bei denen viel Asche in die Atmosphäre gelangt ist. Dies haben sich Moose zunutze gemacht und sich so mit Nährstoffen versorgt“, weiß Dr. Graf. Und sie haben es durch die Jahrtausende nicht verlernt: „Auch heute noch filtern sie Feinstäube und CO2 aus der Luft“, so Dr. Graf in der Pressemitteilung der Technischen Universität Kaiserslautern. Außerdem wachsen sie an zahllosen Stellen in der Stadt – ohne menschliches Zutun, nur weil die ökologischen Bedingungen passen.

Diese Erkenntnisse liegen an der Wurzel vom „BryoSYSTEM“. Es steht für die Begrünung von vertikalen Flächen. Der Name leitet sich von dem lateinischen Wort für Moose, Bryophyta, ab. Das Grundmodul des Systems besteht aus einem rund ein Meter hohen, 15 Zentimeter breiten Betonelement, das nur wenige Zentimeter tief ist. Es kann einfach an Wände von Gebäuden angebracht werden. Am oberen Ende ist eine Solarzelle, am unteren ein Behälter für Wasser, Nahrung und Versorgungstechnik, der in den Boden eingelassen werden kann. Die Betonelemente sind mit einer Oberfläche und einer Struktur ausgestattet, auf denen sich junge Moospflanzen optimal entwickeln können. „Ganz oben befindet sich eine halbrunde Aussparung, über die die Bewässerung stattfindet. Rillen sorgen dafür, dass sich das Wasser gleichmäßig verteilt“, erklärt Martin Hamp das System. 

Die Fassadenelemente müssen nicht vorab bepflanzt werden. Eine Vorbehandlung sorgt dafür, dass sich Moose schnell ansiedeln. Überall in der Luft befinden sich schliesslich ihre Sporen. Diese warten nur darauf, sich niederzulassen und finden im „BryoSYSTEM“ ideale Wachstumsbedingungen vor. „Die Pflanzen sind an das vorherrschende Klima gewöhnt und müssen sich nicht anpassen, außerdem benötigen Moose keine weitere, kostenintensive Pflege wie Pflanzenschutz oder Rückschnitt – was ein Nachtteil von bisheriger Fassadenbegrünung darstellt“, zählt Graf die Argumente für eine Vertikalbegrünung mit Moos auf. Ausserdem sind Moose resistent. Bei kühleren Temperaturen fühlen sie sich am wohlsten. Wenn es ihnen im Sommer zu heiß wird, fallen sie in eine Art Schlaf, eine Dormanz.

Trotzdem überwacht das „BryoSYSTEM“ mittels Sensoren, die Feuchtigkeit und andere Umweltparameter. Die Daten gelangen zu einem Messgerät. „Dieses passt mithilfe eines Algorithmus die Pflanzenernährung je nach Wetterlage an“, so Björnm Stichler. „Außerdem sind die Messdaten spannend für zukünftige Smart-City-Konzepte“, fährt er fort. Ihr System haben die Start-up-Gründer zum Patent angemeldet. Sie sind auf der Suche nach Partnern und ersten Kunden, um Pilotprojekte zu realisieren. Beim Ideenwettbewerb Rheinland-Pfalz haben sie in diesem Jahr den ersten Platz belegt.

Einzelne Elemente des Systems lassen sich auch als Luftfilter am Strassenrand verwenden. (Grafik: artificial-ecosystems.com)

Andere Artikel in dieser Kategorie