Lebenswerte Dichte
Elias Baumgarten
27. November 2024
Blick in den Wohnhof (Foto: © WEISSWERT)
Drei neue Häuser haben Shadi Rahbaran und Ursula Hürzeler in einem Basler Hinterhof gebaut, ein altes nutzten die Architektinnen um. Ihr Ensemble beweist, welch großes Potenzial im Blockrand schlummert.
Lärmig, übel riechend und düster – im späten 19. Jahrhundert geriet der Blockrand in die Kritik. Lieber wollten die Menschen in Gartenstadt-Siedlungen mit freistehenden Wohnhäusern und viel Grün leben. Dabei schien die nur wenige Jahrzehnte zuvor entwickelte Typologie eigentlich ideal für die wachsenden Städte des Industriezeitalters, bot sie doch eine hohe Dichte bei vergleichsweise großen Außenräumen. Doch die Hinterhöfe wurden bald mit Werkstätten und Lagern zugebaut. Heute prägen Blockrandbebauungen dennoch Schweizer Metropolen wie Zürich oder Basel. Und wollen wir unsere Städte in Zukunft dicht und klimagerecht gestalten, haben sie viel Potenzial. Das zeigt der Wohnhof Colmi in Basel: Aus einem verstellten Hinterhof mit teils baufälligen und sogar eingefallenen Gebäuden nahe des Burgfelderplatzes haben Shadi Rahbaran und Ursula Hürzeler einen lebenswerten, grünen Wohn- und Arbeitsraum gemacht.
Über dem erhaltenen Naturkeller eines alten Weinlagers entstanden drei Reihenhäuser in Holzbauweise. (Foto: © Rahbaran Hürzeler Architekt:innen)
Gemeinschaft von vier CharakterenDas Ensemble besteht aus vier Bauwerken: Ein sechsstöckiges Wohnhaus mit Geschäften im Erdgeschoss ersetzt einen Altbau an der Colmarerstraße. Der Hinterhof wird links und rechts von Brandmauern und auf der Rückseite von einem alten Pferdestall gefasst, in dem zuletzt Mopeds geflickt wurden. Die Architektinnen entfernten die Anbauten und ersetzten den Asphalt durch einen Gemeinschaftsgarten. Entlang der vom Hofeingang gesehen rechten Brandmauer bauten sie über dem Naturkeller eines alten Weinlagers drei Reihenhäuser. Links setzten sie einen Gemeinschaftspavillon an die Hofmauer. Den Stall bauten sie zum Wohn- und Atelierhaus um.
Jedes Bauwerk hat ein unverwechselbares Gesicht und einen eigenen Charakter. Gleichzeitig verbindet die Architektursprache von Shadi Rahbaran und Ursula Hürzeler sie zu einem Ganzen: Bullaugenfenster und gräuliche Holzschirme aus mit etwas Abstand gesetzten Latten werden ebenso zum wiederholten Gestaltungsmotiv wie die Pastellfarben an Fassaden, Treppengeländern und Einbaumöbeln. Auch die abgerundeten Ecken des Gemeinschaftspavillons, der Grünflächen und der Balkone stärken den Eindruck einer differenzierten und doch einheitlichen Gestaltung. Liebevoll haben die Architektinnen Details wie runde Absturzsicherungen, Leuchten oder sogar Kleiderhaken gestaltet, die sie als verbindende Elemente einsetzen.
Das Vorderhaus öffnet sich mit großen Fenstern und Balkonen zum Hof. (Foto: © Rahbaran Hürzeler Architekt:innen)
Die durchgesteckten Wohnungen des Vorderhauses verbinden Straßen- und Hofraum. (Foto: © WEISSWERT)
Blick aus dem Vorderhaus Richtung Hof (Foto: © WEISSWERT)
HofwohnenAlle Wohnungen sind zum Hof orientiert: Wenn die Menschen im Vorderhaus kochen, essen oder auf der Wohnzimmercouch entspannen, blicken sie durch große Fenster in den Hof. Ihre Schlaf- und Arbeitszimmer befinden sich auf der gegenüberliegenden Seite der durchgesteckten Wohnungen, wo französische Fenster mit speziellen Klappläden eine Verbindung zum Straßenraum herstellen. Anders als die Neubauten im Hof ist das Haus als filigraner Beton-Skelettbau mit Leichtbaufassaden aus Holz und Metall konstruiert. Sichtbetonoberflächen, filigrane Unterzüge und schlanke Stützen prägen die Innenräume.
Die Reihenhäuser sind klein, doch wirken dank der gelungenen Unterteilung mit Einbaumöbeln geräumig. (Foto: © WEISSWERT)
In den zweigeschossigen Reihenhäusern grenzen die Wohnzimmer direkt an den Hof. Drinnen bestimmen Holzoberflächen die Atmosphäre und das Raumklima. Dank der intelligenten Zonierung mittels Einbaumöbeln entsteht eine Eingangssituation und man tritt nicht direkt in den Wohnbereich. Überhaupt lässt die Einteilung die Räume weit größer wirken, als sie tatsächlich sind. Als Schwelle zwischen Wohnung und Hof wirkt eine Pergola, an der Kletterpflanzen hochranken. So wähnt man sich in den Wohnzimmern nicht den Blicken der Nachbarn ausgesetzt, sondern beobachtet aus einem Gefühl der Geborgenheit das Treiben draußen. Zuoberst genießen die Bewohnenden die Sonne auf einer Dachterrasse mit Pergola. Dabei sehen sie auf das pflanzenbewachsene Dach des eingeschossigen Gemeinschaftspavillons gegenüber. Der Holzbau kann Atelier, Treffpunkt oder Wohnung sein. Mit Vorhängen lässt sich das Innere nach Bedarf unterteilen. Auch hier begegnen die Architektinnen der Kleinheit der Räume mit durchdachten, handwerklich präzise umgesetzten Einbaumöbeln. In ihren vielen Ablagefächern und Schubladen kann alles Erdenkliche verstaut werden – wie in der Kajüte einer Segelyacht.
Der Innenraum des Gemeinschaftspavillons lässt sich durch Vorhänge je nach Bedarf anders einteilen. (Foto: © WEISSWERT)
Eine wieder andere Atmosphäre herrscht im umgebauten Stall, der jetzt ein Wohnatelier ist. Die Räume schöpfen ihre Kraft aus dem kontrastreichen Aufeinandertreffen verschiedener Zeitschichten, von Gebrauchtem und Neuem. Eine feingliedrige neue Stahlwendeltreppe in Pastellrot verbindet die drei Ebenen im Inneren. Unten kann gearbeitet werden, darüber wird gewohnt. Und die von Dachfenstern erhellte Galerie bietet sich als stimmungsvoller Schlafplatz an: Weil die Architektinnen die alten Sparren unter dem neuen Solar-Dach erhalten haben, nächtigt man hier quasi im Dachstuhl.
Eine neue Stahlwendeltreppe verbindet die drei Ebenen im umgebauten Stall. Dort kann nun gewohnt und gearbeitet werden. (Foto: © WEISSWERT)
Die alte Konstruktion des Stalls blieb erhalten. Neue Bauteile ergänzen sie kontrastreich. (Foto: © WEISSWERT)
Versunkener Hof und fliegende KellerDie Grünflächen im Colmi erinnern durch ihre Formen an Vorgärten. Das ist etwas schade, denn so fehlt ein Gemeinschaftsangebot im Freien wie ein Grillplatz, Sitzgelegenheiten oder auch Spielgeräte für Kinder. Dafür verstecken sich großartige Räumlichkeiten für alle unter dem Wohnhof: Die Keller der Reihenhäuser »schweben« in den tief in Basels Untergrund gegrabenen Räumen des alten Weinlagers. Durch ein großes Bullauge blickt man aus einem der neuen Kellerräume in das alte Tiefgeschoss. Ganz unten haben Shadi Rahbaran und Ursula Hürzeler einen Sunken Garden angelegt und einen großen Gemeinschaftsraum eingerichtet. Tageslicht fällt über zwei Lichtschächte stimmungsvoll in die unterirdische Welt, zusätzlich erhellen Spezialleuchten die Räume und setzen das alte Natursteinmauerwerk in Szene. Von der räumlichen Komplexität dieser geheimnisvollen Anlage geht eine enorme Anziehungskraft aus.
Über zwei Lichtschächte fällt Tageslicht in die geheimnisvolle Welt unter dem Colmi. Das Bullauge links gehört zu den Kellerräumen eines Reihenhauses. (Foto: © WEISSWERT)
Im unterirdischen Gemeinschaftsraum (Foto: © WEISSWERT)
Alte Typologie mit ZukunftEinst wurde die Blockrandbebauung entwickelt, um die Wohnungsnot in den schnell wachsenden Städten zu lindern. Jetzt zeigen Shadi Rahbaran und Ursula Hürzeler mit ihrer zeitgemässen Interpretation, welch großes Potenzial die Typologie zum Bau einer dichten, aber durchgrünten Stadt bietet. Erkannt hat das auch die Stadt Basel. Sie nennt die Höfe die »grünen Lungen der Stadtquartiere« und möchte sie schützen: Voriges Jahr hat die Stadtregierung eine Revision des Bau- und Planungsgesetzes angestoßen, die eine weitere Bebauung der Höfe verhindern soll und im Gegenzug Aufstockung und Balkonanbauten großzügiger erlauben würde. Hoffentlich erleichtern die neuen Regeln in Zukunft Hofneugestaltungen wie den Colmi und bauen keine zusätzlichen Hürden auf.