Kinderzimmer bei Vitra

Susanna Koeberle
19. Juni 2019
Eine Wand aus Keramikobjekten prägt den Installationsteil „Tomorrow“. (Foto: Julien Lanoo)

Virgil Abloh designt für Vitra. Das mag zunächst bloss nach einem cleveren Marketingzug klingen. Was es natürlich auch ist. Denn der Mann hat einen gewissen Bekanntheitsgrad, zumindest in gewissen Kreisen. Zum Beispiel ist er bei der jüngeren Generation durch sein 2013 lanciertes Kleiderlabel Off-White bekannt. Seit letztem Jahr ist er zudem Artistic Director der Männerlinie von Louis Vuitton. Mode als Leidenschaft und als Werkzeug der Kommunikation entdeckte Abloh während seines Studiums der Architektur am llinois Institute of Technology. Seither ist er transdisziplinär unterwegs und surft gekonnt entlang den Grenzen der Disziplinen. Virgil Abloh beherrscht das Sampeln von Versatzstücken meisterhaft. Man muss ja nicht immer gleich die Welt neu erfinden. Wieso sollte er sich also nicht auch am Möbeldesign versuchen?

Doch die Angelegenheit ist komplexer. Denn Sampeln ist nicht nur eine anerkannte und in der zeitgenössischen Kunst viel eingesetzte künstlerische Strategie, es ist zugleich eine Praxis, welche ihre eigene Disziplin hinterfragt und ad absurdum führt. Ganz ähnlich klang es bei Abloh anlässlich der Eröffnung seiner Installation bei Vitra: „Müssen wir überhaupt noch designen? Brauchen wir in Zukunft noch Möbel?“, fragte er. Allerdings trug er diese Fragen so vor, als handle er sich um neueste Erkenntnisse aus der Astrophysik. Ganz und gar nicht wollte seine besonnene Art zu sprechen zum Bad-Boy-Image passen, mit dem die Zuhörerin gerechnet hatte (eine gute Gelegenheit, sich an der Nase zu nehmen und vorgefasste Urteile zu revidieren). Zugleich steht seine Arbeitsweise – schnell und per Whats-App – für eine neue Art des kreativen Outputs. Es wird nicht lange getüftelt und optimiert, sondern einfach da und dort „angepasst“. Es geht nicht primär um den Gegenstand an sich, sondern darum, was er kommuniziert. Design als Derivat.

„Anthony“ von Jean Prouvé „gehackt“ von Virgil Abloh. Die Auflage ist auf 100 Exemplare limitiert. (Foto: Marc Eggimann © Vitra)

So nutzt das Transversaltalent seine genreübergreifenden Aktivitäten auch dazu, gesellschaftliche Botschaften zu vermitteln. Damit möchte er offenbar vor allem eine jüngere Generation erreichen und „erziehen“ – in konkretem Fall eine Schnellbleiche in Designgeschichte verpassen. Was sein Bild der heutigen Jugend (und überhaupt unserer Zeit) angeht, ist Abloh durchaus optimistisch. Im Gespräch mit Vitra-CEO Nora Fehlbaum verglich er die Gegenwart sogar mit der Renaissance. Also definitiv kein Kulturpessimist. Seine Installation „TWENTYTHIRTYFIVE“ handelt vom Erwachsenwerden und von den (materiellen, weil ja möbeltechnischen) Bedürfnissen eines Teenagers. Der erste Teil der Installation heisst „Past/Present“ und zeigt eine scheinbar zufällige Ansammlung von Möbelstücken und Gegenständen. Dass man diesen Raum nicht betreten kann, versinnbildlicht unser Verhältnis zur Vergangenheit, das durch Erinnerungen geprägt und demnach entrückt ist. Der zweite Teil, „Tomorrow“, wirft einen Blick ins Jahr 2035. Teil dieser Einrichtung, die Wohn- und Arbeitsraum zugleich ist, sind die drei so genannte „Spin-Offs“, die aus Ablohs Beschäftigung mit der Welt des Möbeldesigns entstanden sind. Insbesondere interessiert sich Abloh für das Werk von Jean Prouvé, nicht nur, was die Ästhetik seiner Entwürfe betrifft. Auch sein Ethos sei ihm nahe, so der Designer.

Das Zimmer eines Teenagers nach Virgil Abloh (Foto: Julien Lanoo)

Seine Reverenz an den Meister ist ein „Hacken“ zweier Entwürfe Prouvés, nämlich der Leuchte „Petite Potence“ aus 1942 sowie des Sessels „Anthony“ aus den 1950er-Jahren. Farblich zieht sich die Farbe Orange bis zum dritten Entwurf, dem „Ceramic Block“. Die aufgetürmten Keramikobjekte bilden in der Installation eine Art Wand, sollen aber sonst als Stauobjekt dienen. Alle drei Stücke sind in limitierte Auflage erhältlich; schon bei der Eröffnung standen die Leute Schlange und sicherten sich zumindest schon das günstigste Stück, das Stauobjekt. Einzelne Fans liessen sich von Abloh nach dem Talk einen Sneaker signieren und so fügte sich Abloh am Ende willig in die Rolle des Stars. Später betätigte er sich auf dem Vitra Sommerfest als DJ, wobei seine DJ-Künste nicht berauschend gewesen sein sollen. Ganz gespannt wären wir zu wissen, wie der Architekt bauen würde. Aber wer weiss, vielleicht stammt der nächste Bau auf dem Vitra Campus von Virgil Abloh?

Architekt, Designer und Künstler in Personalunion: So geht kreativ sein heute. (Foto: Joshua Osborne ©Vitra)

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