Keine Feine Sahne im Bauhaus

Manuel Pestalozzi
26. Oktober 2018
Bild: Wikimedia Commons

Wer bin ich? Was ist für mich zumutbar? Wovor muss ich mich schützen? Nicht nur Menschen, auch Häuser können sich diese Frage stellen. Das heißt, Menschen tun es natürlich für sie. Und plötzlich wird das Haus zu einem Geschöpf mit Bedürfnissen, Pflichten und Abneigungen, die sich in seinen Charakter, seine Identität einschreiben. So begegnen wir, wenn wir durch Siedlungsgebiete spazieren, geduldigen Arbeitstieren, grauen Mäusen, auftrumpfenden Muskelprotzen oder zart besaiteten Primadonnen. Kann sein, dass die Urteile über bestimmte Häuser wie jenes über Menschen infrage gestellt werden, dass sie den Vorwurf auslösen: Du siehst mich nicht richtig, du erkennst nicht, wer ich wirklich bin.
 
Die leidige Geschichte vom Bauhaus Dessau und Feine Sahne Fischfilet dreht sich um solche Interpretationskonflikte. Dass es sie gibt, liegt an der Vergangenheit des Hauses – und wie diese Vergangenheit in der Gegenwart rezipiert und von Fachleuten an die breite Öffentlichkeit weitergetragen wird. Nach dem Ende der DDR wurde der Baukomplex einer Stiftung übertragen,  maßgeblich getragen von der Bundesregierung und dem Land Sachsen-Anhalt. Ihr primärer Auftrag ist es, die Vergangenheit aus der Entstehungs- und Betriebszeit erfahrbar und begreifbar zu machen. Denn die Bauhauszeit ist in Dessau seit 1932 definitiv vorbei, seine Architektur verbleibt als eine sorgfältig restaurierte Mumie, die seit 1996 zusammen mit der Bauhausstätte in Weimar zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.
 
Neues Leben haucht dem Bauhaus seit sieben Jahren das Zweite Deutsche Fernsehen ein; im Format zdf@bauhaus veranstaltet die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt in Dessau regelmäßig Konzerte. Unter dem Motto »die perfekte Verbindung von Schall und Raum« spielen auf der Bauhausbühne Bands aus dem Pop-Segment. Das Bauhaus lässt sich das gefallen, schließlich wird Architektur für einen bestimmten Zweck gebaut – und Räumlichkeiten für Veranstaltungen gehörten zum Programm, das Walter Gropius bis 1926 baulich umsetzte. Für Seminarreisen, Tagungen und Konferenzen bietet die Stiftung übrigens diese Räumlichkeiten ausdrücklich zur Miete an.
 
Bei Feine Sahne Fischfilet, einer Punkband aus Mecklenburg-Vorpommern, gab die Bauhaus-Verwaltung dem ZDF einen Korb. Sie begründete dies gemäß Medienberichten mit den Inhalten der Musikstücke, die Feine Sahne Fischfilet den Ruf einer extremen politischen Haltung inklusive Gewaltbereitschaft eingebracht haben, und mit der Furcht vor gewaltsamen Konflikten, welche der Auftritt im oder ums Bauhaus auslösen könnte. Die erste Begründung weckte wenig überraschend höchste Erregung bei Influencern in Medien und Politik, schnell ertönte die Rede von der Beeinträchtigung der künstlerischen Freiheit und von Zensur.
 
Claudia Perren, die aufgeschreckte Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, bemühte sich in einem Interview mit Zeit Online um eine nachträgliche Korrektur der Begründung des gegebenen Korbs. Nicht die Punkband sei der Anlass für die Absage, es seien die möglichen Proteste gegen sie. Wiederholt betonte sie den Mumien-Charakter der historischen Bauhaus-Anlage. Insbesondere die Unesco-Regeln dienten als Argumente, welche die Verantwortlichen zu ihrem Entschluss bewogen. Eine Unesco-Weltkulturerbestätte bedarfe eines ganz besonderen Schutzes, auch rein physisch, so Perren im Interview, »dafür gibt es sehr strenge Richtlinien. Sie dürfen über unsere Bauhaus-Bühne nicht mal mit kratzigen Schuhen gehen, da darf kein Nagel in die Wand, ohne dass wir das mit der Denkmalschutzbehörde abgesprochen haben. Wenn man das nicht will, dann kann man den Welterbestatus nicht beibehalten. Dazu kann man sich ja auch entscheiden. Das ist aber im Moment nicht die Diskussion.«
 
Unesco versus Punk, weil unvereinbar? Es ist nicht verfehlt, von einer Identitätskrise des Bauhauses zu sprechen. Sie erfasst neben der Architektur auch das Gedankengut, das in ihr verwaltet wird. Über dieses wurde in den vergangenen Tagen sehr viel geschrieben, in der Regel ohne jegliche Würdigung der historischen Zeitumstände. Die Begründung der Absage und deren »Nachbesserung« hat das Profil des Bauhauses leider nicht gestärkt. Und das Vorschieben der Unesco-Regeln verstärkt den Eindruck, dass es sich bei der Anlage um einen alten Schrein, um ein verstaubtes Museumsstück handelt, dem man das Schild »bitte nicht berühren« umhängen sollte. Dass die Epoche der Moderne, die doch einen Aufbruch symbolisiert, hundert Jahre später mit Kleinmut verwaltet wird, ist wirklich bedauerlich. »Klare Kante zeigen«, ist es nicht das, was uns das Bauhaus lehren wollte?
 

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