Fischerkiez als Lehrstück

Manuel Pestalozzi
26. August 2019
Das Ermelerhaus von der Breiten Straße ließ die DDR am Spreekanal mit anderen Bauten in einer „Traditionszeile“ am Märkischen Ufer wiederauferstehen. Es ist das sechste von links. (Foto: Angela Monika Arnold, Berlin/Wikimedia Commons)

Der ausführliche Artikel von Marlene Militz widmet sich dem Umgang mit dem Fischerkiez, der den Zweiten Weltkrieg leidlich gut überstand, dessen Bestand aber dem „Generalplan der sozialistischen Umgestaltung“ im Wege stand. Ab 1964 wurde der gesamte Fischerkiez, darunter 33 Baudenkmale, abgerissen. Stattdessen entstanden bis 1973, so erläutert Militz, sechs 21-stöckige Hochhäuser mit je 240 Wohnungen. Betroffen von diesem Kahlschlag, gegen den Hermann Henselmann, ehemaliger Chefarchitekt des Ostberliner Magistrats und Befürworter eines Erhalts der historischen Bausubstanz, opponierte, war auch das Ermelerhaus an der Breiten Straße, eines der wenigen erhalten gebliebenen Patrizierhäuser Alt-Berlins im historischen Stadtteil Alt-Cölln. Es war von 1952 bis 1960 innen und außen restauriert worden und öffentlich zugänglich.

Das rekonstruierte Ermelerhaus. (Foto: Beek100/Wikipedia Commons)

Nachdem eine in Betracht gezogene Verschiebung wieder verworfen wurde, fiel der Beschluss, das Ermelerhaus und einige andere im Viertel verteilte Gebäude ab- und an anderer Stelle wieder aufzubauen. Ab 1967 entstand die „Traditionszeile Friedrichsgracht“ am Märkischen Ufer, auf der anderen Seite des Spreekanals, auf dem „Festland“, sozusagen. Angesichts des Einsatzes von Beton, der Zerstückelung der historischen Elemente und anderer Eingriffe könne allenfalls von einer historisierenden Neuinterpretation die Rede sein, meint Marlene Militz. Sie findet, der Versuch im Fischerkiez, sozialistische Neugestaltung und den Erhalt historisch wertvoller Bausubstanz in Einklang zu bringen, könne für die aktuelle Debatte betreffend die „Reanimierung historisch dahingeschiedener Bausubstanz“ Anregung sein. Der misslungene Versuch der Traditionszeile solle nicht in immer größerem Maßstab wiederholt werden: Mischwesen zu erschaffen, im Krieg zerstörte Gebäude aus der Versenkung der Geschichte wieder hervorzuzerren sei aus politischer, kunstgeschichtlicher und denkmalpflegerischer Hinsicht geschichtsverloren.

Im linken unteren Bereich des Bildes verläuft die Breite Straße, in der rechten oberen Partie ist die „Traditionszeile“ am Spreekanal erkennbar. (Bild: Google Earth)

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