Die Tragödie der Hajek-Villa

Manuel Pestalozzi
28. März 2023
Mehr und mehr wird die einstige Wohn- und Arbeitsstätte des Künstlers Otto Herbert Hajek zur Ruine. (Foto: © Stadt Stuttgart)

Eigentlich ist dies eine Geschichte jenseits der Architektur. Die Villa an der Hasenbergsteige im Stadtbezirk Stuttgart-West, an einer erstklassigen Wohnlage, ist nicht besonders auffällig. Wer das 1921 fertiggestellte Gebäude entworfen hat, lässt sich nicht ohne weiteres feststellen, in der online greifbaren Liste der Kulturdenkmale ist es im Gegensatz zu verschiedenen anderen Bauwerken in der Nachbarschaft nicht auffindbar. Trotzdem hält der Denkmalschutz ein scharfes Auge drauf. Ein so scharfes, dass der Immobilie dieser Umstand möglicherweise zum Verhängnis wird.

Grund für die Aufmerksamkeit ist sein einstiger Eigentümer und Nutzer. 1967 bezog der Bildhauer, Maler und Grafiker Otto Herbert Hajek (1927−2005) das Haus. Er verwandelte es in ein Gesamtkunstwerk – oder einen Teil davon; seinen Bruder Franz, einen Bauingenieur, ließ er an der Südwestseite des Hauses ein Atelier anbauen, wie es Groß-Künstler wie Hajek brauchen, berichtete 2015 die Wochenzeitung „Kontext“. Der Kubus aus Waschbeton mit Lichtkuppeln ist ein Zweckbau, der keinen wirklichen Bezug zur Villa hat. Der Künstler brauchte ihn, „um die Dinge hängen zu können, die trocknen mussten“, wie sein Sohn der Zeitung erklärte. Doch auch Hajek selbst legte da und dort Hand an und gab dem Ensemble im wahrsten Sinne des Wortes seinen persönlichen Anstrich. Ergänzt wird das Anwesen in direkter Nähe durch zwölf Hajek-Skulpturen. Sie gehören der Stadt und sollen ihren Standort behalten.

Rigider Denkmalschutz statt Oldtimer

Seit dem Tod des Künstlers im Jahr 2005 steht das Haus leer und zerfällt zusehends. Grund dafür ist eine endlose Streiterei um dieses Vermächtnis, mit dem Denkmalschutz als ständigem Protagonisten. Die Erbengemeinschaft – gemäß „Kontext“-Artikel heftig zerstritten – bekundete Mühe, Käufer*innen zu finden. Einem Bericht der SWR Landesschau Baden-Württemberg von 2018 zufolge hätte die Familie Villa und Ensemble gerne zum Museum gemacht, die Stadt Stuttgart habe aber kein Interesse gezeigt. Als bekannt wurde, dass ein Autohändler mit einer Oldtimer-Sammlung einziehen könnte, erhob sich trotz musealen Perspektiven ein derart großer Sturm der Entrüstung, dass dieser sein Angebot sofort wieder zurückzog. Stattdessen rückte 2009 der Denkmalschutz auf den Plan. Er drückte dem Objekt einen „denkmalpflegerischen Bindungsplan“ auf. In ihm waren laut „Kontext“ neben der Außengestaltung des Hauses auch das Atelier, die Küche oder ein 40 Jahre alter Teppichboden enthalten. Auf letzterem sollen Berühmtheiten wie der einstige Bundeskanzler Willy Brandt gewandelt sein.

Die strengen Auflagen schränkten den Kreis potenzieller Käufer*innen weiter ein. Trotzdem ließ sich Markus Benz, der älteste Sohn des Möbelherstellers Rolf Benz, für das Gebäude begeistern. Er wollte mit seiner Familie einziehen. Im Jahr 2013 ging es ernsthaft los mit dem Umbau. Allerdings intervenierte die Denkmalbehörde, da im Inneren Änderungen vorgenommen wurden, welche sie für unzulässig erachtete. Sie erließ eine Rückbauverfügung. Die Arbeiten wurden eingestellt, und die Villa zerfällt seither vollkommen ungeschützt. 2021 berichtete SWR 2 über den aktuellen Stand und gab bekannt, dass sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit diesem Fall beschäftigt. Der bisher letzte Akt in diesem Trauerspiel erfolgte am 24. März, wie eine Mitteilung der Stadt Stuttgart dokumentiert: Baubürgermeister Peter Pätzold hat den Eigentümer der Villa aufgefordert, bis spätestens zum 21. April 2023 einen Bauantrag einzureichen, der die denkmalschutzrechtlichen Belange berücksichtigt. Sollte der Bauantrag mit den besprochenen Inhalten nicht innerhalb der gegebenen First vorliegen, will die Stadtverwaltung die möglichen rechtlichen Mittel zur Anwendung bringen, um das Ziel, die Villa Hajek zu erhalten, auch zu erreichen. 

Ob und wie man den Eigentümer zwingen kann, den früheren Zustand eines in Mitleidenschaft gezogenen Gebäudes auf eigene Kosten zu rekonstruieren, wird möglicherweise Gegenstand von weiteren rechtlichen Auseinandersetzungen sein. Man kann sich fragen, ob die finanziellen Mittel nach der langen Streiterei für die Baumaßnahmen überhaupt noch verfügbar sind. An dieser Stelle sollte daran erinnert werden, dass der Denkmalschutz zwar von Spezialist*innen gehandhabt wird, in seinem Wesen aber ein Dienst an der Öffentlichkeit ist. Falls ein Bauwerk weitgehend musealisiert werden soll, sodass es eine persönliche, individuelle Nutzung nur noch beschränkt zulässt, müsste man es eigentlich zulasten der Öffentlichkeit aus dem Immobilienmarkt nehmen. Das Vorgehen der Behörde rund um die Villa erscheint soweit bekannt als fragwürdig und kontraproduktiv.

Andere Artikel in dieser Kategorie