Wettbewerb zum «Museum des 20. Jahrhunderts» entschieden

Dekorierte Scheune

Carsten Sauerbrei
1. November 2016
Der Blick auf die Neue Nationalgalerie mit dem bisher unbebauten Grundstück für das «Museum des 20. Jahrhunderts» im Berliner Kulturforum. (Bild: Miriam Guterland / CC BY-SA 3.0)

Beim Jubel über den Entwurf des Basler Büros «Herzog & de Meuron» für das «Museum des 20. Jahrhunderts», einen lagerhallenartigen, von innen leuchtenden Baukörper mit durchbrochenen Backsteinfassaden, ist sich die Fachwelt weitgehend einig. Arno Lederer, Vorsitzender des Preisgerichts des zweistufigen Realisierungswettbewerbs, spricht bei der Vorstellung des Gewinners von «einem starken Auftritt» und Kulturstaatsministerin Monika Grütters von einem «grandiosen Entwurf». Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, prophezeit der Bau werde «Geschichte schreiben» und Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, beschreibt den Entwurf als eine «in jeder Hinsicht Zeichen setzende Museumsarchitektur».

«Herzog & de Meuron» gewannen den Wettbewerb mit ihrem Entwurf eines «Hauses aus Backstein». (Bild: Herzog & de Meuron Basel Ltd., Basel, Schweiz mit Vogt Landschaftsarchitekten AG, Zürich/Berlin)

Lagerhalle, Bahnhof oder Tempel?

Gelobt wird am Konzept von «Herzog & de Meuron» vor allem, dass sie mit zwei, das Gebäude mittig querenden Durchgängen in Ost-West- bzw. Nord-Süd-Richtung, ein auch außerhalb der Öffnungszeiten zugängliches Haus schafften und die bisher isoliert voneinander stehenden Gebäude im Kulturforum miteinander verbänden - die Staatsbibliothek mit der Gemäldegalerie und die Philharmonie mit der Neuen Nationalgalerie. Begeisterung ruft auch der Baukörper hervor, der die üblichen Erwartungen an ein Museum enttäusche und die Tradition von Mies van der Rohes und Hans Scharouns Solitären im Kulturforum weiterführe, so Kommentare. «Herzog & de Meuron» selbst beschreiben ihren Entwurf als mehrdeutiges «Haus aus Backstein», das sowohl Lager- oder Bahnhofshalle, Scheune als auch Tempel sei.

Modellfoto des drittplatzierten Entwurfs von «Bruno Fioretti Marquez», Berlin. (Bild: Bruno Fioretti Marquez Architekten, Berlin, Deutschland mit capatti staubach Landschaftsarchitekten, Berlin, Deutschland / Winfried Mateyka)

Verbindungen, die ins Leere laufen

Wenig Neues jedenfalls zeigen die Schweizer mit ihrem Entwurf, bei dem die satteldachbekrönte Backsteinhalle des Vitra-Schaulagers genauso Pate stand, wie das von innen leuchtende «Vogelnest» des Pekinger Olympiastadions. Die Argumente, mit denen die Jury ihre Entscheidung begründete, sind intellektuell nachvollziehbar. Nur schaut man sich die viel gelobten Verbindungsachsen genauer an, stellt man fest, dass sie durch die strikt orthogonale Ausrichtung am Baufeld keineswegs immer auf Eingänge zulaufen, sondern mehrheitlich ins Leere bzw. gegen die Sockel der Nachbargebäude. Und Sympathie für ein Gebäude, das die Neue Nationalgalerie in den Schatten stellt, die historische St.-Matthäus-Kirche erdrückt und bis auf die Backsteinfassaden keinerlei Anknüpfungspunkte im Kulturforum bietet, kann man eigentlich nur hegen, wenn man Anhänger disparater Heterogenität ist.

Mit einer Anerkennung würdigte die Jury die Arbeit von «Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa/ S A N A A», Tokyo. (Bild: Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa/S A N A A, Tokyo, Japan mit Bureau Bas Smets, Brüssel, Belgien)

Provokation statt Weiterbauen

Dabei sprach Monika Grütters zu Wettbewerbsbeginn noch davon, dass es «Persönlichkeiten» brauche, «die in der Lage sind, sich in ein Umfeld mit Mies van der Rohe und Hans Scharoun einzufügen.» Dass es diese Persönlichkeiten im Wettbewerb durchaus gab, zeigt die mit dem dritten Preis ausgezeichnete Arbeit des Berliner Büros «Bruno Fioretti Marquez» bzw. die Anerkennung für die Arbeit von «Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa/ S A N A A», Tokyo. «Bruno Fioretti Marquez» schlagen einen Baukörper vor, der mit seinem Volumen und der Dachform Architekturelemente sowohl von Neuer Nationalgalerie als auch Philharmonie aufnimmt und als freistehender, respektvoll Abstand haltender Solitär, die Scharounsche Stadtlandschaft fortschreibt. Der Entwurf von «S A N A A» wiederum ordnet sich der heutigen Situation völlig unter, indem das Baufeld lediglich gläsern überdacht wird. Beide Haltungen, die des Weiterbauens, und die Haltung, den Status Quo zu veredeln, konnten sich im Wettbewerb, dessen weitere Ergebnisse hier zu finden sind, nicht durchsetzen. Gewonnen hat stattdessen die «Provokation» durch eine frei nach Venturi «dekorierte Scheune». Nur allzu gern würde man jedoch - so wie in Andersens Märchen - rufen: «Der Kaiser ist nackt.»

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