DAM-Preis für „San Riemo“

Manuel Pestalozzi
31. Januar 2022
Der Preisträger passt sich in die sachlich-nüchterne Umgebung der Messestadt Riem ein und fällt dennoch auf. (Foto: © Florian Summa)

„San Riemo“ wurde von 2017–2020 realisiert, nach dem Entwurf einer ARGE mit Summacumfemmer, Leipzig, und dem Büro Juliane Greb, Gent. Der Name des Projekts leitet sich ab von Münchens östlichem Stadtteil Riem, genauer der Messestadt Riem, die nach dem Umzug des Münchner Flughafens ab 1992 auf dessen Areal geplant und realisiert wurde. Der DAM-Preisträger ist im Wohnquartier südlich des Messegeländes gewissermaßen ein Bau der zweiten Generation; das Gebiet sei zunächst noch als zu weitläufig empfunden worden, um ein gemeinsames Quartiersgefühl zu schaffen, steht in der Pressemitteilung zum Preis. Den Wandel in der Wahrnehmung und Attraktivität hätten Baugruppen und Genossenschaften gebracht, die insgesamt mehr als 500 Wohnungen realisiert haben.

Im Erdgeschoss sind zur Straße hin Gewerbeflächen untergebracht. (Foto: © Florian Summa)

Das genossenschaftliche Wohnhaus der Genossenschaft „Kooperative Großstadt“ füllt eine Lücke in der Ecke Heinrich-Böll-Straße/Elisabeth-Mann-Borgese-Straße und steuert 27 Wohnungen an das Quartier bei. Das Projekt für „San Riemo“ erlangte in einem Architekturwettbewerb mit 62 beteiligten Büros den zweiten Rang und erhielt den Zuschlag aus Kostengründen – ein echter Glücksfall, meint der Pressekommentar zum Preis. Diesem Urteil ist beizustimmen, da der eher enge Kostenrahmen in diesem Fall wirklich zu einer Kombination der vorherrschenden Sachlichkeit in der der Messestadt Riem mit einem originellen Raumkonzept führte.

Geschoss um Geschoss bietet das Gebäude unterschiedliche Grundrisstypen. (Plan: © ARGE Summacumfemmer/Juliane Greb)

Das einfache konstruktive System des grundsätzlich scheibenförmigen Volumens, das mit einem kurzen Fortsatz um die Straßenecke gezogen wird, besteht aus einem regelmäßigen Fassaden-Stützenraster und einer Mittelzone mit unterschiedlich breiten Betonkernen, welche die Treppenhäuser und Nasszellen enthalten. Diese Anordnung bietet eine hohe Flexibilität für diverse Grundrisstypen, die geschossweise zur Anwendung kommen. Das Entwurfsteam entwickelte beispielsweise einen Filialwohnungstyp, bei dem die privaten Räume etwas kleiner sind als in konventionellen Wohnungen, wodurch sich die gewonnene Fläche gemeinschaftlich nutzen lässt. Das Nukleuswohnen gilt als die experimentellste Wohnform im Haus: Mehrere Wohnungen geben Flächen in einen Pool, dessen Nutzung neu und wechselnd definiert werden kann. Jede Partei behält aber auch einen individuell bewohnten Nukleus. So entsteht bewegliche Fläche, die untereinander je nach Bedarf dazugenommen oder abgegeben werden kann.

Teilweise ergeben sich ausgedehnte Gemeinschaftsbereiche. (Foto: © Petter Krag)

Im Erdgeschoss stehen an der Heinrich-Böll-Straße Gewerbeflächen zur Verfügung. Dahinter, vom Haupteingang in der Straßenecke erschlossen, erstreckt sich der gemeinschaftlich genutzte Teil des Erdgeschosses über die ganze Länge des Volumens. Von den Bewohnern Lobby getauft, ähnelt der Bereich einer überdachten Spielstraße. Sie bietet mit einer Gemeinschaftsküche und einer Werkstatt Impulse für gemeinschaftliches Tun im alltäglichen Zusammenleben. Waschmaschinen und Abstellflächen in einer Hochregalwand verschwinden hinter sonnengelben Vorhängen. Das Pendant zur Foyerhalle ist der Dachgarten mit Hochbeeten und Sommerküche.

Die entlang der Westfassade durchlaufende Wintergartenschicht lässt sich als Stauraum und im Winter wohl auch als Kühlschrank nutzen. (Foto: © Florian Summa)

Die Westfassade über den Gewerbeflächen besteht weitgehend aus beweglichen Fenstertüren. Ihr vorgelagert ist eine Wintergartenschicht aus gewellten Polycarbonatplatten. Diese gestalterische Geste, die wohl nicht zufällig an Wohnprojekte des weltberühmten französischen Büros Lacaton & Vassal erinnert, setzt sich an den anderen Fassaden mit weißen Wellblech-Verkleidungen fort. An der kurzen Südfassade signalisieren auffällige dreieckige Fenstereinschnitte den Haupteingang. Zum Hof öffnet sich das Erdgeschoss mit ungewöhnlich niedrig eingesetzten Fenstern, die Kinder als Ein- und Ausstieg nutzen können.

Im Waschküchenbereich der Lobby liessen sich gezielte Farbakzente setzen. (Foto: © Petter Krag)

Bereits jetzt hat sich herausgestellt, dass die schmalen Wintergartengalerien im Westen sehr vielseitig genutzt werden. Dies spendet der Fassade automatisch Farbe. Insgesamt bestimmen Sichtbeton und graue Estrichböden die Grundausstattung. Die beiden Treppenhäuser sind in kräftigem Lila und sattem Himmelblau gestrichen. Weitere, sorgfältig gesetzte Farbakzente beleben die grundsätzlich nüchterne Struktur und zeigen, dass ein gut durchdachtes architektonisches Konzept mit wenig Mitteln einen ästhetischen Rahmen setzten kann, der die Gestaltungsfreiheit der Bewohner*innen nicht einschränken muss. „San Riemo“ hat Mut zu neuen Wohnformen bewiesen und mit Leben gefüllt, urteilte die Jury des DAM Preises 2022 unter dem Vorsitz der Architektin und Stadtplanerin Christiane Thalgott und zeigte sich vom Projekt überzeugt und begeistert.

Mit beschwingten, minimalistischen Maßnahmen markiert der an sich schlichte Bau seine Präsenz. (Foto © Petter Krag) 

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