„Co-working Optik“

Ulf Meyer
3. Juli 2019
Haupttreppe und Atrium im neuen Zalando-Hauptgebäude (Foto: ©HGEsch / HENN)

In Berlin haben weder nennenswerte Industrie- noch Dienstleistungskonzerne ihren Sitz. Die Kapitale ist die einzige europäische Hauptstadt, die wirtschaftlich derartig schwach auf der Brust ist. Von den 30 DAX-Konzernen etwa ist kein einziger in der Hauptstadt und größten Stadt des Landes beheimatet – ein weltweit einmaliger Zustand. Da sind die wirtschaftspolitischen Hoffnungen, die auf die Digitalwirtschaft gesetzt werden, umso größer – und die Firma „Zalando“ gilt als eine der wenigen Erfolgsgeschichten im jüngeren Wirtschaftsgeschehen Berlins, auch wenn der Modehändler heute mehrheitlich in schwedischem Besitz ist.

Im Umgang mit dem Bautypus der Konzernzentrale ist Berlin ungeübt. Das Büro Henn, das schon für viele große Unternehmen tätig war, hat in Berlin-Friedrichshain für den Hauptsitz von Zalando eine „neue Bürowelt für 2'500 Mitarbeiter“ entworfen. Im Jahr 2015 hatte sich ihr Entwurf in einem Architektur-Wettbewerb durchgesetzt. Neben der „Mercedes-Benz-Arena“ am Ostbahnhof und der East Side Gallery an der Spree wurden nun zwei siebengeschossige Neubauten mit 43'000 Quadratmetern Bürofläche eingeweiht, die dem trostlosen Media-Spree-Areal ein wenig architektonischen Pfiff verleihen sollen. Eine Glasfassade aus alternierend transparenten und transluzenten Elementen fasst die eingeschnittenen Bauvolumen zusammen. Die Grundrisse wurden diagonal zum Bebauungsplan gedreht. Die Innenhöfe rücken dadurch an die Grundstückskanten.

Offene Arbeitsräume und großzügige Freiräume wechseln sich ab (Foto: ©HGEsch / HENN)

Zalando gilt als „Europas führender Online-Plattform für Mode“ und Deutschlands berühmtestes „Einhorn“ (so werden Neufirmen mit mehr als einer Milliarde Umsatz im Jahr genannt). Dennoch wollten die Architekten den „Geist eines Start-ups“ im Neubau walten lassen. Ein großes Atrium lenkt Tageslicht bis ins Erdgeschoss. Vom Foyer führt eine breite innere Freitreppe mit Sitzgelegenheiten hinauf in die Etagen. Das Atrium als „zentraler Marktplatz“ dient den Entwerfern als „Analogie zur digitalen Netzwerkgesellschaft“. Sporträume und eine Kita dürfen in der modernen Arbeitslandschaft für Digital Natives natürlich nicht fehlen. Mehrgeschossige Lufträume schaffen eine kommunikative Atmosphäre. Die Seminarräume liegen neben Café und Kantine. Vom Kern ausgehend wandelt sich die Arbeitsatmosphäre graduell zu ruhigen Bereichen für konzentriertes Arbeiten. Verbunden werden die Büros durch Laufstege, „wie man sie aus der Modewelt kennt“. Als „Orte fürs Denken, Wege zum Treffen und Plätze zum Austauschen“ bezeichnen die Architekten ihre Arbeitswelt. Ähnliche Konzepte hatten sie zuvor in kleinerem Maßstab bereits für Firmen wie Stryker und Merk erarbeitet. 

Die Büros in den Obergeschossen heißen „Living-Rooms“ (Wohnzimmer) und wurden von Kinzo Innenarchitekten aus Berlin gestaltet. Arbeitsplätze „gemütlich“ zu gestalten ist im Silicon-Valley lange als Trick der Arbeitgeber entlarvt worden, um Mitarbeiter möglichst lange am Arbeitsplatz zu halten. Neben festen Arbeitsplätzen wurden Bereiche konzipiert, in die sich Mitarbeiter zurückziehen können, um konzentriert zu arbeiten. Die Architekten sprechen stolz von „Sitzlandschaften in Co-Working-Optik“, Küchen mit Holztischen und Barhockern und „Balustraden mit Platz für das Laptop“. Der neue Berliner Hauptsitz der Firma Zalando ist eben eine „schöne neue (Arbeits-) Welt“.

Holzterrasse und Basketballfeld auf dem Dach für abwechslungsreiche Arbeitspausen (Foto: ©HGEsch / HENN)

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