Zurück zu den Zisterziensern

Ulf Meyer
2. September 2015
KPMG Luxemburg (Bild: Hermann Valentiny)

Schuldenkrisen wie in Griechenland, Bilanzfälschungen, Insider-Handel und Buchhaltungsskandale wie bei Enron oder Olympus und vielen Banken oder Finanzmanipulation wie beim Libor-Skandal erschüttern die Wirtschaftswelt – verstärkte interne und staatliche Kontrollmechanismen sollen die Marktirritationen deshalb zukünftig mildern – eine Herkulesaufgabe. Im neuen «Zeitalter der Austerität und der Finanzaufsicht» zeigt eine Reihe von Gebäuden, wie die Architektur der neuen Wirtschaftswelt aussieht: Wo immer derzeit in Europa Cluster von Bürohäusern in den Himmel wachsen, sind die bunten Logos von Unternehmensberatungen wie Ernst & Young oder KPMG an den Fassaden zu sehen. Die Berater- und Kontroll-Branche ist gefragt und potent wie nie zuvor und besetzt vielerorts beste Innenstadtlagen. Auch viele staatliche (Finanz-) Aufsichtsbehörden platzen räumlich aus allen Nähten angesichts ihrer wachsenden Verantwortungen und suchen in immer größeren Neubauten architektonisches Profil und selbstbewusste Präsenz im Stadtraum. Diese neue wirtschaftliche Vorsichtigkeit und Sparsamkeit bringt einen neuen Baustil hervor: Die neue Welle der «Austerität» in der EU wirkt sich auf die zeitgenössische Architektur jedoch in zwei verschiedenen Richtungen aus – steigendes Selbstbewusstsein auf der einen, Diskretion und Reduktion auch im baulichen Ausdruck hingegen auf der anderen Seite.

Das Wort «Austerität» (griechisch für «Ernst» und «Strenge») wird heute meist synonym für «Disziplin», «Entbehrung» und «Sparsamkeit» verwendet. Der Begriff stand früher jedoch auch für «Hartnäckigkeit» und in der Kunst für eine «prunklose, sparsame Gestaltung», wie sie dem mittelalterlichen Baustil der Zisterzienser zugeschrieben wird. Diese «zisterziensische Austerität» erlebt derzeit in Europa eine ungeahnte Renaissance im modernen Bürobau – wenn auch unter gänzlich weltlichem Vorzeichen. Als im 11. Jahrhundert die Zisterzienser erstmals ihre betont einfache und schlichte Baukunst ohne Dekor hervorbrachten, sollte in ihren Klöster nichts vom Studium der Bibel ablenken. Heute ist es das Studium der Wirtschaftszahlen, das im Vordergrund des architektonischen Bemühens steht. Mögen die Bauten der Zisterzienser auch unbeheizt und im Winter unangenehm kühl gewesen sein, Größe und Monumentalität waren ihnen ebenso wenig fremd wie heute den Bauten der «Erbsenzähler» der Wirtschaftsprüfer-Branche, von deren Arbeit das friedliche Fortbestehen der Europäischen Wirtschaft und Union nicht unwesentlich abhängt.

Der benachbarte Neubau für die konkurrierende Beratungsfirma KPMG, entworfen von Luxemburgs bekanntesten Architekten Hermann und Valentiny, will hingegen mit einem visuell und konstruktiv aufgeregten Auftritt «alle Blicke auf sich ziehen» und eine «Identifikations-Marke für seinen Nutzer» sein, so die Architekten. Entworfen haben sie ihren rostroten Bürokubus im Hinblick auf die Perspektive der zu zehntausenden täglich auf dem Kennedy-Boulevard vorbei donnernden Autofahrer. Die äußere Fassade besteht aus riesigen vorgefertigten Bauteilen Corten-Stahl in «X» und «Y»-Form. Sie sind keine gefällige Applikation, sondern tragen das Gebäude als Exoskeletton und machen Stützen im Inneren unnötig - und erlauben so die grenzenlose Flexibilität in der Arbeitswelt, die die Berater für teures Geld ihren Kunden raten. Mehr als 350 Verankerungen verbinden die Cortenstahl-Fassade mit den Geschossplatten. Die innere Fassade ist ein Stahl-Vorhang mit goldfarbenen eloxierten Brüstungen aus Aluminium. Die Photovoltaikanlage auf dem Dach produziert immerhin stolze 28'500 kWh/a. Mit der Umweltfreundlichkeit ist es bald wieder vorbei, wenn man bedenkt, dass mit großem Aufwand vier Untergeschosse in das Grundstück gepresst wurden, um zahllose Parkplätze unterzubringen.

CSSF Fassadendetail (Bild: Matthias Düro für a+a / JSWD)

Der Neubau für die Luxemburgische Bankenaufsicht, «Commission de Surveillance du Secteur Financier» (CSSF) genannt, von JSWD Architekten aus Köln und architecture + aménagement aus Luxemburg entworfen, ist ein gutes Beispiel für den neuen Stil der intelligenten Sparsamkeit der Mittel. Die CSSF nennen die Architekten angesichts des wachsenden Platzbedarfs «eine prosperierende Behörde». Tatsächlich ist die Größe der Büroflächen für 650 Arbeitsplätze in einem Zwergstaat wie Luxemburg bemerkenswert. JSWD Architekten ist es gelungen, den neuen Zeitgeist der Austerität in eine reduzierte Architektur zu übersetzen: Die Gebäudeform entwickelt sich aus der Kontur des Grundstücks - und definiert so ganz en passant klare städtebauliche Raumkanten. Ein Innenhof öffnet sich allein zur Landschaft im Süden. Die völlig homogene, vertikal gegliederte Fassade aus hellen Steinlamellen lässt das Gebäude in der Schrägansicht geschlossen erscheinen. Dann steht es im Kontrast zum gläsernen Foyer. Dieses «Wechselspiel zwischen Transparenz und Diskretion» (JSWD) steht für den neuen Esprit der Einfachheit. Die winzige Solaranlage auf dem Dach ist eher symbolischer Natur, in Wahrheit geht es den Architekten um Sparsamkeit durch den Einsatz von Tageslicht, einem Kühlsystem mit Betonkernaktivierung und Wärmerückgewinnung – und damit kostenlosen Methoden, Energie und Ressourcen (und damit Geld) zu sparen. Die Nachhaltigkeit in der Architektur findet hier über den Umweg der Austerität endlich in die Mitte der zeitgenössischen Baukunst!

KPMG Helsinki (Bild: Holger Siebert)

Das neue Bürohaus der KPMG in Helsinki, ebenfalls 2014 fertiggestellt, liegt hingegen direkt am Hauptbahnhof und ist entsprechend weniger vom Pendler in seinem PKW abhängig: Davidsson Tarkela Architects hatten mit ihrem Grundstück im Neubauviertel Töölönlahti – eines der sichtbarsten Grundstücke im Zentrum – die Chance, nicht nur das Zentrum einer europäischen Hauptstadt mit zu prägen, sondern die Mitarbeiter mit fantastischen Blick auf die umliegenden Kulturbauten von der Arbeit abzuhalten. Jedes der fast 3000 verschiedenen farbigen Glaspaneele der Fassade, die ganz wie bei Sauerbruch Hutton «rund und bunt» daherkommt, wurden digital bedruckt. Der Buchstabe «C» wurde rotierend so oft auf das Glas gedruckt, bis eine 3D-Illusion entsteht.

Ernst & Young Helsinki (Bild: Holger Siebert)

Der Neubau nebenan wird – wie könnte es anders sein – ebenfalls von einer Unternehmensberatung, in diesem Fall «Ernst & Young», genutzt und wurde vom ebenfalls örtlichen Büro «Verstas Architekten» gebaut. In der «Alvar Aalto Straße» direkt gegenüber der berühmten Finlandia Hall gelegen besetzt hier eine Wirtschaftsprüfungsgruppe eines der besten Grundstücke, das die finnische Kapitale zu bieten hat. «Understated», also «unauffällig»,aber dennoch «zeitlos elegant» soll der Neubau nach Willen der Architekten wirken und damit eine ökonomische Ratio ausdrücken, die derzeit in der Privatwirtschaft ebenso heiß begehrt ist wie in der Politik.

Ernst & Young Luxemburg (Bild: Sauerbruch/Hutton)

Einen ganz anderen Weg gehen zwei Neubauten im Zentrum des Europaviertels von Luxemburg, dem Kirchberg-Plateau: Der Neubau für die Unternehmensberatung Ernst & Young wurde von den Heroen des umweltfreundlichen Bauens in Deutschland, Sauerbruch/Hutton Architekten aus Berlin, entworfen. «Zurückhaltende Eleganz» soll den Neubau prägen, aber natürlich kommt diese Eleganz ausgeprägt farbig daher. Mit großer Geste öffnet sich das H-förmige Gebäude zum Boulevard Kennedy, so als wollte es neue Kunden aus der krisengeschüttelten Finanz- und Fondsbranche in Luxemburg geradewegs an die Beratungsplätze locken. Eine kleine trapezförmige Plaza mit Restaurants und Läden soll ein wenig dringend benötigtes städtisches Leben in die zugige Bürostadt im Herzen Europas zaubern und ist mit einer transluzenten Membran überdacht. Die Fassade aus Glas, bedrucktem Glas und farbigen Metall-Paneelen soll ein «abwechslungsreiches Bild von Bewegung und Leichtigkeit» suggerieren, so die Architekten.

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