Neue Metro-Pole in Finnland

Ulf Meyer
14. November 2018
Lauttasaari ist der erste neue Bahnhof (Bild: Tuomas Uusheimo)

In den letzten Jahrzehnten ist Finnlands Hauptstadt Helsinki eine starke urbane Konkurrenz erwachsen: Espoo im Westen der Kapitale hat Helsinki speziell wirtschaftlich das Leben schwer gemacht: Viele vermögende Konzerne und wohlhabende Bürger und Familien mit Kindern zog es in die Schwesterstadt und das Steueraufkommen in der Hauptstadt sank. Espoo ist heute die zweitgrößte Stadt Finnlands. Mit dem Bau einer neuen U-Bahnlinie, die technisch ambitioniert und gestalterisch auf höchstem Niveau ist, wachsen die beiden Städte nun erstmals zu einer Metropol-Region zusammen. Finnland hat knapp sechs Millionen Einwohner und die neue Doppelstadt ist mit mehr als einer Million Bewohnern mit großem Abstand das wichtigste Zentrum.
Die neue „West-Metro“ führt von Ruoholahti in Helsinki nach Kivenlahti in Espoo als Verlängerung der bisher einzigen bestehenden U-Bahnlinie. Jeder unterirdische Bahnhof hat (s)eine eigene gestalterische Identität, nicht zuletzt um die Orientierung zu erleichtern. Alle Bahnsteige liegen mittig zwischen den Gleisen. Die knall-orangenen Züge der Helsinkier U-Bahn mit je vier Waggons bilden einen starken farblichen Kontrast zu den pech-schwarzen, ungleichmäßig gesprengten Tunneloberflächen, auf die die wartenden Metro-Passagiere starren. Anders als in Paris, Berlin oder anderen Städten sind die Tunnelwände in Helsinki weder architektonisch zu gestalten noch mit Werbeschildern zupflasterbar.

Der Bahnhof Koivusaari erschließt die Insel Björkholmen

In der ersten Phase wurden acht Bahnhöfe gebaut. Der Auftakt der neuen Linie ist cool: Die ersten beiden Bahnhöfe wurden vom Architekturbüro Helin & Co entworfen. Der Bahnhof Koivusaari hat das Thema “Meer und Wasser”, denn er liegt unter der Ostsee, unweit der Autobahn, die die beiden Städte miteinander verbindet. Es ist der weltweit wohl einzige U-Bahnhof, der unter dem Meer gebaut wurde. Mit ihren 76 Metern Länge ist die Rolltreppe vom Bahnsteig zur Tickethalle die längste Finnlands – sie ist sogar länger als der Bahnsteig. Wer endlich am Tageslicht ankommt, blickt unvermittelt auf einen Kiesstrand und eine Marina mit Yachthafen. Die Decke wirkt wie ein Rumpf eines hölzernen Bootes und der Bahnsteig wie ein Wal.

Der Bahnhof Keilaniemi wurde von ALA entworfen (Bild: Tuomas Uusheimo)

Die “Keilaniemi“-Station liegt ebenfalls auf einem schmalen Grat zwischen Wasser und Land und auch an der Grenze zwischen den beiden Städten neben den Hauptsitzen großer Konzerne in einem großen Corporate Campus. Es ist der meist genutzte Bahnhof der neuen Linie mit (geschätzten) 20'000 Passagieren am Tag, die hier an ihre Büroarbeitsplätze eilen. Die Fassaden der beiden facettierten Eingangs-Gebäude kombinieren Blech, Glas und Stein und interpretieren die gebrochene Geometrie der unterirdischen Gesteinsformationen. Die Pavillons werden jedoch nicht freistehend bleiben, sondern bald in ein Hochhaus, das um sie herum errichtet wird, integriert. Die Decke über dem Bahnsteig schmückt eine faszinierende, weiße Lichtinstallation vom Künstlerduo Grönlund und Nisunen. Die stabförmigen LED-Leuchten spielen auf den kühlen, metallischen Charakter der Bürohäuser darüber an. Die Flächen bestehen aus klarem und weiß hintermaltem Glas. Entworfen wurde der Bahnhof von ALA Architects, die hier mit dem Altmeister der finnischen Verkehrsbauwerks-Architektur, Esa Piironen, zusammengearbeitet haben.

Bahnhof Aalto-yliopisto (Bild: Markus Säynevirta [CC BY-SA 4.0])

Der Bahnhof “Aalto-yliopisto” hingegen hat durchgehende Decken aus rostrotem Corten-Stahl in einer diagonalen Geometrie, die an den roten Klinker der Uni-Gebäude auf dem Aalto-Campus über dem Bahnhof widerspiegelt. Die gefalteten Stahl-Decken begleiten Passagiere vom unteren Bahnsteig zur oberen Halle. Die Station liegt direkt am Hauptgebäude im Zentrum des Campus‘, einem Meisterwerk von Alvar Aalto. Beim Aufstieg rahmt der Neubau geschickt Blicke auf das berühmte fächerförmige Hauptgebäude. Für die Uni, die ihre Auslagerung aus der Stadt nie unkritisch gesehen hat, stellt die Anbindung an die U-Bahn eine riesige Verbesserung dar. Für die Eingangspavillons haben die Architekten nur matte, ausdrucksstarke Materialien verwendet wie Kupferblech und grauen Granit. Das Tragwerk wird nirgendwo in seiner Tektonik ausgedrückt, sondern von den origamihaft gefalteten Oberflächen überdeckt.

Bahnhof Tapiola (Bild: Timo Kauppila)

Der Bahnhof Tapiola hingegen ist gleißend weiß und weit gestaltet. Entworfen hat den Stopp das Büro Artto Palo Rossi Tikka (APRT). Den Bahnsteig prägen hinterleuchtete Glaswände und hohe Decken. Der Bahnhof ist ein integraler Teil des Ainoa-Einkaufszentrums. Von der Decke hängen 108 große Hauben-artige Leuchten, die zugleich als Lautsprecher, Akustik-Paneele, Sprinkler und LED-Lichtbänder dienen. Ihr Tragwerk besteht aus Glasfasern und feuerfestem Harz.

Bahnhof Urheilupuisto
Bahnhof Niittykumpu

Beim Urheilupuisto-Bahnhof aus gelangt man vom Jousenpuisto Park zur Tickethalle und weiter zum Bahnsteig 27 Meter unter der Erde. Das Architekturbüro HKP hat ihn so entworfen, dass Tageslicht zumindest die Rolltreppen erreicht und die Bewegung der Passagiere motiviert. Der Bahnhof “Niittykumpu” hingegen (ebenfalls von HKP entworfen) mündet geradewegs in ein Einkaufszentrum. Die Gestaltung stellt eine sommerliche Wiese dar, denn der Name der Station bedeutet “Wiesenhügel”. Die Wände wurden von dem Künstler Mari Rantanen gestaltet und zeigen rote und grüne Weidenrosen und Gras. Auch der Endbahnhof Matinkylä geht nahtlos in einen Busbahnhof und das “Iso Omena”-Einkaufszentrum über. Dies ist nicht nur den kommerziellen Interessen der Besitzer der Einzelhandelsimmobilien geschuldet, sondern auch dem langen und strengen Winterwetter in Finnland. Die Decken über dem Bahnsteig erinnern an Wolken oder Frost und bestehen aus weißen Aluminium Paneelen (Entwurf: HKP).

Der Bahnhof Matinkyln ist der neue Endbahnhof

Die Länsimetro bindet Helsinki mit Espoo enger aneinander als jemals zuvor. Die Idee einer gemeinsamen U-Bahn gab es seit den 1950er-Jahren, aber Espoo lehnte ihren Bau lange aus Kostengründen ab. Erst als sich Staat und die Stadt Helsinki bereit erklärten, sich an den Kosten zu beteiligen, nahm Espoo 1997 den Vorschlag an. Große Mehrheiten der Bürger beider Städte stimmten bei einer Volksbefragung für den Bau. Die Kosten stiegen auf über eine Milliarde Euro.
Mittelfristig wird die neue U-Bahn zur Urbanisierung der dünn besiedelten Gartenstadt Espoo beitragen und sie mit der dichten Jugendstil-Hauptstadt nebenan zu einer urbanen Einheit verschmelzen. Speziell um die Bahnhöfe herum ist die städtebaulich gewünschte Erhöhung der Dichte bereits zu spüren. Diese „Transit-Oriented Development“ (TOD) wird in Stadtplaner-Kreisen derzeit heftig diskutiert und als wegweisend propagiert. Die architektonisch anspruchsvolle Gestaltung macht den ÖPNV hier in Finnland zusätzlich attraktiv.

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