Will McBrides Bildergeschichten

Oliver G. Hamm | 11. April 2025
Will McBride, »Riverboat Shuffle«, Berlin, 1959 (© Estate Will McBride/Shawn McBride; Reproduktion: Hans Döring, München)

Das Bröhan Museum in der Nähe von Schloss Charlottenburg hat sich vor allem den Themen Jugendstil, Kunst und Design verschrieben. Es bietet aber immer wieder auch hochkarätige und sehr konzentrierte Fotoausstellungen an. Derzeit etwa »Will McBride – Die Berliner Jahre« (bis 1. Juni), die ganz überwiegend eine für den Fotografen persönlich, aber auch für die Stadt an der Spree und ihre Darstellung in Zeitschriften sehr wichtige Dekade dokumentiert: Die 1950er- und frühen 1960er-Jahre, als Berlin, seinerzeit noch nicht durch die Mauer geteilt, aber noch deutlich von den verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs gezeichnet und dennoch vital wie wohl nur wenige andere Städte in jener Zeit, sich zu so etwas wie dem deutschen Zentrum der »Swinging Sixties« zu entwickeln begann. 

Will McBride, 1931 in St. Louis geboren und in Chicago aufgewachsen, kam nach einem Malerei- und Illustrationsstudium 1953 als GI nach Deutschland. Bereits während seines Wehrdiensts in Würzburg entstanden erste Fotografien, jedoch arbeitete er erst später offiziell als Fotograf in Berlin und in München – und zeitlebens auch als Maler und Bildhauer (viele Fotografien waren ursprünglich als Skizzen für seine künstlerischen Arbeiten gedacht). Die bayerische Landeshauptstadt war der Sitz der Zeitschrift twen, die ab 1959 unter der Leitung von Willy Fleckhaus in Deutschland ganz neue Maßstäbe in der Gestaltung von Magazinen setzte. Als meistgebuchter Fotograf veröffentlichte McBride allein bei twen 30 Fotoessays und Reportagen. Sein primärer Lebensraum und zugleich eine wichtige Protagonistin eines Großteils seiner Fotos war ab Mitte der 1950er-Jahre Berlin, die Stadt, die er bereits 1961, kurz nach dem Mauerbau, verließ, in die er aber – nach Stationen in München, in der Toskana und in Frankfurt am Main – 1999 zurückkehrte und wo er 2015 starb, nur zwei Wochen nach der Finissage einer großen Ausstellung bei c/o Berlin.

Will McBride, »Kremserfahrt«, Berlin, Nähe Potsdamer Platz, 1959 (© Estate Will McBride/Shawn McBride; Reproduktion: Hans Döring, München)

»Ich war zum ersten Mal in meinem Leben wahrhaftig glücklich. Ich war verliebt in diese Stadt und in das Leben, das sie mir bot.« Was Will McBride 1979 in seinem Buch »Knips. Berliner Bilder aus den 50er Jahren« bekannte, vermittelt sich durch sein fotografisches Werk unmittelbar, auch schon auf seinen frühesten Arbeiten. Auf einer »Straßenszene Ost-Berlin mit Pferdefuhrwerk« (1956) und bei einer Kremserfahrt am Potsdamer Platz (1959) sind zwar die Kriegswunden noch deutlich sichtbar, doch wirkt der Stadtraum oft eher wie eine skurrile Kulisse für das abgelichtete faszinierende »Menschentheater« mit zufälligen Passanten, innig zugewandten Paaren und häufig ganzen Horden von Kindern oder jungen Erwachsenen, dem das eigentliche Interesse des Fotografen galt. Trotz der sicher oft schwierigen Umstände jener Zeit erscheint insbesondere das adoleszente Leben in Berlin auf den Fotos von McBride als geradezu unbeschwert. 

Zum Beispiel beim »Riverboat Shuffle« (1959) mit einer Gruppe junger Leute, bei der es sich um McBrides eigene Clique handelte, die der Fotograf also nicht nur als stiller Beobachter mit seiner Leica ablichtete. Die Aufnahme (nur eine unter mehreren, die einen ausgelassenen Wochenendausflug dokumentieren) diente auch als Aufmacher für »Jazz auf dem Fluss« in der twen-Ausgabe 6/1960. Es war McBrides erste Veröffentlichung in diesem Magazin, die als Reproduktion der sechsseitigen Bild- und Textstrecke im Bröhan Museum betrachtet werden kann. Grundsätzlich lieferte er dem Magazin nicht nur die Fotos, sondern schrieb auch die Texte dazu. Auf diese Weise konnte er nicht nur mit seinen Lichtbildern genau wiedergeben, was er selbst erlebt hatte, jedoch musste er sich bei twen nach den von Willy Fleckhaus im Layout vorgegebenen geklebten Blindtexten richten, die ihm genau vorgaben, wie verdichtet oder wie ausführlich er eine Story auch mit Worten erzählen konnte.

Will McBride, »Stöffie (The ›Pop Corn‹ Picture)«, Berlin, Strandbad Wannsee, 1959 (© Estate Will McBride/Shawn McBride; Reproduktion: Hans Döring, München)
Will McBride, »Waschung«, Schloss Salem, 1962 (© Estate Will McBride/Shawn McBride; Reproduktion: Hans Döring, München)

In der Berliner Ausstellung werden immer wieder Originalfotografien (meist Silbergelatine-Later-Prints aus den 1980er-Jahren) und Zeitschriften-Reproduktionen mit oft eingeschränkten Bildausschnitten gegenübergestellt, was viel über die Unterschiede in der Fokussierung des Fotografen Will McBride und in den Gestaltungsprämissen und -kompromissen einer ganzen Bildergeschichtenstrecke durch den Grafiker Willy Fleckhaus aussagt. McBride widmete Fleckhaus in den 1960er-Jahren auch eine ganze Porträtserie (in Berlin sind die Kleinbild-Kontakte zu sehen), bei der dieser sicher nicht zufällig wie ein Dirigent wirkt. Wenngleich Fotograf und Grafiker sicherlich viel voneinander profitierten: Gute Freunde waren sie nicht.

Mehrere weitere komplette Magazin-Storys ergänzen im Bröhan Museum originale Einzelaufnahmen von McBride, darunter auch »Mein Kind kommt« (twen 8/1960) mit der als Aufmacherfoto gewählten Aufnahme »Barbara mit Shawn im Bauch« (1960), die McBrides schwangere Frau zeigt – bekleidet, aber mit leicht geöffneter Hose, was damals einen Skandal auslöste (und heute sicher selbst erzkonservative Moralprediger nicht mehr hinter dem Ofen hervorlocken würde). McBride fotografierte seinerzeit ausschließlich in seinem unmittelbaren Umfeld, sowohl zu Hause (etwa sein Studio in der Steglitzer Wohnung mit Freunden, ebenfalls Thema einer »Homestory« in twen) als auch unter freiem Himmel, etwa im Strandbad Wannsee (»Stöffie (The ›Pop Corn‹ Picture)«, 1959), und auch in den Wohnungen von Freunden (»Peter und Stöffie bei Jan in der Wohnung«, 1959, aus der Bildergeschichte »Ein Hahn kommt selten allein«, twen 4/1961). Die Jugend(kultur) mit ihren verletzlichen, oft halbnackten Körpern hatte es ihm, den Kurator Hans-Michael Koetzle einen »eminent politischen Künstler« nennt, offenkundig besonders angetan.

Will McBride, »Barbara mit Shawn im Bauch«, Berlin, 1960 (© Estate Will McBride/Shawn McBride; Reproduktion: Hans Döring, München)

In einem 1998 geführten Interview mit Hans-Michael Koetzle beantwortete der Fotograf, kurz nach dem Erscheinen des monumentalen Buchs »I, Will McBride« (1997), die Frage, warum sich seine Aufnahmen (später) kaum noch in Zeitschriften wie etwa dem stern finden ließen: »Persönliche Aussagen sind nicht mehr gefragt. Jedenfalls nicht meine.« Doch im gleichen Interview blickte McBride positiv auf seine Zeit als Bildergeschichtenerzähler zurück: »Als Amerikaner in Deutschland hatte ich damals unglaubliche Freiheiten, wie ich sie in Amerika nie gehabt hätte.«

Unbekannt, Will mit 400er-Objektiv auf der Leica, Berlin, 1959 (Reproduktion: Hans Döring, München)

Die Ausstellung im Bröhan Museum (Schloßstraße 1a, 14059 Berlin) ist dienstags bis sonntags und an allen Feiertagen von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Anlässlich der Schau ist ein Katalog mit zahlreichen Fotos und Reproduktionen von Doppelseiten aus twen erschienen, der für 13 Euro an der Museumskasse erhältlich ist. Im Wiener Fotomuseum Westlicht ist bis zum 18. Mai eine zweite Ausstellung mit Fotos unter anderem von Will McBride zu sehen: »All tomorrow’s parties. Twen: Das Magazin der sechziger Jahre« (Westlicht. Schauplatz für Fotografie, Westbahnstraße 40, 1070 Wien).

Weitere Informationen zu Ausstellung und Begleitprogramm

Vorgestelltes Projekt 

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Sonderausstellung »Sammeln. Glück & Wahn.«

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