Wiedererwecktes Ensemble
Die Magdeburger Stadthalle am Elbufer wird aktuell saniert. Dass der benachbarte Schalenbau von Ulrich Müther mit seinem markanten Dach heute bereits wieder genutzt werden kann, ist ein Glücksfall und dem Ensemblekonzept der Architekten zu verdanken. Zusammen werden die beiden Gebäude ab 2026 Veranstaltungsort für viele Formate sein.
Die Bauten Ulrich Müthers ziehen sich von Rügen, wo er in Binz lebte, über Berlin, bis in den südlichen Teil der früheren DDR und waren früher gar »Exportgut«. Heute stehen zahlreiche seiner Bauwerke unter Denkmalschutz, andere blieben nach der politischen Wende lange Zeit leer, waren dem Vandalismus preisgegeben oder wurden gar trotz Denkmalschutz abgerissen wie das Ahornblatt in Berlin vor vier Jahren. Auch wenn die Nachnutzung der großräumigen Schalenkonstruktionen nicht einfach ist, ergeben sich doch immer wieder Glücksumstände für die Bauten – so auch in Magdeburg.
Der dortige Schalenbau im Rotehorn-Park war 1969 als Messe- und Ausstellungszentrum gebaut worden. Er ergänzte die nur 200 Metern entfernt stehende Stadthalle, ein Backsteinbau von 1927, realisiert nach den Plänen des Stadtbaurates Johannes Göderitz und nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut. Müther richtete seine Konstruktion auf die Achse und Breite des bestehenden Baus aus, erschuf mit seinem gläsernen Pavillon, den ein dünnes, vierteiliges Betonschalendach bekrönt, jedoch einen optischen Gegenpol zur schweren und gesetzten Halle. Beide Bauten waren über Jahrzehnte wichtige kulturelle Wahrzeichen im Stadtbild. Doch obwohl sie als Baudenkmale klassifiziert sind, befanden sie sich in den letzten Jahren in immer schlechterem Zustand.
Auch für den Schalenbau fehlte ein tragfähiges und finanzierbares Neunutzungskonzept. Das Gebäude war ab 1997 ungenutzt und wurde immer sanierungsbedürftiger. Müther hatte die Betonschale aus vier hyperbolischen Paraboloiden konstruiert, die als Dach eine Fläche von 48 x 48 Metern überspannen. Alter und Leerstand hatten der Halle dermaßen zugesetzt, dass ab 2016 ein Stützturm die Gebäudemitte sichern und die Konstruktion vor dem Einsturz bewahren musste. Der Schalenbau war enorm geschädigt, Birken wuchsen auf dem Dach und teilweise waren die nur sieben Zentimeter starken Dachflächen durchlöchert.
Von der Stadt Magdeburg war das Büro gmp zunächst über ein VgV-Verfahren lediglich mit der Sanierung und dem Umbau der Stadthalle im Stadtpark Rotehorn beauftragt. Da sich die Hyparschale, wie Müther den Bautyp nannte, in nächster Nähe befindet, thematisierten die Planer bei Ortsterminen auch regelmäßig den Verfall des Bauwerks und eine mögliche Umnutzung. »Die Stadt hatte für die Sanierung der Hyparschale kein Budget«, erinnert sich Christian Hellmund von gmp. »Die Lösung kam erst, als wir beim vorgesehenen Nutzungskonzept für die Stadthalle an Grenzen stießen.« Zusätzlich zum großen Saal der Halle benötigte der künftigen Betreiber auch kleinere Räume, die nach Vorschlag der Stadt in der Hyparschale realisiert werden sollten. Obwohl sich der Müther-Bau mit dem weit gespannten Dach nicht direkt für eine kleinteilige Aufteilung anbietet, war damit immerhin eine Lösung zur Rettung der Schale gefunden. Gewünscht waren Räumlichkeiten für Ausstellungen, Kongresse und Veranstaltungen für 200 bis 500 Personen.
»Es gab viele Ideen, die den Einraum sehr kleinteilig gemacht hätten. Schlussendlich konnten wir die Stadt als Betreiberin mit einer strukturierten Lösung überzeugen, bei der wir die Wirkung des großen Raumes bestmöglich erhalten können«, so Hellmund. Zusätzlich zu den neu gesetzten Unterteilungen im Erdgeschoss wurden im Innenraum Galerieebenen und begehbare Brücken eingebaut. Öffnet man die Trennwände, ist der durchgehende Luftraum weiterhin erlebbar, was ein großer Gewinn für die Anmutung des Schalenbaus ist.
»Eine Herausforderung war, die hohe Anzahl kleiner Räume in der Halle unterzubringen und diese nutzbar zu machen.«
»Mit dünnen Carbonfasermatten haben wir zunächst das Tragwerk saniert«, so Hellmund. »Die Dachkrempe ist auch nach der Sanierung so dünn wie beim Ursprungsbau und mit Blech verkleidet, was den besonderen Charme des Gebäudes ausmacht.« Die vier einzelnen Schalen treffen sich in der Mitte des Baus nicht direkt, sondern an einem Oberlichtkranz. Dadurch entstehen vier große Fugen, über die Licht ins Gebäude gelangt. Konstruktiv anspruchsvoll war auch die Umsetzung der Vorgabe, das Gebäude neben der Elbe hochwassersicher zu machen. Die WU-Betonwanne konnte jedoch unauffällig in die bestehende Konstruktion eingebaut werden. Der sichtbare Sockel ist die Aufkantung der Wanne, in die Türbereiche sind klassische, hochfahrbare Aluminiumwände eingebaut.
Eine transparente Glasfassade ersetzt die bisherige transluzente Industrieverglasung, wobei die originale Fassadenkonstruktion erhalten blieb. Für Sanierung und Umbau konnten Fördermittel und Gelder aus dem Programm »Stadtumbau Ost« aktiviert werden, den Rest finanzierte die Stadt Magdeburg selber.
Die großen Schalenbauten sind ingenieurtechnisch beeindruckende Werke und bleiben doch stets Kinder ihrer Zeit. Auch zu Müthers Zeiten waren sie vor allem geduldet, weil die Bauweise viel Material sparte. Die perfekten Tragwerke überspannen Hallen, bei deren Umbau man sich heute immer schwer tut, die notwendigen technischen Installationen und kleinere Nutzungen unterzubringen.
Mit einigen Abstrichen und einer behutsamen Planung kann es jedoch gelingen, die historischen Bauwerke mit zeitgemäßen Nutzungen zu füllen, die in der Bewirtschaftung nicht die Stadtkasse plündern. In Magdeburg kommt die neue Aufteilung der Funktionen zwischen der Stadthalle und dem Müther-Bau ab 2026 zum Tragen, wenn die Stadthalle ebenso fertiggestellt ist. Bis dahin wird sie von An- und Zubauten befreit, ihre Fassaden werden wieder denkmalgerecht hergestellt und Ergänzungen »im Sinne des Altbaus«, so die Architekten, sind geplant. Auch der dazwischenliegende Außenraum wird in den kommenden Jahren neu gestaltet, sodass hier ein neues Miteinander für möglichst lange Zeit entstehen kann.
Bauherrschaft: Landeshauptstadt Magdeburg, Eigenbetrieb Kommunales Gebäudemanagement
Entwurf 1969: Ulrich Müther, in Zusammenarbeit mit Horst Freytag
Bauausführung 1969: Gerling & Rausch KG
VgV-Verhandlungsverfahren: 2017 – Zuschlag
Entwurf: Umbau Meinhard von Gerkan und Stephan Schütz mit Christian Hellmund
Projektleitung: Sophie von Mansberg, Ursula Köper / [email protected] vollmer
Mitarbeit: Rosaria de Canditiis, Jan-Peter Deml (Visualisierungen) Annett Fabian (BIM), Florian Illenberger, Sonja Kautz, Annette Löber, Bao Wangtao, Maria Wolff, Thilo Zehme (Visualisierungen), Aaron Zuber
Objektüberwachung gmp: Moritz Buchholz, Jessica Neumann, Christoph Rohner, Viktor Saib, in Zusammenarbeit mit A.BB Architekten, Rudolf Droste
Tragwerk/Brandschutz: Prof. Rühle, Jentzsch & Partner, Dresden
TGA: Haupt Ingenieurgesellschaft, Leipzig; Ingenieurbüro Elektrotechnik Dipl.Ing. Andreas Kist, Burg
Lichtplanung: Lichtvision Design, Berlin
Akustik: ADA Acoustics & Media Consultants, Berlin
Leitsystem: Moniteurs GmbH Kommunikationsdesign, Berlin
Straßen-, Tiefbau- und Abwassertechnik: IKM Ingenieurkontor Magdeburg
Bauphysik: Ingenieurbüro Kriegenburg, Magdeburg; ITG Energieinstitut GmbH, Magdeburg
Carbonbeton-Technologie: CARBOCON, Dresden
Bauzeit: BA I 2019–2021, BA II 2021–2024
BGF: 3.948 m²
Kapazitäten
Veranstaltungsbereiche 1-4: 500 Sitzplätze
Seminarräume 2.1/4.2: 127/127 Sitzplätze