Offenheit und Klausur
Elias Baumgarten
16. Oktober 2024
Besonders mit der überlegten Einbettung des Neubaus in die bestehende Anlage und der an den Nachbarhäusern orientierten Bauhöhe überzeugten Staab Architekten 2015 die Jury um Florian Nagler. (Foto: © Marcus Ebener)
Staab Architekten haben die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz um ein neues Seminargebäude ergänzt. Ihre Gestaltung verbindet ein helles Foyer mit Blick auf den Originalschauplatz und in sich gekehrte Räume zur Auseinandersetzung mit der Geschichte.
Es war eine schwierige Architekturaufgabe, die viel Fingerspitzengefühl erforderte: Das Haus der Wannsee-Konferenz, eine der wichtigsten Gedenkstätten zum Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden, benötigte ein neues Seminargebäude. Denn seit der Eröffnung haben sich die Gästezahlen verdoppelt: Heute besuchen über 100'000 Menschen jährlich den Erinnerungs- und Bildungsort. Entstehen sollte der Neubau im Garten der historischen Villa, in der 1942 Vertreter der SS, der NSDAP und verschiedener Ministerien über die – so wörtlich – »Endlösung der Judenfrage« beratschlagt hatten. Es galt Platz zu schaffen für Workshops und Veranstaltungen, ohne die Anlage in ihrer Komposition zu stören.
2015 schrieb Berlins Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen einen Wettbewerb aus, den Staab Architekten vor den Büros Brückner & Brückner und Marte.Marte gewannen. Ihr Entwurf polarisierte zunächst und wurde von der Jury unter der Leitung Florian Naglers intensiv diskutiert, am Ende aber einstimmig zur Weiterbearbeitung empfohlen. Den Ausschlag gab vor allem, dass die Berliner Architekten sich für einen liegenden Baukörper entschieden hatten, der mit seiner niedrigen Höhe zu den Nachbargebäuden passt. Am 8. Oktober nun wurde das Seminargebäude eingeweiht.
Das Seminarhaus steht am südlichen Rand des Grundstücks und öffnet sich zum Garten und zur Villa als Schauplatz der Wannsee-Konferenz. (Foto: © Marcus Ebener)
Gelungen ist die Gestaltung des Bereichs zwischen Neubau und einstigem Gärtnerhaus. Der Außenraum bietet trotz seines schmalen Zuschnitts eine hohe Aufenthaltsqualität. (Foto: © Marcus Ebener)
Blick auf das verglaste Foyer unter dem weit ausschwingenden Dach. (Foto: © Marcus Ebener)
Der Bau steht am Südrand des Grundstücks zwischen dem Rosengarten und dem früheren Gärtnerhaus, das heute eine Cafeteria ist. Zu drei Seiten hat das Seminarhaus geschlossene Sichtbetonfassaden, zum Garten und zur Villa hin öffnet es sich mit einem gläsernen Foyer, das vom weit ausschwingenden Dach überwölbt wird. Warum entschieden sich die Architekten für diese extravagante Geste? Zum einen soll die Wellenform des Gewölbes zwischen dem sonst sehr schlichten Neubau und dem denkmalgeschützten Haupthaus vermitteln. Andererseits ging es auch darum, dem Seminarhaus bei aller Zurückhaltung ein unverwechselbares Gesicht zu geben. Die Wettbewerbsjury bewertete das als »angemessen« und »manieriert« zugleich. Schlussendlich belohnte sie den Mut zur absichtsvollen Form.
Der so gestaltete Eingangsbereich bricht die strenge Geometrie des monolithischen Baus in erfrischender Weise, obschon der Beton-Welle die filigrane Leichtigkeit der Visualisierungen aus dem Wettbewerb leider etwas abhandengekommen ist. Drinnen steht das vom Betongewölbe und seiner raumhohen Glasfront geprägte Foyer in Kontrast zu den mit Holz ausgekleideten Seminarräumen, in denen eine konzentrierte, aber doch behagliche Atmosphäre herrscht. Dass man aus dem vorgelagerten Aufenthaltsbereich einen guten Blick auf den Schauplatz der Wannsee-Konferenz hat, während sich die Seminarräume abwenden, wurde von der Wettbewerbsjury kontrovers diskutiert. Jetzt stellt die Abfolge von Räumen verschiedenen Charakters ihre Vorzüge unter Beweis. In die hölzerne Raumschale sind bewegliche Raumteiler, Einbaumöbel mit Sitznischen sowie die moderne Licht- und Medientechnik integriert. Bei Bedarf lassen sich die drei Seminarräume für je 30 Personen zu einem großen Veranstaltungsraum zusammenschalten, der 150 Menschen fassen kann.
Kraftvoll ist der Kontrast zwischen Betongewölbe und raumhoher Fensterfront des Foyers und den Holzeinbauten der Seminarräume. (Foto: © Marcus Ebener)
Die Seminarräume ermöglichen eine konzentrierte Auseinandersetzung mit der Geschichte. Holzoberflächen sorgen für Behaglichkeit. (Foto: © Marcus Ebener)
Mit dem 425 Quadratmeter großen Gebäude, das 4.15 Millionen Euro gekostet hat, kann der Verein Erinnern für die Zukunft sein Vermittlungs- und Bildungsangebot noch umfangreicher gestalten. »Das ist zwar jederzeit gut«, sagt Direktorin Deborah Hartmann, »aber im Moment ist es besonders dringlich – auch angesichts der antisemitischen Übergriffe, die sich seit dem Hamas-Angriff auf Israel nicht nur in Deutschland massiv steigern«.