»Nur eine weitere Fälschung«
Am 23. Mai wird im Aedes Architekturforum in Berlin die Ausstellung »Five Working Spaces« von Ai Weiwei eröffnet. Im Vorfeld sprach Eduard Kögel mit dem Künstler über sein neuestes Ateliergebäude in Portugal.
Wie bist du auf diesen Standort für das neue Studio in Montemor-o-Novo in Portugal gekommen?
Ich war zu einer Ausstellung nach Portugal eingeladen. Vorher war ich noch nie dort gewesen und wusste nicht einmal genau, wo Portugal liegt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits beschlossen, nach einer Möglichkeit zu suchen, eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Um zu reisen, brauche ich immer ein Visum und einen Aufenthaltsstatus. In Portugal gibt es die Regel, dass man automatisch eine Aufenthaltsgenehmigung erhält, wenn man eine Investition tätigt. Also habe ich investiert. Sie boten mir ein Grundstück mit einem Wohngebäude an, und ich sagte, »okay«. Das wars. Ich habe es nicht mit anderen Standorten verglichen und wusste nicht genau, wo es lag. Wir fuhren im heißen Sommer dorthin, hielten an, sie sagten, »das ist der Ort«, und ich sagte, »okay«.
Du hast den Ort also nicht vorher angeschaut und mit anderen Möglichkeiten verglichen?
Sie haben mir diesen Ort gezeigt und ich habe weder lange gerechnet noch verglichen, ich habe gar nicht versucht, die bestmögliche Wahl zu treffen. Das ist nicht meine Art zu arbeiten. Ich nehme, was kommt, und ich liebe es, Probleme zu lösen. Ich weiche ihnen nicht aus. Für jedes Problem gibt es eine Lösung, und ich tue mein Bestes, um etwas daraus zu machen.
Das Grundstück ist ziemlich groß, mit dem Haus an einem Ende, einem Hain davor und einem offenen Bereich daneben. Wie hast du entschieden, wo das neue Ateliergebäude stehen soll?
Ich begann mit einer kleinen Planung und habe darüber nachgedacht, wie das Studio mit dem Grundstück zusammenhängen sollte. Aber ehrlich gesagt hatte ich schon eine klare Vorstellung davon, wie es sein sollte. Es war gar nicht so kompliziert. Die Landschaftsgestaltung ist wirklich einfach. Es ist ein bisschen wie bei der Einrichtung eines Zimmers: Man überlegt sich einfach, wo was hingehört. Manches gehört in die Ecke, manches ins Bad. Es ist sehr einfach, eigentlich nur gesunder Menschenverstand.
Du hast eine Holzkonstruktion verwendet, die traditionelle chinesische Bautechniken mit konzeptionellen Strategien verbindet, die du immer wieder in deiner Arbeit erforscht hast, wie bei der Dekonstruktion und Neukonzeption von Möbeln, um etwas völlig Neues zu schaffen.
Es ist eine Zusammenfassung all meiner Studien über chinesische Handwerkskunst und das ihr innewohnende Verständnis für die Holzkonstruktion. Aber die Idee entstand aus der Lösung eines Problems, das ich selbst geschaffen habe. Für mich lag es nahe, das 2011 von den Behörden zerstörte Atelier in Malu bei Shanghai neu zu überdenken. Ich wollte es in Erinnerung rufen, aber mit einem völlig anderen Ansatz. Hier in Montemor-o-Novo habe ich eine Holzkonstruktion verwendet, die vom Möbelbau inspiriert ist. In mancher Hinsicht ist es dasselbe, aber doch auch völlig anders. In Malu war das Gebäude ein Stahlbetonbau mit Ziegelausfachung und vielen verschiedenen Räumen.
Welche Verbindung besteht zwischen der historischen Bautechnik und ihrer Anwendung beim Bau dieses Studios?
Es ist eine konzeptionelle Methode.
Wie hast du die Größe entschieden? Du hättest ja auch ein kleineres Gebäude bauen können.
Das ist eine gute Frage. Ich habe nach der maximalen Spannweite des Holzes gefragt, die sechs Meter beträgt. Die Höhe konnte auch fünf bis sechs Meter sein, das ist also eine Einheit. Ich brauchte drei Einheiten, um die richtige Proportion zu erhalten. Insgesamt ergibt das 18 mal 18 Meter, was wiederum 54 mal 54 Meter für die gesamte Struktur ergibt. Ich wollte es weder vergrößern noch verkleinern, weil ich einen Innenhof in der Mitte brauchte. Wenn die Struktur zu klein wäre, wäre ein Innenhof nicht möglich.
Die Größe des verfügbaren Holzes bestimmte also die Dimension des Projekts?
Im Prinzip ja, aber man könnte natürlich auch längere Holzbalken finden.
Die Stützen stehen auf einer Art Punktfundament?
Genau, 100 Punkte für die Betonfundamente der Stützen. Es gibt einen Zementboden und lokalen Stein für den Bodenbelag. Die runden Sockel für die Säulen bestehen aus lokalem Stein, der maschinell geschnitten wurde und sehr glatt ist. Außerdem haben wir lokales Douglasienholz, lokale Ziegel und lokale Fliesen verwendet. Der Grund für die Verwendung der lokalen Materialien war, dass wir sie kostengünstig bekamen.
Ist das Innere ein einziger offener Raum oder dient es verschiedenen Zwecken?
Es ist ein völlig offener Raum mit einem Innenhof in der Mitte. Er funktioniert am besten, wenn man nichts in ihn hineinstellt, weil die Leere selbst das Gebäude ist. Das umgebende Volumen und die Struktur sollen einen funktionalen Zweck erfüllen. Es ist ein eingeschossiges Gebäude, aber in einem Bereich habe ich eine zweite Ebene eingebaut. Der Grund dafür ist, dass man näher an die Decke herankommt. Sonst hätte man überall den gleichen Abstand zur Decke. Für mich geht es um die menschliche Erfahrung innerhalb des Gebäudes, wobei Maßstab und Proportionen entscheidend sind.
Welche architektonischen Besonderheiten weist dieses Gebäude im Vergleich zu traditionellen Bauweisen auf?
Um es genau zu sagen: Dieses Gebäude bedient sich des Vokabulars der chinesischen Möbel. Die Holzverbindungen sind ohne einen einzigen Nagel zusammengefügt, und die Fugen sind nicht sichtbar. Der große Unterschied zu einem traditionellen Gebäude besteht darin, dass es mit einem regelmäßigen Stützenraster gebaut ist, auf dem das Dach um 30 Grad gedreht aufgesetzt ist. Dadurch wird die Verbindung zwischen den Stützen und der Dachkonstruktion völlig aus dem Gleichgewicht gebracht und das Ganze wird sehr unregelmäßig.
Was haben die Handwerker dazu gesagt?
Das war mir eigentlich egal, aber sie fanden es gut. Es kostete nur mehr Zeit, was bedeutete, dass sie mehr Geld verdienten.
Wie hast du sie ausgebildet?
Ich muss sie nicht schulen. Alles wird mit dem Computer erledigt; die Arbeiter schulen sich selbst, ähnlich wie bei ChatGPT. Ich habe klare Baupläne vorgelegt, und wir haben uns zur Besprechung der Details getroffen. Das war eine Herausforderung, weil sie nur wissen, wie man die Maschinen bedient. Niemand weiß, wie man die Arbeit von Hand macht; alle verlassen sich auf die Maschinen, und das hasse ich wirklich.
Das komplizierte Zickzack-Profil des Dachabschlusses, das durch die Drehung des Daches um 30 Grad entstand, erinnert mich an einen Drachen.
An einen Drachen? Das liegt nur daran, dass sich das Dach, wenn man es verdreht, auf natürliche Weise so entwickelt. Man kann es nicht ändern, weil alles andere dieser Richtung folgen muss. Es ist sehr interessant: Eine einfache Bewegung und alles ändert sich. Das ist nicht mein Design, das ist nur Logik. Denn die Logik ist viel mächtiger als Design.
Es steht da wie ein Denkmal, und die Besucher werden wahrscheinlich neugierig auf seine Funktion sein. Siehst du es als ein Kunstwerk, das zum Nachdenken und zum Erinnern anregt?
In erster Linie ist es ein privates Gebäude. Jeder fragt mich, wofür es genutzt werden soll, ob es ein Museum oder eine Stiftung sein wird. Ich sage ihnen, dass es leer sein wird. Darauf antworten sie: »Wovon redest Du? Da sind so viel Zeit, Geld und Mühe hineingeflossen.« Für mich ist die Qualität des Volumens und des Gebäudes selbst das Wichtigste. Es ist interessant, denn die meisten Gebäude sind für eine bestimmte Nutzung konzipiert. Bei meinem Gebäude ist die Nutzung das Gebäude selbst, sein strukturelles Konzept. Das ist die Nutzung.
Ist es also eher ein Kunstwerk?
Es ist ein Raum mit Potenzial. Man könnte dort Fahrrad fahren, modernen Tanz machen, Wohltätigkeitsveranstaltungen abhalten oder was auch immer. Ich werde ihn nicht nutzen.
Ich nehme an, du brauchtest eine Baugenehmigung. Wie hast du das Gebäude für die Behörden beschrieben?
Eine Architektin aus der Gegend half mir. Sie fertigte die Zeichnungen an und verhandelte mit den Behörden. Für die nannte ich es ein Lagerhaus. Da es sich um ein landwirtschaftliches Gebiet handelt, kann man kein Museum, keine Galerie oder etwas Ähnliches bauen. Sie fragten mich, was ich dort unterbringen wolle, und ich sagte ihnen, Sonnenblumenkerne. Ich habe nicht gesagt, dass die Sonnenblumenkerne aus Keramik sind. Es ist tatsächlich nur eine weitere Fälschung.
Die Ausstellung »Five Working Spaces« feiert am 23. Mai um 18.30 Uhr im Aedes Architekturforum (Christinenstraße 18–19, 10119 Berlin) Vernissage. Es sprechen Hans-Jürgen Commerell und Mathias Schnell von Aedes, der Stadtplaner, Autor und Publizist Eduard Kögel sowie der Künstler Ai Weiwei.
Die Schau ist bis zum 2. Juli zu sehen. Die Öffnungszeiten sind montags von 13 bis 17 Uhr, dienstags bis freitags von 11 bis 18.30 Uhr sowie donnerstags bis 20 Uhr. An Sonn- und Feiertagen ist ein Ausstellungsbesuch von 13 bis 17 Uhr möglich.