Im Herbst wird das neue Kunstdepot in Rotterdam eröffnet

Mehr als eine Salatschüssel

Cornelia Ganitta
19. Mai 2021
Das Rotterdamer Kunstdepot liegt mitten im Museumpark. Im Hintergrund rechts Het Nieuwe Instituut, 2020 (Foto: © Ossip van Duivenbode)

Anlass für den Bau eines Kunst-Speichers in der niederländischen Hafenstadt waren Platzprobleme: Das von Ad van der Steur entworfene und 1935 eingeweihte Museum Boijmans van Beuningen platzte aus allen Nähten. Was tun mit 151'000 Kunstobjekten, die im Keller eines Museums lagern, wo sie a) kaum einer sieht und sie b) von stets wiederkehrendem Hochwasser bedroht sind? Diese Frage stellte sich auch Sjarel Ex, der die Geschicke des Hauses seit 2004 leitet und die gesammelte Kunst in einem weiteren Gebäude archivieren wollte. Das Depot ist eine Art offener Kunstraum, der die Arbeit an und mit den archivierten Objekten sichtbar macht. Laut Sjarel Ex lagerten in den meisten Museen etwa 92 % der Kollektion in den Kellern. „Das entspricht nicht unserer Auffassung von einer modernen Kunstvermittlung. Indem wir zeigen, wie Dinge verpackt, konserviert, restauriert und auf den Weg gegeben werden, wollen wir eine andere Form der Kunstteilhabe ermöglichen“, so der Niederländer, der seinen Landsleuten ein großes Kunstinteresse bescheinigt. So würden die 430 Museen des Landes jährlich von rund 30 Millionen Menschen besucht und das Boijmans van Beuningen gehöre mit rund 300'000 Besuchern (Stand: 2019) dabei zu den am stärksten frequentierten.

Innenansicht während der Bauzeit (Foto: © Rob Glastra)

Mit dem Depot dürften dies noch weit mehr werden. Nach einem Entwurf von MVRDV wurde es in nur vier Jahren erbaut. Auffälligstes Kennzeichen: die Spiegelfassade, die sich mit 6'609 Quadratmetern Gesamtfläche von unten nach oben erstreckt. Kaum, dass die ersten der insgesamt 1664 zwei- und dreiachsig gekrümmten, in China gefertigten Glaspaneele befestigt waren, wurden sie zum begehrten Foto-Objekt. 
MVRDV-Chef Winy Maas gehört zu den Architekten, die sagen, wir müssen in die Luft bauen, um angesichts einer rasant steigenden Weltbevölkerung und Klimakrise (angenehmes) Wohnen noch möglich zu machen. Im Fall des Depots bezieht sich das zwar nicht auf die Höhe des Gebäudes, aber auf die Tatsache, dass die Kunstgegenstände künftig erst ab sechs Metern Höhe gelagert werden. Schließlich befindet sich ein Drittel des Landes unter dem Meeresspiegel – so auch Rotterdam.
Mit 39,50 Metern Höhe übertrumpft der Neubau bewusst nicht den Turm des benachbarten Museums Boijmans van Beuningen, das seit Mai 2019 für bislang veranschlagte 234 Millionen Euro von Mecanoo umgebaut wird (geplante Eröffnung: 2026). Die kreisrunde Form des Kunstdepots weitet sich nach oben hin von 40 auf 60 Meter Durchmesser. Das, was damit an Parkfläche unten fehlt, wurde als Dachgarten oben wieder aufgesetzt. Mehr als 70 meterhohe Birken säumen die Terrasse neben dem Restaurant, das sich in einem kreuzförmigen Pavillon befindet, der für Veranstaltungen gemietet werden kann. Dieser Teil des Hauses wird auch unabhängig vom Besuch des Depots zugänglich sein. Und das ist gut so, denn von hier oben hat man eine fantastische Aussicht auf die Stadt, der man beim Skyscraper-Wachstum förmlich zusehen kann.

Spektakuläre Ergänzung in der Skyline von Rotterdam (Foto: © Ossip van Duivenbode)

Besucher des 15'500 Quadratmeter Nutzfläche umfassenden, sechsstöckigen Gebäudes können sich alleine oder geführt umsehen. Umgeben von Kunst werden sie über fünf große Zickzack-Treppen im Stil von Giovanni Piranesi nach oben geleitet. Kunstwerke hängen entweder an Ziehgestellen oder sie sind in einer der 13 riesigen Vitrinen ausgestellt, die im Atrium hängen. Drucke, Zeichnungen und Fotografien werden in geschlossenen Räumen untergebracht, wo man sie auf Anfrage betrachten kann. Die Kunst wird nicht nach Epoche, sondern entsprechend ihrer klimatischen Anforderungen in fünf verschiedenen Klimazonen gelagert. 
Wo immer möglich, wurden im Neubau nachhaltige Materialien verwendet. Das Gebäude ist ausgestattet mit einem geothermischen Wärmetauscher, Photovoltaik, LED-Lampen sowie einem Regenwasserspeicher, der Wasser für den Dachgarten und die Toilettenanlagen liefert. Ausstellungen allerdings soll es im Haus nur in begrenztem Umfang geben – und das Sammeln von Kunst im Fokus bleiben.

Dass ein solches Konzept seinen Preis hat, liegt auf der Hand. Rund 92,5 Millionen Euro (inkl. Einrichtung) muss das Museum dafür berappen, 27,6 Millionen steuert die philanthropische Stiftung De Verre Bergen bei. Der Rest trägt sich über die Stadt, Spenden, Eintritte und die Vermietung von Depoträumen an private Sammler. Und doch nimmt man das gern in Kauf für diesen einzigartigen Bau, für den minimal 150'000 Besucher pro Jahr angepeilt werden. „Wir wollen jedes Mal etwas Neues, etwas noch nie Dagewesenes zeigen“ ist ein Grundsatz von Winy Maas. Nach ikonischen Entwürfen weltweit und der MVRDV-Heimat selbst (Markthal Rotterdam, 2014), scheint es ihm und seinem Team einmal mehr gelungen.

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