Jan Beng Oei: Aus Jakarta in die schwäbische Provinz

Eduard Kögel
22. Februar 2023
Jan Beng Oei, 2022 (Foto © Steffen Oei)

Vor 50 Jahren starb Hans Scharoun (1893–1972), der in seiner Genialität immer auch etwas eigenbrötlerisch blieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterrichtete er an der Technischen Universität Berlin die Nachkriegsgeneration in seinem besonderen Architekturverständnis des Neuen Bauens, das von Frank Lloyd Wright inspiriert war, und er betrieb sein eigenes Büro, in dem eine Reihe von jungen Architekten arbeiteten. In einer kleinen Serie stellen wir hier einige seiner ehemaligen Mitarbeiter und Studenten vor, die aus unterschiedlichen Gründen in seinem großen Schatten blieben.

Jan Beng Oei (*1933) begann sein Studium 1952 in Bandung. Als Student gewann er an der Hochschule einen Wettbewerb für vorgefertigten Wohnungsbau, als dessen ersten Preis die amerikanische Asia Foundation ein einjähriges Stipendium in den USA ausgelobt hatte. Oei ging nach Kalifornien und erweiterte seine Erfahrungen mit Praktika, zum Beispiel Anfang 1957 für zwei Monate bei Victor Gruen Associates in Los Angeles. Danach ging er für einige Wochen zu Frank Lloyd Wright (1867–1959) nach Taliesin West in Arizona. Jan Beng Oei wechselte an die Technische Hogeschool Delft, wo schon viele andere indonesische Kollegen studierten. Aufgrund politischer Spannungen zwischen den Niederlanden und Indonesien ging er zusammen mit acht Studienkollegen nach kurzer Zeit an die TU Berlin, vor allem, weil sie von Hans Scharoun (1893–1972) begeistert waren. Zu diesem Thema fand gerade zur Jahreswende eine Ausstellung in Jakarta statt.

Jan Beng Oei Diplom Filmstudio Indonesia, 1960 (Foto © Jan Beng Oei, Architekturmuseum der TU Berlin, Inv. Nr. 68891)
1. Preis im Wettbewerb für ein Hallenbad in Fellbach, 1963 (Plan: Jan Beng Oei)
Studium in Berlin

Jan Beng Oei erhielt sein Diplom im April 1960 für den Entwurf eines Filmstudios in Indonesien bei Professor Kurt Dübbers. Schon während des Studiums arbeitete er für die Professorin und Landschaftsarchitektin Herta Hammerbacher (1900–1985) und für Hans Scharoun; für letzteren baute er für die Philharmonie Arbeitsmodelle im Maßstab 1:20. Nach dem Diplom vermittelte Scharoun den jungen Architekten Oei in einer Art Ringtausch nach Stuttgart in das Büro des chinesisch-stämmigen Chen Kuen Lee, (1915–2003), und von dort wechselte Stephan Heise in das Büro Scharoun.

Schon bald machte sich Jan Beng Oei selbständig und beteiligte sich an öffentlichen Wettbewerben. 1963 gewann er beim Wettbewerb für ein Hallenbad in Fellbach den ersten Preis mit einem polygonalen und vielgestaltigen Baukörper. Die Stadtverwaltung erklärte: „Der Entwurf von Jan Beng Oei ist ohne Zweifel von hoher architektonischer Qualität“, aber beauftragte dennoch den zweiten Preisträger.

Jakob Andreä Haus in Waiblingen, gebaut 1968 (Foto 2022 © Moritz Bernoully)
Vortragssaal im Jakob Andreä Haus in Waiblingen (Foto 2022 © Moritz Bernoully)

Mit einem weiteren gewonnenen Wettbewerb für das Jakob-Andreä-Haus in Waiblingen, ein Gemeindezentrum der evangelischen Kirche, konnte er bis 1968 sein erstes Projekt realisieren und sein Büro aufbauen. Da die Bauten trotz zwischenzeitlich erfolgter Wärmedämmung weder technisch noch funktional den heutigen Bedürfnissen entsprechen, wurde ein Wettbewerb für Umnutzungskonzepte durchgeführt. Obwohl nun neue Ideen für das Ensemble vorliegen, steht es vor dem Abriss.

 

Schnitt, ‚Wohncity‘ in Fellbach, 1966–1976. Architekten: EOS (Plan: Archiv der Stadt Fellbach)
‚Wohncity‘ in Fellbach. Architekten: EOS. (Foto 2022 © Moritz Bernoully)
Eingang Passage und Tiefgarage in der ‚Wohncity‘ in Fellbach. Architekten: EOS (Foto 2022 © Moritz Bernoully)
Stadtsanierung Fellbach

Noch in den Sechzigerjahren bahnte sich das größte Projekt für Jan Beng Oei an; die Stadtsanierung in seiner neuen Wahlheimat Fellbach, die er in der Arbeitsgemeinschaft EOS umsetzte. Im Kontext der zwei- bis dreigeschossigen Satteldachhäuser zeugt der bis zu zwölf Geschosse hohe Komplex mit einer innenliegenden Mall vom Diskurs einer „Urbanität durch Dichte“, die damals die Fachwelt beschäftigte. 

Mit einem radikalen Konzept testeten Oei und seine Kollegen hier mit einem gemischt genutzten Stadtbaustein neue urbanistische Ideen, die schon während der Bauzeit in der Kritik standen und so heute nicht mehr möglich wären. Und so titelt die lokale Presse immer noch, „Wie lebt’s sich im umstrittenen Wohnklotz?“, wobei dann die Antwort erstaunlich positiv ausfällt. Für die Bewohnerinnen sind die zentrale Lage in der Stadt sowie die grandiose Aussicht in das Umland von unschlagbarem Wert.

1. Preis im Wettbewerb für die Lindenhalle in Ehingen, 1978 (Plan: Jan Beng Oei + Partner)
Front der Lindenhalle in Ehingen. Architekten: Jan Beng Oei + Partner (Foto 2022 © Moritz Bernoully)
Blick vom Foyer zum Park, Lindenhalle in Ehingen. Architekten: Jan Beng Oei + Partner (Foto 2022 © Moritz Bernoully)
Die Lindenhalle in Ehingen und das Bürgerzentrum in Waiblingen

Ab 1978 ist Hartmut Bromberger als Partner beteiligt und das Büro firmiert als Jan Beng Oei + Partner. Die Kleinstadt Ehingen, die 1980 circa 22.000 Einwohner hatte, liegt an der Donau ungefähr dreißig Kilometer südwestlich von Ulm. Den Wettbewerb für die dortige Lindenhalle gewann Jan Beng Oei 1978. Die Halle hat zwei verschieden große Veranstaltungssäle für bis zu 750 Besucher, der größere ist mit einem Orchestergraben ausgestattet. Die multifunktionale Nutzung erlaubt Konzerte, Theateraufführungen, Vorträge, Konferenzen, Ausstellungen und Bürgerversammlungen. Zusätzlich sind in den Komplex eine Kegelbahn, ein kleines Hotel und ein Restaurant integriert. Der polygonale Grundriss fächert den Bau zur Landschaft auf und das großzügig verglaste Foyer verbindet innen und außen. Mit einer subtilen Farbgebung aus Rosa, Gelb- und Grüntönen für die Pfosten-Riegel-Konstruktion und der außenliegenden Verschattung wirkt die Fassadengestaltung filigran.

Kurz nach der Lindenhalle in Ehingen gewann das Büro den Wettbewerb für das deutlich größere Bürgerzentrum in Waiblingen (1979–1985). Ähnlich wie in Ehingen liegt im Kern des polygonalen Baukörpers die Kegelbahn, über der sich die großen stützenfreien Säle in aufgefächerter Form angliedern. Eine großzügige Eingangshalle zieht sich vom Erdgeschoss auf das erste Obergeschoss zur Eingangszone der Säle. Das verglaste Foyer erlaubt eine direkte Beziehung zwischen Innenraum und Parklandschaft.

Bürgerzentrum in Waiblingen, 1979–1984 (Plan: Jan Beng Oei + Partner)
Bürgerzentrum in Waiblingen mit Brunnenanlage des deutsch-türkischen Künstlers Hüseyin Altin. Architekten: Jan Beng Oei + Partner (Foto 2022 © Moritz Bernoully)
Großer Saal im Bürgerzentrum in Waiblingen, 2022. Architekten: Jan Beng Oei + Partner (Foto 2022 © Moritz Bernoully)
Zurück in Berlin

Im Februar 1991 gewann Jan Beng Oei + Partner den Wettbewerb für das Sport- und Badezentrum Ostpreußendamm in Berlin. Zwei Jahre später sollte Baubeginn sein. Doch es kam anders. Die Komposition aus Dreieck (Spaßbereich), Rechteck (Schwimmhalle) und Kreis (Sprungtürme) sollte mit weiteren kleinen Bauformen zusammen mit verschiedenen Außensportanlagen und einer Sporthalle eine Architekturlandschaft werden. Wahrscheinlich war diese spielerische Komposition im preußischen Berlin einfach zu heiter, sodass am Ende „wegen Geldmangel“ nicht gebaut werden konnte. Hier schloss sich ein Kreis zum ersten Wettbewerbsgewinn für ein Hallenbad in Fellbach 1963, das die Stadtväter wegen seiner „sehr lebendig gegliederten“ Gestaltung abgelehnt hatten.

1. Preis im Wettbewerb für das Stadtbad in Berlin-Steglitz, 1991. Architekten: Jan Beng Oei + Partner
Die Architektur im Kontext

Das Werk von Jan Beng Oei findet sich vor allem im süddeutschen Raum und ist ein wichtiger Beitrag zum Bauen der öffentlichen Hand, das über Wettbewerbe entschieden wurde. Aber sein Werk kann auch Antworten liefern, wie in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts die Integration von hoch qualifizierten Emigranten im Bereich der Architektur möglich war. Oei befasste sich mit städtebaulichen Projekten, öffentlichen Bauten wie Schulen, Sporthallen, Hallenbäder, Rathäuser, kirchliche Gemeindezentren und Kulturhäusern, die er in der Regel durch Wettbewerbsgewinne akquirieren konnte.

Jan Beng Oei lieferte mit seinen Bauten einen komplexen und doch eigenständiger Beitrag, der von der Landschaftsgestaltung über den Städtebau bis hin zur Innenarchitektur aus einer Haltung gedacht und umgesetzt ist. Die zwei herausragenden Bauten des Büros, das maximal 16 Mitarbeiter hatte, sind das Kultur- und Tagungszentrum Lindenhalle in Ehingen sowie das Bürgerzentrum in Waiblingen. Obwohl aus heutiger Perspektive manches Detail und auch das eine oder andere Material deutlich dem damaligen Zeitgeist geschuldet sind, so bleibt doch der lebendige und subtile Raumbezug, der Architektur und Natur zusammen denkt. Die filigrane Fassadengestaltung der Lindenhalle in Ehingen ist über die Region hinaus ein bedeutender Beitrag zum Architekturdiskurs, der auch zeigt, dass neben den damals aufkommenden postmodernen Tendenzen qualitätsvolle Lösungen gefunden wurden, die jenseits marktschreierischer Signature Architecture bis heute bestehen kann.

Nach der Jahrtausendwende zog sich Jan Beng Oei, der im Mai seinen neunzigsten Geburtstag feiert, schrittweise aus dem aktiven Geschäft zurück und übergab das Architekturbüro an seine Söhne Thomas und Steffen Oei, die seit den Neunzigerjahren Partner waren. Der dritte Sohn Marc Oei arbeitete seit Ende der Achtzigerjahre im Büro des kürzlich verstorbenen Arno Lederer, wo er heute in dem aus dem Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei hervorgegangenen Büro LRO als geschäftsführender Gesellschafter tätig ist.

Projektliste Jan Beng Oei
(Auswahl aus den realisierten Bauten)

– Jakob-Andreä-Haus, Waiblingen (1964/65–1968) 
– ‚Wohncity‘, Fellbach (1966–1976, als Arbeitsgemeinschaft EOS)
– Pavillon der Kirchenpflege, Fellbach (1972)
– Lindenhalle Ehingen (1978–1984, Jan Beng Oei + Partner)
– Bürgerzentrum Waiblingen (1979–1985, Jan Beng Oei + Partner)
– Kongresshotel und Kulturzentrum Palatin, Wiesloch (1988–1992, Jan Beng Oei + Partner)


Bisher in der Reihe erschienen:

Architekt Chen Kuen Lee sah das Bauen als die Fortsetzung der Landschaft mit anderen Mitteln, um so das alltägliche Leben der Nutzer mit der Natur zu verknüpfen – lange bevor Ökologie ein Schlagwort war. Lee arbeitet zwischen 1937 und 1941 sowie 1949 bis 1954 bei Hans Scharoun, den er als seinen Meister ansah. Im Rückblick wird deutlich, dass es eine gegenseitige Einflussnahme war, denn im Diskurs mit ihm lernte Scharoun etwas über die traditionelle chinesische Philosophie, die den Menschen als Teil der Umwelt sieht. Eduard Kögels Artikel zum Architekten erschien bei uns im Mai.

Die Liste der von Stephan Heise (1928 – 2017) realisierten Bauten blieb kurz. In seinem von ihm selbst angelegten Werkverzeichnis werden zwar 53 Positionen aufgelistet, wozu er auch die im Studium gemachten Entwürfe zählte. Er selbst verstand sich als baumeisterlichen Künstler, der von Hans Scharoun die wesentlichen Impulse empfangen hat und den er bis ins hohe Alter sehr verehrte. Obwohl seine Bauten durchaus hohen künstlerischen Stellenwert haben, sind sie eigentlich fast nie in der Fachpresse besprochen worden. Den Artikel über ihn können Sie hier nachlesen.

Gisela Schmidt-Krayer (*1938) stammt aus einer Architektenfamilie, wo bereits der Großvater, der Vater und der Bruder den Beruf des Architekten ausübten. Sie studierte bis zum Vordiplom an der TH Stuttgart. Für ein Praktikum kam sie dann nach Berlin, u. a. ins Büro von Hans Scharoun. Das Hauptstudium an der TU Berlin schloss sie im Juni 1965 bei Bernhard Hermkes ab. Die Scharounsche Idee eines „Raums der Mitte“, der dem Bauensemble ein Zentrum geben sollte, finden sich nicht nur in der Diplomarbeit, sondern auch in anderen frühen Projekten der Architektin. Den Beitrag zu ihren Arbeiten finden Sie hier.

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