Erinnerung und Aufbruch

Elias Baumgarten | 31. Januar 2025
Blick vom Fraenkelufer auf das neue Gemeindezentrum (Visualisierung: © Staab Architekten, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten)

Eine Krone aus gemauerten Bögen, drei große Bullaugenfenster und eine Pflanzen-Frisur auf dem Dach – der Entwurf für das jüdische Gemeinde- und Kulturzentrum Fraenkelufer hat etwas Lebensfrohes. Gleichzeitig wirken die drei steinernen, von Arkaden gesäumten Kuben würdevoll und durchaus monumental. Ihre heiter anmutenden Rundfenster sind ebenso wie die Fassadengliederung als Ganzes ein Verweis auf die Geschichte. Mit dieser Mischung haben Staab Architekten die richtige Lösung für eine schwierige Architekturaufgabe gefunden: Ihre Anlage wird am Platz der einst größten Synagoge Berlins entstehen. Der neoklassizistische Bau des Architekten Alexander Beer war während der Novemberpogrome 1938 von den Nationalsozialisten zerstört worden. Erhalten blieb nur sein Westflügel, der bis heute von der jüdischen Gemeinde genutzt wird. Hier begann bereits im Spätsommer 1945 der Wiederaufbau des jüdischen Lebens in Berlin. 

Lange blieb dieser wichtige Ort des Erinnerns, aber auch des Neuanfangs unbebaut. Doch seit 2012 werden Pläne für einen Wiederaufbau vorangetrieben. Wurde anfangs eine Rekonstruktion der alten Synagoge diskutiert, soll nun ein Gemeindezentrum mit vielfältigen Kultur- und Bildungsangeboten, einer Kindertagesstätte und einem großen Festsaal entstehen. Sogar ein Café, in dem koschere Speisen und Getränke serviert werden, ist geplant. Dafür wollen der Verein Jüdisches Zentrum Synagoge Fraenkelufer und die landeseigene Immobiliengesellschaft berlinovo 24 Millionen Euro ausgeben. Voriges Jahr schrieben sie einen Architekturwettbewerb aus, zu dem sechs Planerteams eingeladen wurden. 12 weitere qualifizierten sich in einem vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb. Die Jury, der auch Berlins Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt und Clara Herrmann, die Bezirksbürgermeisterin des Stadtteils Friedrichshain-Kreuzberg, angehörten, entschied sich für den gemeinsamen Entwurf von Staab Architekten und dem Landschaftsarchitekturbüro Atelier Loidl. 

»Der Wettbewerbsbeitrag konnte sich sowohl aufgrund der sehr guten Übersetzung des Raumprogramms in Grundrisse und Baukörper als auch aufgrund des gelungenen gestalterischen Ausdrucks für die Planungsaufgabe einstimmig im Preisgericht durchsetzen.«

Petra Kahlfeldt, Berlins Senatsbaudirektorin 

So soll es im großen Festsaal des Gemeindezentrums einmal aussehen. (Visualisierung: © Staab Architekten, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten)
Freistehend verknüpft

Die neue Anlage wird nicht an die Blockrandbauten ringsherum andocken. Das Gemeindezentrum steht frei und lässt Abstand zu den Brandwänden der Nachbarhäuser. Gerade das wird ihm eine große Wirkung im Stadtraum verschaffen, wie sie auch der Vorgängerbau hatte. Das Ensemble besteht, wie schon angedeutet, aus drei Bauten, die durch Arkaden verbunden sind und Gärten im Blockinneren fassen. Der größte Kubus nimmt den Gemeindesaal auf. Mit seinen fünf Stockwerken, der besagten Bogenreihe als Dachabschluss und den Rundfenstern prägt er das Bild der Anlage. Nebenan wird ein niedrigeres Empfangsgebäude gebaut, und rückseitig an der Kohlfurter Straße entsteht die Kindertagesstätte. Am Fraenkelufer wird ein zweigeteilter Platz angelegt: Der kleinere Teil vor dem Empfangsgebäude soll ein öffentlicher Festplatz sein, der größere vor dem Hauptbau ist als eingefriedeter Grünraum gestaltet.

Leider müssen jüdische Einrichtungen in Deutschland mit Mauern geschützt werden – auch am Fraenkelufer. Die Architekten haben die Anlage jedoch in der Hoffnung geplant, dass solche Maßnahmen in Zukunft nicht mehr nötig sein werden. Dann ließe sich zum Beispiel an der Kohlfurter Straße ein zusätzlicher Eingang zur Kindertagesstätte öffnen. Bis es so weit ist, stört die Anlage trotz ihrer Mauern die Durchlässigkeit des Blocks nicht, und die Nachbarn können ihre Höfe weiterhin gut nutzen. 

Lageplan (© Staab Architekten, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten)
Behaglichkeit durch Lowtech

Ein Ziegelkleid bindet die Bauten optisch zusammen und verleiht ihnen eine Anmutung von Dauerhaftigkeit. Die Gebäudesockel werden aus 60 Zentimeter dickem Dämmbeton gebaut, darüber bestehen die Wände aus einem zweischaligen Mauerwerk: Wärmedämmende Hochlochziegeln werden geschützt von einer wasserabweisenden, frostsicheren Außenschicht. Weil diese Konstruktion eine hohe Eigenpassivität besitzt, sich also im Sommer nur langsam erwärmt und im Winter gut isoliert, kommt das Gemeindezentrum ohne aufwendige Haustechnik und dicke Dämmschichten aus umweltschädlichen Materialien aus. Die Innenräume werden geprägt von Kappendecken aus Stahlbetonfertigteilen sowie Holzbetonverbunddecken. 

Staab Architekten und Atelier Loidl werden ihren Entwurf nun zügig weiter ausarbeiten. Denn schon für den 9. November kommenden Jahres, also zum 88. Jahrestag der Reichspogromnacht, ist die feierliche Grundsteinlegung geplant. 

Grundriss Erdgeschoss (© Staab Architekten, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Staab Architekten, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten)
Grundriss 2. Obergeschoss (© Staab Architekten, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten)
Grundriss 3. Obergeschoss (© Staab Architekten, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten)
Grundriss 4. Obergeschoss (© Staab Architekten, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten)
Querschnitt (© Staab Architekten, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten)
Längsschnitt (© Staab Architekten, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten)

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