Eine Frage der (Architektur)Vermittlung

Katinka Corts | 27. Juni 2025
Die Schau »Architektur in Zeiten des Klimawandels« lädt zum Anfassen und Mitmachen ein. Sie ist für ein breites Publikum gestaltet. (Foto: © Norbert Miguletz)

Im Deutschen Architekturmuseum (DAM) – das seit Anfang Juni nach abgeschlossenen Umbau- und Sanierungsarbeiten wieder am Frankfurter Schaumainkai zu finden ist – läuft aktuell die Ausstellung »Architecture and Energy. Bauen in Zeiten des Klimawandels«. Das Ziel der Schau sei es, so das DAM-Team, dem Publikum zu vermitteln, wie direkt die Architektur und damit das Bauen mit Energiefragen und Emissionen zusammenhängen – und wie sehr beide voneinander abhängen. Dafür hat das Kuratorium Best-Practice-Beispiele gesammelt, anhand derer unterschiedliche Maßnahmen vorgestellt werden, die bei der Planung und Realisierung der Objekte zu mehr Umweltverträglichkeit und Zukunftstauglichkeit geführt haben. 

Die 25 gezeigten Projekte, von denen zwei ganze Orte als Beispiele für nachhaltige Planung sind, wurden zwischen 2013 und 2024 fertiggestellt, was allein schon einen interessanten Zeitraum öffnet: Im vergangenen Jahrzehnt hat das nachhaltige und klimagerechte Bauen wieder einen größeren Stellenwert eingenommen, als es das in den vorhergehenden Dekaden hatte. War das Nachdenken über alternative Materialien und Bauweisen lange Zeit eher bei engagierten Büros als bei Investoren und Bauherrschaften zu finden, ist es nun stärker in die Mitte der Gesellschaft gerückt – denn wir spüren die Hitze in der Stadt, wir nehmen wahr, welcher Aufwand inzwischen zur Kühlung von Gebäuden betrieben werden muss. Wir merken im eigenen Umfeld, welche Auswirkungen nicht nur die Hitze, sondern auch Starkwetterereignisse haben. 

Während das Kuratorenteam des deutschen Beitrags zur aktuellen Architekturbiennale von Venedig diese Empfindungen für jeden körperlich erfahrbar macht, wählten die Gestalter der DAM-Ausstellung einen ähnlichen Weg: »Architektur in Zeiten des Klimawandels« richtet sich ebenso an alle, die Schau erklärt, lädt zur Teilnahme und zum Anfassen ein. Denn: Dass Laien die Komplexität des Bauens unterschätzen, ist verständlich. Das bedeutet aber nicht, dass man sich nicht trotzdem um sie bemühen sollte, stellen sie doch die Mehrheit der Nutzenden der um uns entstehenden Architekturen dar. Schließlich sind alle betroffen, alle müssen eine Wahrnehmung für die Veränderungen ihrer Umwelt entwickeln und können anhand der Ausstellung besser verstehen, warum welche Maßnahmen getroffen und welche Baumaterialien gewählt wurden für ein Projekt. 

Blick in die Ausstellung (Foto: © Norbert Miguletz)
Foto: © Norbert Miguletz

In der Ausstellung gesellen sich zur Mehrheit an deutschen Projekten auch internationale Beispiele aus Dänemark, Frankreich, Spanien und der Schweiz. Das Freiburger Rathaus, das Christoph Ingenhoven Architects 2017 fertiggestellt haben, ist nicht nur Teil der Ausstellung, sondern ziert auch mit seinem markanten Innenhof das Cover des gleichnamigen Buches, das begleitend im Hirmer Verlag erschienen ist und den Inhalt der Schau größtenteils spiegelt. Während die sieben ergänzenden Essays lediglich im Buch zu finden sind, kann man die Modelle zu einigen der vorgestellten Projekte nur in der Ausstellung studieren. Ebenso nur im DAM zu sehen ist die Schau »Do you speak Carbon«, mit der das Kopenhagener Büro Henning Larsen dort gastiert, während auch das Karlsruher Institut für Technologie neuartige Baustoffe präsentiert.

Die notwendige Flexibilität, die Bauschaffende künftig im Umgang mit Baustoffen etablieren sollten, zeigt sich beispielhaft an einem öffentlichen Bau in Dänemark: In Søborg, einem Stadtteil der Gemeinde Gladsaxe nordwestlich von Kopenhagen, haben Lendager Arkitekter den Kindergarten The Swan geplant. Er besteht zu einem großen Teil aus Elementen, die beim Abriss des Vorgängerbaus gewonnen wurden. Neben der alten Schuluhr, die als Erkennungsmerkmal erneut montiert wurde, stammen auch alle Dachziegel, mehr als 50’000 Ziegelsteine sowie stählerne Fassadenelemente von der einstigen Grundschule. Der beim Abbruch gewonnene Betonschutt wurde zerkleinert als Zuschlagstoff für die Fundamente verwendet, neue Materialien kamen lediglich für den Innenausbau zum Einsatz.

Eher vonseiten der energietechnischen Planung betrachtet, ist das bereits genannte Freiburger Rathaus ein interessantes Beispiel: Es galt zur Zeit seiner Fertigstellung als erstes öffentliches Gebäude im Netto-Plusenergie-Standard weltweit. Über das Jahr erzeugt es mehr Energie, als für den Betrieb benötigt wird, und Überschüsse können ins Stadtnetz eingespeist werden. Laut der Beschreibung der Architekten wird die für das Gebäude notwendige Energie thermisch über Saug- und Schluckbrunnen und Solarthermie in Kombination mit Wärmepumpen generiert. Photovoltaik auf dem Dach und an der Fassade unterstützt das System, die Energie für Kühlung und Heizung wird durch Erdwärme gewonnen. Damit ist das Projekt vorbildlich in Sachen Energiegewinnung, überzeugt aber auch mit einem durchdachten Energiekonzept über die gesamte Nutzungsdauer. 

»Auf allzu großes Interesse [für neue Konzepte] stoßen wir selten – erst recht dann nicht mehr, wenn klar wird, dass wirklich nachhaltige Lösungen in der Regel größere Investitionen bedeuten […]. Viele Projekte, an denen Architekten arbeiten, sind eher rendite- als weltverbesserungsorientiert. Stehen Zeitverzögerungen oder höhere Kosten im Raum, ist es schnell vorbei mit dem Idealismus.«

Regine Leibinger in ihrem Beitrag »Energiewende – worauf es ankommt! Erfahrungen einer Architektin« im Buch zur Ausstellung 

»Unsere Gesellschaft muss klären, ­welche Komfort­standards künftig als sinnvoll erachtet werden sollen und ­welche Umweltschäden wir dafür in Kauf nehmen wollen.«

Werner Sobek in einem Interview für »Architecture and Energy – Bauen in Zeiten des Klimawandels«

»Das theoretische Wissen darüber, wie dies [Klimaneutralität des Gebäudebestands in der EU] technisch zu erreichen ist, bedeutet jedoch nicht, dass es in der Praxis leicht umzusetzen wäre, zumal im Wohngebäudebestand, also mit spürbaren Interventionen in den Alltag der Bevölkerung.«

Oliver Geden in seinem Beitrag »Die Minderung von Emissionen im Gebäudesektor als globale Herausforderung«

Beide Projekte zeigen – von unterschiedlichen Ansätzen kommend – das Potenzial, das im Bauwesen steckt, wenn es um Emissionsvermeidung, die CO₂-Bilanz von Gebäuden und graue Energie geht. Ausstellung und Buch sollen gemeinsam zu einem Mehr an Wissen, zu einem Umdenken und zum Perspektivwechsel beitragen, so das DAM-Team. »Entwürfe, die über das Notwendige der Energiewende hinausgehen und das baukulturell Wünschenswerte betonen, spielen eine wichtige Rolle für die Akzeptanz einer neuen, emissionsgerechten Architektur«, erklärt Kuratorin Annette Becker. »Ziel ist es, attraktives Bauen und Klimaneutralität in Einklang zu bringen. Die vorgestellten beispielhaften Lösungen sollen dazu beitragen, dieses Ziel in der Breite voranzutreiben und das allgemeine Bewusstsein für die Möglichkeiten klimagerechten Bauens zu schärfen.«

Neben den vorgestellten Projekten berichten auch Fachleute darüber, wie sie dem Bauen in Zeiten des Klimawandels in der Praxis begegnen, darunter Andrea Gebhard, die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg und Cord Soehlke, Baubürgermeister und Erster Bürgermeister der Universitätsstadt Tübingen. Ergänzt wird diese Sicht durch jene von Studierenden der Universität der Künste Berlin, der Technischen Universität Dresden, der Universität Kassel und der ETH Zürich, die Themen aus den Bereichen Energie, Emission und Architektur vorstellen und den Blick auf zukünftige Arbeitsfelder wagen.

 

Architecture and Energy – Bauen in Zeiten des Klimawandels
14. Juni bis 5. Oktober 2025

Eine Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums in Zusammenarbeit mit Werner Sobek

Ort: Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten: Dienstags und donnerstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, montags geschlossen
Öffentliche Führungen: Samstags und sonntags, jeweils um 14 Uhr mit Yorck Förster

Vorgestelltes Projekt 

Grüntuch Ernst Architekten BDA

Bürohaus Darwinstraße Berlin

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