Zusammengefügt in Klinker
Pool Leber Architekten
11. September 2019
Blick vom Kirchplatz auf die gefaltete Fassade das Museumsneubaus, der sich trotz seiner Skulpturalität in die mittelalterliche Stadtstruktur einbindet. (Foto: Brigida González)
In der mittelalterlichen Stadt Vreden im Westmünsterland wurden vier Bestandsbauten mit zwei Neubauten zu einem Kulturzentrum verbunden. Isabella Leber und Martin Pool sprachen mit uns über die Veränderung im Ortsbild.
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?Wir haben insgesamt neun Funktionen zusammengeführt (Museum, Pädagogik, Archiv, wissenschaftliches Institut, Verwaltung, Veranstaltung, Café, Shop, Stadtmarketing). Dabei stammen die sechs Bauteile aus vier Jahrhunderten (14. Jh, 16. Jh, 1977, 1988, 2018). Wir haben mit einer neuen Klinkerart die einzelnen Gebäudeteile verbunden, ohne die unterschiedlichen Bauzeiten und Identitäten zu verleugnen. So entstand ein Gebäudekomplex, der sowohl als „Ensemble von Gebäuden“ wie auch als großes zusammenhängendes Zentrum gelesen werden kann.
Blick vom Stadtgraben auf den Museumsneubau (Foto: Brigida González)
Verschiedene Ziegelbrennungen machen die Baukörper des ehemaligen Hamalandmuseums aus den 1970er-Jahren, das seine Historie über die Fassadengliederung und die Fertigbetonelemente des Ursprungsbaus aufzeigt, ablesbar. (Foto: Brigida González)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?Prägend für die Entwurfsidee ist die noch ablesbare historische mittelalterliche Stadtansicht Vredens – von den Flussauen aus gesehen überragen zwei große Kirchen die kleinteilige Stadtstruktur, begrenzt durch Stadtmauer und Graben.
Das Kulturzentrum bindet Neubauten und Bestandsbauten mit einer gefalteten Dachlandschaft zusammen und verlängert die Mauerbebauung bis hin zum katholischen Stiftsgelände. Die historische wie räumliche Zweiteilung Vredens in katholisches Stift und weltliche Stadt wird auch in der Ausstellung thematisiert: Die zentrale Treppe führt vom Foyer ins Obergeschoss zum weltlichen Ausstellungsteil und gibt den Blick über ein Eckfenster auf die Flussaue und den mittelalterlichen Stadthafen frei. Die Treppe führt weiter in den kirchlichen Teil der Ausstellung im zweiten Obergeschoss, hier rahmen zwei Fenster die Aussicht auf die beiden Kirchen, St. Georg und St. Felicitas.
Atrium, Foyer und Treppe, an der Schnittstelle von Kulturachse, Zentrumsachse und Ausstellungsachse (Foto: Brigida González)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?Das Zentrum entstand in Folge eines sieben Jahre dauernden politischen und städtebaulichen Entwicklungsprozesses, der dem Wettbewerb voraus ging. In diesem Rahmen wurde eine städtebauliche Leitplanung erarbeitet, die den Ausbau zweier Stadtachsen vorsah – einer Kommerzachse und einer Kulturachse. An der Grenze zwischen katholischem Stift und mittelalterlicher Marktstadt überquert nun die Kulturachse als wichtiger Stadteingang den Stadtgraben. Das Atrium, der Dreh- und Angelpunkt des Zentrums, ist die Schnittstelle zwischen Flussaue, Stadt und Kirchplatz, ebenso wie Kreuzungspunkt von Zentrumsachse und Treppenanlage, die in die Museumsetagen führt.
Sowohl durch den architektonischen Umgang mit dem Bestand als auch durch das sensible städtebauliche Einfügen des skulpturalen Neubaus in die kleinteilige Struktur der mittelalterlichen Stadt Vreden wurde ein Ort des kulturellen Gedächtnisses geschaffen. In seiner Vielfältigkeit stellt er einen pulsierenden Identifikationspunkt der Region dar, der – am Rande von Deutschland gelegen – bis über die Grenze nach Holland strahlt.
Blick vom 2.Obergeschoss ins Atrium (Foto: Brigida González)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?Das Gebäudeensemble ist mit seiner Nutzungsvielfalt, der Umnutzung von vorhandener Bausubstanz und dem Zusammenführen von verschiedenen Bauweisen und klimatischen wie technologischen Anforderungen ein besonderes Beispiel für nachhaltiges Bauen im ländlichen Raum.
Durch einen intensiven Dialog mit Bauherr und Nutzer konnte auf eine flächendeckende Klimatisierung verzichtet werden, was zu großen Einsparungen bezüglich Kosten, Ressourcen und Energie führte. Dabei weist jeder der sechs Bauten eine spezifische Konstruktion auf, die größtenteils erhalten blieb.
Auch gestalterisch ging es um das Weiterbauen und das Anbinden an historische Bezüge. So schafft es das Ensemble trotz seiner Größe und der prägnanten Skulpturalität des neuen Museumskopfbaus, sich in die Kleinteiligkeit der historisch gewachsenen Stadt Vreden einzufügen.
Ausstellungsgeschoss, weltlicher Themenbereich (Foto: Brigida González)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?Die kohlegebrannten Wasserstrichklinker eines lokalen Ziegelwerks differenzieren mit ihren verschiedenfarbigen Brennungen die unterschiedlichen Gebäudeteile des fast 100 Meter langen Kulturzentrums. Zugleich binden sie die Elemente zu einem großen Ganzen zusammen. Durch Versätze und Fassadendetails aus den Ursprungsbauten, wie die Fertigteile der 1970er-Jahre oder die Gesims- und Pilasterausbildungen der 1980er-Jahre, bleiben die sechs Gebäudeteile ablesbar und werden zugleich neu interpretiert.
Innen zeigt sich die Tragstruktur des Neubaus in Stahlbeton mit sägerauer Bretterschalung, dessen Profilierung vor allem im lichtdurchfluteten Atrium eine kraftvolle Poetik ausstrahlt. Am Anfang und Ende der Zentrumsachse umrahmen gelb ausgekleidete Einbauten die Stützen und Pfeiler, sie stehen in frischem Kontrast zu den sonstigen Oberflächen. Sie binden die beiden Empfangsbereiche von Museum und Archiv über die lange Zentrumsachse hinweg zusammen.
Lageplan (Zeichnung: Pool Leber Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: Pool Leber Architekten)
Schnitt (Zeichnung: Pool Leber Architekten)
2018
Kirchplatz 14
48691 Vreden
Nutzung
Museum, Veranstaltung, Café, Shop, Stadtmarketing , Archiv, wissenschaftliches Institut, Pädagogik, Verwaltung
Auftragsart
Beauftragung gem. HOAI, nach Wettbewerb
Bauherrschaft
Kreis Borken, Stadt Vreden
Architektur
Pool Leber Architekten, München
Isabella Leber, Martin Pool
Mitarbeit: Javier Bressel, Valéria Polakovičová, Egor Goryachev, Aniko Aradi, Stephanie Hoschka
Mitarbeit : Peter Hesse, Alexander Lehne, James Bonk
Fachplaner
Tragwerksplanung: Spangemacher Ingenieure, Raesfeld
Ausstellungsgestaltung: Thöner von Wolffersdorf, Augsburg
Platzgestaltung: Pesch Partner Architekten Stadtplaner, Dortmund
Elektroplanung: Kipp & Knuhr Ingenieure, Borken
Heizungs- und Sanitärplanung: RTS Ingenieure, Stadtlohn
Lüftungsplanung: K & L Energie, Hamminkeln
Bauphysik: Hansen Ingenieure, Wuppertal
Brandschutzplanung: Kempen Krause Ingenieure, Aachen
Bodengutachten: Roxeler Ingenieurgesellschaft, Münster
Projektsteuerung: agn Niederberghaus und Partner, Ibbenbüren
Bauleitung
Bleckmann Krys Architekten, Münster
Ausführende Firmen
Spezialtiefbau: Vornholt GmbH, Borken-Burlo
Rohbau und Verblender: Heinrich Temmink GmbH & Co KG, Vreden
Zimmermann: Brüggemann Dach- & Wandtechnik GmbH, Neuenkirchen
Spengler: Schabos GmbH, Nordwalde
Fenster: H. u. J. Große-Frericks GmbH, Stadtlohn
Schlosser und Stahltüre: Jens Dunkel Glas- und Bauelemente GmbH, Biederitz
Putz: Heinrich Terdues Putzgeschäft GmbH, Ahaus - Alstätte
Trockenbau: Ausbau 2000 Rostock GmbH, Rostock
Estrich, Terrazzo, Bodenbelag : Wiegrink Floor Objekt & Design GmbH, Bocholt
Schreiner, Einbauten, Holztüren : Icking Holzbearbeitung GmbH, Isselburg
Maler: Malerfachbetrieb Heuten GmbH, Ahaus
Lüftung: Caverion, München
Elektrotechhnik: Elektro-Solartechnik H. Schwarzer GmbH, Münster
Hersteller
Fassadenziegel: Schüring Ziegelwerke, Gescher
Fenster, Holzaluminium: Gutmann, Weißenburg
Fenster, Holz: Heroal, Verl
Brandschutztüren: HOBA, Adelberg
Terrazzo: Rheodur, Chemotec, Abstatt
Akustikdecken: Heradesign , Knauf AMF - Grafenau, Knauf - Iphofen
Teppich: Object Carpet, Denkendorf
Linoleum: DLW, Bietigheim
Verblechung und Dach: Rheinzink, Datteln
Dachziegel: Braas, Oberursel
Beschläge: FSB, Brakel
Leuchten: Louis Poulsen - Düsseldorf, Erco - Lüdenscheid, Litec – Bochum, Trillux – Arnsberg, BEGA - Menden Simes, I-Corte Franca
Türautomatik und Brandschutztore: GEZE, Leonberg
Schalterprogram: Gira, Radevormwald
Klingel: Siedle, Furtwangen
Einbruchmeldeanlage: Honeywell, Albstadt
Brandmeldeanlage: Esser, Neuss
Lüftungen: Trox, Neukirchen-Vluyn
Aufzug: Hübschmann Aufzüge, Korbach
Energiestandard
Primärenergie Neubau : 121 kWh/m2a
Primärenergie Neubau : 10 % unter EnEV 2014
Transmissionswärme Altbau : 25% unter EnEV 2014
Bruttogeschossfläche
5.950 m²
Gebäudevolumen
24.350 m³
Baukosten
10.300.000 € brutto
Auszeichnungen
Deutscher Ziegelpreis 2019, Anerkennung
Geplant + Ausgeführt 2019, 3.Preis
DNA Paris Design Award 2020, Cultural Architecture, Winner
Architecture Master Prize 2018, Cultural Architecture, 1 Prize
Archmarathon 2018, Art & Culture, 1 Prize
Best Architects 2019 Award, public building, Winner
gooood‘s 10 Best Museum Projects of year 2018
Dezeen Award 2018, Nominierung
AIT Preis Farbe, Form, Oberfläche, Nominierung
DAM Preis 2019, Nominierung
Fotos
Brigida González
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