Von Ballast befreit

Brückner & Brückner Architekten
7. Juni 2023
Blick auf den Domberg in Freising (Foto: Thomas Dashuber)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Von weitem sichtbar, hoch über den Dächern der Stadt auf dem Domberg liegt das Freisinger Diözesanmuseum. Wir haben Respekt vor dem besonderen Ort, der Historie und dem Gebäude. Gemeinsam mit dem Bauherrn haben wir den Mut, neue architektonische Antworten für ein in die Zukunft gerichtetes Museum zu finden, wir haben weitergebaut und weiterentwickelt – das Alte freigelegt und das Neue freigelassen. Es war eine einzigartige Bauaufgabe. Wir haben großen Respekt vor diesem Projekt und sind sehr stolz, diesen besonderen Ort mitgestalten zu dürfen. Den Ort, der über tausend Jahre ein kirchliches Zentrum in Bayern darstellt. 

Eingang zum Museum (Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger)
Besonderes Licht begrüßt die Besucher in der früheren Kapelle – heute ein Raum der Installation – A Chapel for Luke and his scribe Lucius the Cyrene, 2022 (© James Turrell, Foto: André Mühling)
 
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?

Gemeinsam mit meinem Bruder Christian und unserem Partner Günter Horn war ich im März 2015 zum Wettbewerbskolloquium am Domberg. Die wehrhafte und verschlossene Wirkung des Diözesanmuseums war sehr präsent. Aber das war ja auch kein Wunder, denn das Gebäude wurde in den Jahren 1868 bis 1870 ursprünglich nicht als Museum, sondern als Knabenseminar geplant. Geöffnete Wände sind der Kern unserer architektonischen Idee – von Anfang an unser leidenschaftlichstes Bild, innen wie außen. Die Jahres- und Tageszeiten werden zum Erlebnis und sind spürbar. Der Raum spielt mit Licht und Schatten. Eingänge, Übergänge, Durchlässe. Helle Arkadengänge, einem Kreuzgang gleich, schaffen neue gerahmte Blicke zu den Ausstellungsräumen und der umgebenden Landschaft.

Der Lichthof ist das Herz des Gebäudes, ein echter offener Raum über mehrere Etagen – licht und weit. Wir öffnen ihn zum Himmel. Inmitten des Lichthofs steht die überlebensgroße Bronzeskulptur Arcangelo von der belgischen Künstlerin Berlinde de Bruyckere. (Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger)
Foto: André Mühling
Foto: André Mühling
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Die räumlichen Fußabdrücke dieses Hauses wurden schon vor 150 Jahren gesetzt. 1870 errichtete Matthias Berger den Bau im klassizistischen Stil als Knabenseminar zur Förderung des Nachwuchses an Priesteramtskandidaten. Als die Priesterausbildung 1968 nach München verlegt wurde, stand das Gebäude leer und fand 1974 mit dem neu gegründeten Diözesanmuseum eine neue Nutzung. Im Zuge der Neugestaltung haben wir diesen Baustein Geschichte aktiviert. Er hat uns ein Haus geschenkt, das jetzt von Ballast befreit wieder seine bauzeitlichen Strukturen atmet, dem Neuen aber Raum gibt. So wie es ist, war es noch nie. Aber es fühlt sich an, als ob es schon immer so war. Alles hat sich zu einer neuen, klaren Identität gefügt.

Die neue Mehrschiffigkeit nimmt die Melodie des Hauses auf und erlaubt in alle Himmelsrichtungen ausgewählte Aussicht in die Innenräume, die Landschaft und die Stadt Freising. Ausblicke – Einblicke – Durchblicke. So werden neue Begegnungen und Dialoge mit den Menschen, der Kunst und der Umgebung ermöglicht. (Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger)
Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerbsbeitrag oder direkt erteilt bekommen?

Ende 2014 lobte die Erzdiözese München Freising zur Weiterentwicklung und Neugestaltung des Dombergs Freising einen nichtoffenen Wettbewerb als Einladungswettbewerb aus. Diese Einladung war für uns eine große Ehre. Gemeinsam mit realgrün Landschaftsarchitekten aus München und unserem Team durften wir eine Antwort erarbeiten. Als dann damals im Juni 2015 die Nachricht kam, dass wir diesen Wettbewerb gewonnen haben, hat das ganze Büro gefeiert.

Die neue Mehrschiffigkeit nimmt die Melodie des Hauses auf und erlaubt in alle Himmelsrichtungen ausgewählte Aussicht in die Innenräume, die Landschaft und die Stadt Freising. Ausblicke – Einblicke – Durchblicke. So werden neue Begegnungen und Dialoge mit den Menschen, der Kunst und der Umgebung ermöglicht. (Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger)
Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger
Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger
Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger
Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt? Wie haben Sie diesen im Projekt Rechnung getragen?

Eine besondere Anforderung war, den wehrhaft wirkenden Vierflügelbau am Westsporn des Dombergs in ein Tageslichtmuseum zu transformieren. Das Alte freilegen und das Neue freilassen. Das Gebäude und das Museum öffnet sich nun zur Umgebung und zur Gesellschaft und tritt mit ihnen in Dialog.

Die Räume für die Dauer- und Sonderausstellungen, flexibel bespielbar, in sich miteinander verbunden, umfließen den Lichthof und die Gänge. (Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger)
Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger
Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?

Wir setzen auf kontinuierlichen Dialog. Eine ständige Auseinandersetzung mit dem Projekt auf allen Ebenen findet statt. Von den politisch Verantwortlichen, den verwaltungstechnisch Zuständigen, den gutachterlich und planerisch Beteiligten, den entwerfenden und handwerklich Ausführenden, den Meinungsbildnern bis hin zu den als Nutzer Betroffenen: mit allen wird ein gleichberechtigtes und ehrliches Gespräch geführt, jeder wird in seinem Kontext absolut ernst genommen. So entsteht das für uns notwendige Vertrauen. Unser Weg führt uns häufig an Punkte, an denen es geboten scheint, über die eigene Disziplin hinauszublicken, den Austausch mit Praktikern, Kreativen und Wissensarbeitern im weitesten Sinn zu suchen. Wir sind keine »autonomen« Architekten, sondern lassen uns gezielt einbinden in das komplexe Beziehungsnetz, in dem Bauwerke entstehen und existieren. Der Direktor des Diözesanmuseums Dr. Kürzeder und sein Team waren mutiger Motor des Projektes! 

Helle Arkadengänge, einem Kreuzgang gleich, schaffen neue gerahmte Blicke zu den Ausstellungsräumen und der umgebenden Landschaft. (Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger)
Inwiefern haben Sie im Projekt die Verwendung von Naturbaustoffen und zirkulären Baustoffen angestrebt?

Von nachhaltigem Bauen musste die Bauherrschaft nicht überzeugt werden, ganz im Gegenteil. Die Erzdiözese München Freising arbeitet mit einer Nachhaltigkeitsrichtlinie, die natürlich den ressourcenschonenden Umgang mit allen Materialien vorsieht. Da wir ein Bestandsgebäude transformiert haben und sogar die bestehenden Holzbalken und Deckenkonstruktionen weiterverwendet haben, ist unser Ansatz maximal nachhaltig.

Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger
Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger
Aufgang in den ersten Stock zu den Ausstellungsräumen (Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger)
Einen Ort des Rückzugs und der Ruhe, der Konzentration, der Kontemplation und des Studiums findet der Besucher im hölzernen Leseraum der Bibliothek. Über drei Öffnungen gelangt man auf den großen Stadtbalkon mit Blick in die Landschaft und auf Weihenstephan. (Foto: mju-fotografie Marie Luisa Jünger)
Welche digitalen Instrumente haben Sie bei der Planung eingesetzt?

Zur Optimierung des Energieverbrauchs (Wärme, Kälte, Betriebsenergie für die Lüftung), der erforderlichen haustechnischen Anlagen und der Regelung der Lüftung wurden umfangreiche dynamische Gebäudesimulationen durchgeführt. Mit unterschiedlichen Varianten für die Gebäudehülle, die technischen Anlagen und insbesondere des Luftwechsels wurde eine optimale Steuerung mit minimalem Luftwechsel (zur Reduzierung der Investitions- und Betriebskosten) erarbeitet, bei der trotzdem die strengen Anforderungen an das Raumklima für das Museum eingehalten werden.

Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: Brückner & Brückner Architekten)
Grundriss 1. Obergeschoss (Zeichnung: Brückner & Brückner Architekten)
Grundriss 2. Obergeschoss (Zeichnung: Brückner & Brückner Architekten)
Schnitt (Zeichnung: Brückner & Brückner Architekten)
Diözesanmuseum Freising
2022 
Domberg 21
85354 Freising
 
Nutzung
Museum, Leseraum (Bibliothek), Gastronomie mit Gastgarten, Räume für Museumspädagogik, Veranstaltungsräume (Konzerte, Lesung, Vorträge)
 
Bauherrschaft
Erzdiözese München und Freising, vertreten durch die Erzbischöfliche Finanzkammer München
 
Architektur
Brückner & Brückner Architekten, Tirschenreuth | Würzburg
Übergeordnete Projektleitung: Peter Brückner, Architekt BDA Stadtplaner, Christian Brückner, Architekt BDA Stadtplaner
Projektleitung: Günter Horn
Stellvertretende Projektleitung: Barbara Weniger, Tobias Lippert
Projektteam: Andrej Valena, Carolin Mössle, Annalena Häring, Stephan Gräbner, Ana Romero Valenzuela, Do Wan Han, Lucie Kokaislová
 
Fachplaner
Tragwerk: Sailer Stepan und Partner GmbH, München
Technische Ausrüstung (Elektro, HLS, Sicherheit): Ottitsch GmbH & Co. KG, Ingenieurbüro Gebäudetechnik, München 
Bauphysik: Müller BBM GmbH, Planegg 
Brandschutzkonzept: Dorn Architekten Ingenieure – Gesellschaft für Gebäude-u. Brandschutzplanung mbH, München
Landschaftsarchitektur: realgrün Landschaftsarchitekten, München
Lichtplanung: Die Lichtplaner, Limburg/Staffel 
Küchentechnische Anlagen: HPM Consult, Sauerlach
Lichtinstallation: James Turrell; Atelier Achatz Architekten, München 
Bronzeskulptur Arcangelo im Lichthof: Berlinde de Bruyckere
Innenarchitektur / Foyer und Leseraum: Brückner & Brückner Architekten, Tirschenreuth | Würzburg
Innenarchitektur/Ausstellungsgestaltung Schausammlung: iam - interior architects munich, München 
Innenarchitektur/ Grafische Gestaltung Wechselausstellung: Unodue { architektur ausstellungen design, München
Innenarchitektur/Gastronomie, Umkleiden, Teeküchen, Toiletten: Hildmannwilke, München
Innenarchitektur/Museumspädagogik: Formstelle – Gestaltung von Raum, Objekt, Konzept, Grünwald
Grafische Gestaltung / Typografie: Büroschmid – Corporate Design Consultants, München
 
Ausschreibung und Bauleitung: (LPH 6-9) 
Rudolf + Sohn Architekten BDA, München 
 
Bruttogeschossfläche
9.525 m²
 
Gebäudevolumen
4.600 m³
 
Gesamtkosten
73.800.000 € brutto
 
Fotos
André Mühling, München
mju-fotografie Marie Luisa Jünger, Hümpfershausen
Thomas Dashuber, München

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