Vervollständigung einer Collage
Muffler Architekten
27. November 2024
Die einstige Wagenremise öffnet sich mit dem Haupteingang zum Theaterplatz und nimmt die Dauerausstellung auf. Der Erweiterungsbau im Hintergrund beherbergt die Wechselausstellungen, einen flexiblen Mehrzweckraum und Büros für die Forschungsarbeit. (Foto: Brigida González)
Das Haus der Weimarer Republik ist der zentrale Erinnerungsort an die erste deutsche Demokratie. Tano Muffler berichtet, wie er mit dem Team seines elterlichen Büros das Museum in der einstigen Wagenremise am Weimarer Theaterplatz saniert und vergrößert hat.
Herr Muffler, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die Herausforderung bestand im verantwortungsvollen Umgang mit dem historisch gewachsenen Bestand. Neben dem vis-à-vis unseres Baus gelegenen Nationaltheater und dem Weimarer Theaterplatz stellen auch die ehemalige Wagenremise aus dem frühen 19. und die Ruine des Zeughauses aus dem 18. Jahrhundert wichtige Zeitzeugen an dem Ortes dar, wo Deutschlands erste parlamentarische Demokratie begründet wurde. Diesen Bestand respektvoll zu sanieren und gleichzeitig doch auch um einen selbstbewussten Museumsbau zu erweitern, hat uns über den gesamten Bearbeitungszeitraum hinweg viel Freude bereitet.
Die Erweiterung der Wagenremise vervollständigt das Bauensemble zum Künstlergarten. Die Glasfassade des Erdgeschosses gibt den Blick auf die Ruine des ehemaligen Zeughauses frei. (Foto: Brigida González)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Transparenz, Offenheit und Toleranz gehören zu den Grundpfeilern einer Demokratie. Unser Entwurf soll das kommunizieren. Vor allem der Erweiterungsbau mit seinem transparent gestalteten Gartengeschoss trägt das Außen nach innen und das Innen nach außen. Uns war wichtig, dies in einem Gebäude, das Demokratie aktiv vermitteln soll, spürbar zu machen.
Eine schmale Gasse führt vom Theaterplatz entlang der Wagenremise zum Zeughof. In der etwas zurückversetzten Fuge zwischen Bestand und Erweiterung befinden sich das Treppenhaus und ein Nebeneingang. (Foto: Brigida González)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?
Schon im Wettbewerb haben wir uns frühzeitig mit der Frage beschäftigt, welche gestalterischen Mittel zur angemessenen Erweiterung eines historisch gewachsenen Gebäudeensembles beitragen könnten. Aufgrund der reichen Geschichte der Anlage und der heterogenen Nutzungen in der Vergangenheit definierten wir das Prinzip der Fügung als Ziel: Die Erweiterung sollte architektonisch nicht mit dem Bestand verschmelzen und kaum erkennbar sein, sondern diesen lieber als weiteres Puzzleteil selbstbewusst ergänzen. Darum haben wir das Treppenhaus als zurückspringende Fuge zwischen dem Bestand, der die Dauerausstellung aufnimmt, und der Erweiterung mit den Wechselausstellungen ausgebildet. Der neue Baukörper nimmt die Flucht des ehemaligen Zeughauses bewusst nicht auf, sondern schiebt sich über die denkmalgeschützte Ruine von dessen Erdgeschoss. Das historische Mauerwerk haben wir behutsam freigelegt. Es ist nun im Inneren des Gebäudes als Zeitzeuge wahrnehmbar. Alt und Neu durchdringen einander, ohne sich jedoch zu konkurrenzieren. Der Geländeversprung zwischen dem Theaterplatz und dem Künstlergarten wird durch das Treppenhaus mit Split-Leveln überwunden.
Blick vom Künstlercafé in Richtung der Ruine des Zeughauses (Foto: Brigida González)
Eine mit Streckmetall verkleidete Spindeltreppe bildet den erforderlichen Fluchtweg. Die Mauern fassen einen ruhigen Innenhof. (Foto: Brigida González)
Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerbsbeitrag oder direkt erteilt bekommen?
Wir erhielten den Auftrag, weil wir einen EU-weit offenen Wettbewerb gewannen, bei dem 61 Arbeiten eingereicht worden waren. Ich sah die Auslobung kurz vor Beginn der Semesterferien während meines Master-Studiums und rief gleich im elterlichen Büro an: Wir diskutierten erste Entwurfsideen und fanden schnell zu gemeinsamen Leitgedanken, die ich dann im Entwurf umsetzte. Ich denke immer noch gern an den Moment zurück, als ich in der Uni-Mensa saß und am Telefon erfuhr, dass wir gewonnen hatten. Für die Stadt Weimar als Bauherrin war es eine Selbstverständlichkeit, dem einstimmigen Entscheid des Preisgerichts zu folgen und uns zu beauftragen.
Der Mehrzweckraum im Erdgeschoss gewinnt seine Kraft aus den starken Bezügen zwischen innen und außen. Auch die behutsam restaurierte Mauer des einstigen Zeughauses wirkt raumbestimmend. (Foto: Brigida González)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?
Ehrliche Antwort: Die Zusammenarbeit mit der Stadt Weimar war zu jeder Zeit positiv, dem Projekt zugewandt und äußerst partnerschaftlich. Wir merkten gleich zu Beginn, dass ein Bewusstsein für die Besonderheit der Bauaufgabe vorhanden und die Bereitschaft, gemeinsam eine gute Lösung umzusetzen, groß war. Dem späteren Nutzer und heutigen Betreiber des Museums hingegen fiel es schwer, sich unserer Architektur gegenüber zu öffnen. Wer das Gebäude heute besucht, kann das der Ausstellungskonzeption und der aktuellen Nutzung des großen, transparenten Mehrzweckraums im Gartengeschoss noch anmerken.
Im Treppenhaus sind alte und neue Gebäudeteile zu einer vielfältigen Collage verwoben. Durch die Materialwahl strahlen die Innenräume dennoch Ruhe und Zurückhaltung aus. (Foto: Brigida González)
Der Haupteingang des Zeughauses dient als Portal für den Mehrzweckraum, das ihn mit dem in der Ruine gelegenen Treppenhaus verbindet. (Foto: Brigida González)
Beschäftigten Sie sich im Büro mit den Tendenzen des zirkulären Bauens und der sozialen Nachhaltigkeit?
Es entspricht der grundlegenden Verantwortung eines Architekten, sich mit Themen der Nachhaltigkeit und des zirkulären Bauens zu beschäftigen. Wir fragen bei jedem Projekt nach ressourcenschonenden Bauweisen, regionalen und organischen Produkten, der Rückbaubarkeit und dem nachhaltigen Gebäudeunterhalt. In diesem Fall kam aufgrund der Spannweiten und der komplexen Gründungs- und Auflagerverhältnisse des Gebäudes eine Stahlbeton-Rippenkonstruktion zur Ausführung. Die CO2-Bilanz konnte so gegenüber herkömmlichen Flachdecken um mehr als 30 Prozent reduziert werden. Die Fassade besteht aus rezyklierbarem Aluminium und organischen Dämmstoffen. Bis auf den Fußbodenaufbau ist die Gesamtkonstruktion sortenrein trennbar.
Lageplan (© Muffler Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© Muffler Architekten)
Längsschnitt A (© Muffler Architekten)
Längsschnitt B (© Muffler Architekten)
Querschnitt (© Muffler Architekten)
2023
Theaterplatz 4
99423 Weimar
Nutzung
Museum
Auftragsart
Wettbewerb, 1. Preis
Bauherrschaft
Stadtverwaltung Weimar, Technische Gebäudewirtschaft vertreten durch Hr. Roth
Architektur
Muffler Architekten PartG mbB
Entwurf: Michael Muffler, Tano Muffler
Projektleitung: Reiner Glocker
Mitarbeit: Petra Messmer
Fachplaner
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Münz, Weimar
HLS- und Elektroplanung: IEB Ingenieurbüro für Haustechnik P.Endter & G.Butler GmbH, Erfurt
Grafikdesign Leitsystem: Happy Little Accidents, Leipzig
Bruttogeschossfläche
1650 m²
Gebäudevolumen
8837 m³
Kubikmeterpreis
690 €/m³ (KGR 200–700, brutto)
Gebäudekosten
4.85 Mio. € (KGR 200–400, brutto)
Gesamtkosten
6.1 Mio. € (KGR 200–700, brutto)
Fotos
Brigida González, Stuttgart
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