Multicodiert

SINAI Gesellschaft von Landschaftsarchitekten
10. Juli 2019
Das neue Stadtquartier im Neckarbogen lässt die Stadt zusammenzuwachsen. (Foto: Nikolai Benner)
Woran liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Die Flusslandschaft im Zentrum Heilbronns war lange fragmentiert und geprägt von Barrieren und Brachen. Mit dem Impuls des neuen Stadtquartiers im Neckarbogen beginnt die Stadt nun, in ihrem Innern zusammenzuwachsen. Erstmalig bei einer BUGA sind Hochbau und Freiräume gemeinsam präsentiert. In Heilbronn ging es nicht um ein isoliertes Projekt, sondern um die städtische Landschaft als Ganzes, als Kontinuum von Plätzen, Parks, neuen Ufern bis hin zur Aktivierung vorgeblicher Restflächen. In Heilbronn geht es um die Betrachtung der Lebenswelt Stadt als Ganzes und wie sie beschaffen sein könnte um zukunftsfähig zu sein.

Vom bis zu 12 Meter über dem Wasser gelegenen Skywalk am Hafenberg erschließt sich der Blick auf die Stadt und ihre Umgebung. Die Gestaltung nimmt mit Trockensteinmauern und Weinreben regionale Bezüge auf. Der Karlssee dient der Erholung wie auch der Pufferung des Regenwassers. (Foto: Nikolai Benner)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Der Stadtteil Neckarbogen entsteht aus der Konversion vormaliger Gewerbeflächen. So gut wie nichts ist vom früheren Ort geblieben. In seinem Mittelpunkt liegen nun allerdings zwei künstlich angelegte Gewässer, thematisch angelehnt an frühere Hafenbecken. Viele Elemente der Kulturlandschaft im Neckartal sind in den landschaftlichen Entwurf eingeflossen.
Vor der Industriekulisse des Neckarkanals sind vielfältig nutzbare Landschaften entstanden, die Ökologie, Freizeitnutzung und Mobilität miteinander verbinden. Das künstliche Felsenufer am Hafenberg ist Landmarke, Lärmschutzwall, Echsenhabitat, Kletterwand und vertikaler Spielplatz. 

Ökologie, Freizeitnutzung und Mobilität werden in der neuen Landschaft miteinander verbunden. (Foto: Nikolai Benner)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Die Stadt Heilbronn und ihre Fachämter hat das Entwerfen mit lokaler Erfahrung und großem Respekt begleitet. Die Bundesgartenschau verstand sich als kuratierender Bauherr, der unseren Entwurf würdigte, aber mit der Arbeit von anderen Akteuren wie Künstlern und Architekten kombiniert hat. Die Bürgerschaft Heilbronns war intensiv in der Entwurfsphase involviert und hat die Programmatik der Landschaft erheblich beeinflusst, was entscheidend für die überwältigende Akzeptanz des Projektes in der Stadt ist.

Im Neckarhabitat kommt die Natur zum Menschen: der Holzsteg zieht sich inmitten der Stadt durch eine initial bepflanzte Auenlandschaft, die fortan der natürlichen Sukzession überlassen wird. (Foto: BUGA Heilbronn 2019 GmbH)
Der Neckaruferpark ist der Quartierspark für den neuen Stadtteil, die Terrassen dienen auch dem Hochwassermanagement. Das Material für die Terrassierung wurde teilweise aus den vorhandenen Hafenmauern gewonnen (Foto: Nikolai Benner)
Beeinflussen aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Der Wettbewerb war im Jahr 2011. Die Neckarlandschaften bilden die veränderten Sichtweisen und Umbrüche in der Landschaftsarchitektur und Stadtplanung der letzten Jahre ab. Viele von uns sind auf der Suche nach einer neuen und nachhaltigen Urbanität. Das Habitat in Heilbronn thematisiert, wie wir Natur in Städte bringen können, die Seen zeigen, welche Bedeutung das Element Wasser im Klimawandel hat. Gemeinschaftlichkeit soll über Generationengrenzen hinweg entwickelt werden. Und wir lernen zunehmend, wie wir durch die sogenannte Multicodierung der Orte, also die geplante Mehrfachnutzung, ökonomisch mit Raum umgehen können. So ist der Hafenberg zum Beispiel Park mit Aussicht, Lärmschutz, Lebensraum für trockenheitsliebende Tiere und Pflanzen, und Kletterparadies mit vertikalem Spielplatz in einem.

Der Neckaruferpark bildet den Zugang der Bewohner zum Fluss wie auch zur Altstadt. Er befindet sich dort, wo früher eine vielbefahrene Straße verlief. (Foto: Nikolai Benner)
Welche Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Sandstein. Der Schilfsandstein aus der Region hat einen wunderbaren grünlichen Schimmer. Er ist Teil der gebauten Heilbronner Identität, wir haben ihn als Schüttgut, als Gabionen, als Werkstein und in den profilierten Leitsystemen verarbeiten können. Die historischen Hafenmauern wurden 60 Jahre nach der Verfüllung neu gesägt und im Neckaruferpark wieder verarbeitet. Ein Upcycling, das die ungeheure Nachhaltigkeit von Naturstein für jeden sichtbar belegt.

Vier landschaftliche Bänder durchfließen als räumliches Kontinuum die neue Stadtlandschaft. Die dauerhaften Freiräume für das 2030 vollständige Stadtquartier sind bereits mit der BUGA 2019 fertiggestellt. (Zeichnungen: SINAI)
Heilbronn: Neue Landschaften im Neckarbogen (BUGA 2019)
2019
Theodor-Fischer-Allee
74076 Heilbronn

Nutzung
Öffentlicher Freiraum / Parkanlagen

Auftragsart
Wettbewerbsgewinn 2011
 
Bauherrschaft
Stadt Heilbronn, vertreten durch die Bundesgartenschau Heilbronn 2019 GmbH
 
Landschaftsarchitektur
SINAI Gesellschaft von Landschaftsarchitekten, Berlin / Frankfurt
Entwurfsverfasser: A.W. Faust
Mitarbeiter Projektleitung: Peter Hausdorf, Klaus Schroll, Bernhard Schwarz
Mitarbeit: Sumika Aizawa, Daniel Angulo Garcia, Michael Bolender, Elena Emmerich, Sebastian Exner, Sarah Gnosa, Clara Gusmao, Karoline Haerter, Thorsten Heitmann, Agnes Hofmeister, Britta Horn, Nastasia Kinder, Franziska Krija, Andreas Metzler, Denny Mlotzek, Frederike Müller, Sebastian Radke, Peter Rathmann, Hugo Rodriguez, Ole Saß, Martin Tietz, Jakob Trzebitzky, Theresa Unger, Holger Vahrenhorst, Elisabeth Voß, Diana Wenzel
 
Fachplaner
ARGE Steidle Architekten, München/t17 Landschaftsarchitekten, München (Städtebaulicher Rahmenplan Neckarvorstadt, 2010), Machleidt GmbH für Städtebau, Berlin (Städtebau 2013)
Wald + Corbe GbR, Stuttgart (Gewässerausbau Karlssee und Floßhafen, Wassertreppe, Vorschüttungen Neckaruferpark, Stadtseebrücke)
BIB Kutz GmbH&Co. KG, Ingenieurbüro, Karlsruhe (Steg Neckarhabitat, Tragwerksplanung Ingenieurbauwerke, Bauüberwachung Spritzbeton Felsenufer, Ufersicherung Neckaruferpark)
CDM Smith Consult GmbH, Stuttgart (Erdbau, Stützwände Neckarbogen, Spritzbeton Felsenufer)
Ingenieurbüro Obermeyer, Potsdam (Wassertechnik Wasserspielplatz, Automatische Bewässerungsanlage)
 
Ausführende Firmen
Wolff & Müller, Waldenburg (Erd- und Tiefbau gesamter Park, Gewässerbau Karlssee/Floßhafen, Straßenbau innere Erschließung)
Seidenspinner, Stuttgart (GaLaBau: Neckarhabitat, Freianlagen Stadtsee, Campuspark, Kraneninsel)
Bietigheimer, Tamm (GaLaBau: Seepark, Freizeitsee, Neckaruferpark)
Toriello, Nagold (Baumpflanzungen Seepark, innere Erschließung)
Schmees & Lühn, Fresenburg (Holzdecks, Stege)
Modellbau Stein, Frankfurt/Oder (Fahrradständer, Bänke, sonstige Ausstattungen)
Benz, Göllheim (Bewässerungsanlagen)
Kompan, Flensburg (Spielplatz Felsenufer)
Tarkus, Berlin (Spritzbeton Felsenufer)
Böwingloh & Helfbernd, Verl (Spundwände Neckaruferpark)
Schmidt Metallbau, Kirchheim unter Teck (Stahlbau Treppe Inselspitze)
Amos, Brackenheim (Stadtseebrücke)

Gesamtfläche
BUGA 40 ha, Freianlagen 22 ha
 
Gesamtkosten
ca. 30.000.000 € netto
 
Auszeichnung
DGNB Vorzertifikat in Platin 2017 (für das Modellquartier Neckarbogen)
polis award 2017 Kategorie Urbanes Flächenrecycling (für das Modellquartier Neckarbogen)
Nominierung zum Deutschen Landschaftsarchitekturpreis 2019
 
Fotos
Sinai
Nikolai Benner
BUGA Heilbronn 2019 GmbH

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