Lerndorf in Langenhagen
gernot schulz : architektur
7. August 2024
Vogelperspektive (Luftaufnahme: HGEsch)
Das Gymnasium in Langenhagen ist fertiggestellt. Gernot Schulz vom Büro gernot schulz : architektur beantwortet unsere Fragen zum Projekt.
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?Die besondere Herausforderung für uns bei diesem Projekt war, die Anforderung aus der modernen Pädagogik an die Schularchitektur, die uns seit über zehn Jahren als Büro und als Schulbauberater*innen beschäftigt, auf ein Projekt dieser Größe anzuwenden. Darüber hinaus waren wir mit der Forderung einer extrem kurzen Planungs- und Bauzeit konfrontiert.
Eingangssituation (Foto: HGEsch)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?Wir haben uns bei der Bearbeitung des Wettbewerbsentwurfs gefragt, wie es gelingen kann, für 1.700 Schülerinnen und Schüler sowie 200 Lehrende einen Ort der kurzen Wege und der Zusammengehörigkeit zu kreieren. Unsere Antworten hierauf sind der schnelle Weg aus allen Lernhäusern über die Balkon-Raumschicht auf den Schulhof, gelegen auf dem Dach des Erdgeschosses. Die Lernenden benötigen somit nur 1–2 min bis zum Schulhof. Die Lehrenden können über die Verbindung der Lernhäuser über die aus der Balkon-Raumschicht entwickelten Brückenverbindungen ebenso schnell die Cluster wechseln und so auf kurzem Weg von Unterrichtseinheit zu Unterrichtseinheit kommen. Gleichzeitig bietet das jeweilige Lernhaus eine identitätsstiftende Heimatadresse für die Schüler*innen – ein Zuhause.
Zudem haben wir mit der zentralen Anordnung der Aula, die mit dem Foyer räumlich zusammenschließbar ist, sowie dem hieran anschließenden Sportfoyer und Mensa ein agiles Herz der Schule geschaffen, als Orte der Begegnung, ohne dabei ständig mit der eigentlichen Größe der Schule konfrontiert zu sein.
Herz des Lerndorfes (Foto: HGEsch)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?Das zur Verfügung stehende Grundstück befindet sich in Randlage der Stadt Langenhagen, ist aber über den ÖPNV und eine zentrale Grünachse für den Fuß- und Radverkehr gut angebunden. Diese beiden Richtungen des Ankommens, ÖPNV sowie Lehrerparken von Norden, Fuß- und Radweg von Süden) erfordern grundsätzlich zwei Zugänge zum Schulgrundstück. Da das Grundstück ehemals ein Golfplatz war, benachbart ist zur Pferderennbahn und deren Wasserrückhaltebecken, sowie im Emissionsbereich des Fluglärms des Hannoveraner Flughafens liegt, stellten sich darüber hinaus Themen des Baumbestanderhalts, der Ausrichtung zur schönen benachbarten Landschaft, sowie des Abhaltens von Lärm-Emissionen aus dem Straßen- und Flugverkehr.
Der Entwurf antwortet mit einer einfachen Figur auf diese heterogenen Herausforderungen. Ein großes L-förmiges Erdgeschoss schirmt das Schulgrundstück zu Flug- und Straßenlärm ab und öffnet sich zur Landschaft. Dieses Erdgeschoss ist aus Beton konstruiert, um Themen des Brandschutzes (wegen des Schulhofes auf dem Dach) und der Erschütterung (wegen des geplanten Straßenbahnausbaus) zu begegnen. Darauf befinden sich die in Holz-Beton-Hybrid-Bauweise erstellten Lernhäuser für die einzelnen Jahrgangsstufen sowie die 5-fach Sporthalle. Die Außenräume, beginnend mit der Balkon-Raumschicht über den Schulhof auf dem Dach des Erdgeschosses bis hin zum landschaftlich geprägten Spiel und Sportbereich des Grundstücks sind über zwei große Freitreppen miteinander verwebt.
Mensa (Foto: HGEsch)
Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerbsbeitrag oder direkt erteilt bekommen?Das Projekt war ein Wettbewerbserfolg mit einem 1. Preis bei einem beschränkt offenem Realisierungswettbewerb. Ein VgV-Verfahren war nachgelagert zum Wettbewerb.
Bereits in der Wettbewerbsauslobung wurde Wert gelegt auf eine nachhaltige Planung und Bauausführung. Zudem stand nur ein sehr begrenzter Planungs- und Ausführungszeitraum zur Verfügung, da das Projekt eingebunden war in eine Gesamtplanung der Stadt Langenhagen aus Rotationen von Schulgemeinschaften und dafür im Vorfeld neu zu bauender oder zu sanierender Gebäude.
Auf beide Herausforderungen haben wir mit der bereits im Wettbewerbsentwurf formulierten Idee des Beton-Holz-Hybrid-Gebäudes regiert. Mit dem Grundsatz »so wenig Beton wie nötig, so viel Holzbau wie möglich« konnten wir sowohl den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen, als auch über ein hohes Maß an vorgefertigten Bauteilen bei den Holzkonstruktionen eine schnelle Ausführungszeit ermöglichen.
Cluster (Foto: HGEsch)
Boulevard (Foto: HGEsch)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?Der Grundstrukturen des Entwurfes sind bis auf das die Position des Zugangshofes nach dem Wettbewerb kaum verändert worden. Die Verlegung des Zugangshofes wurde notwendig, da die zunächst angedachte Erschließung von Westen mit der zukünftigen Planung der Straßenbahn an gleicher Stelle kollidierte. In vielen Detailfragen z.B. der Ausführung der Räume und Rückzugsflächen für die Lehrenden und Lernenden gab es einen planungsbegleitenden intensiven Austausch mit der Schulgemeinschaft. Die Zusammenarbeit mit der Stadt Langenhagen war eine der besten, die wir je mit einer kommunalen Bauherrenschaft hatten. Eine klare Projekt- und Entscheidungsstruktur sowie eine immer teamorientierte Kommunikationskultur bis hin zu regelmäßigen Einladungen des Bauherrn, zu teambildenden Treffen und Austausch auch außerhalb der Projektbesprechungen waren einzigartig und haben wir so vorher als auch nachher nicht wieder erlebt.
Dies hatte unseres Erachtens erheblichen Einfluss darauf, dass wir innerhalb von nur knapp über vier Jahren nach Wettbewerbsentscheidung das fertige Gebäude in Betrieb nehmen konnten, trotz Einzelvergaben, Zustimmungsverfahren im Einzelfall für die Holz-Hybrid-Konstruktionen sowie Herausforderungen aus Pandemie und Materialknappheit während der Bauzeit.
Dach (Foto: HGEsch)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?Wie bereits erläutert beschränkten sich die Veränderungen des Projektes auf wenige strukturelle und konstruktiv bedingte Punkte, wie Lage der Kerne und Treppenhäuser als Teil der Holzhybridkonstruktion. Das schlaue Agieren des Bauherrn, von Anfang an einen Budgetpuffer mit den städtischen Gremien abzustimmen, hat dazu geführt, dass keine aufwendigen Zustimmungsrunden in Ausschüssen und Rat der Stadt »gedreht« werden mussten. Dennoch war die Politik über einen eingesetzten Lenkungsausschuss stets über den Projektfortlauf informiert.
Sportfoyer (Foto: HGEsch)
Sporthalle (Foto: HGEsch)
Inwiefern haben Sie im Projekt die Verwendung von Naturbaustoffen und zirkulären Baustoffen angestrebt?Den Anstoß für ein nachhaltiges Bauwerk hatte der Bauherr bereits durch die Wettbewerbsauslobung gegeben und ist diesem Anspruch trotz Mehrkosten hierfür auch treu geblieben, bis hin zur Inkaufnahme des Zustimmungsverfahrens im Einzelfall für die Verbindungen der Holzhybriddecken in F90-Konstruktion. Auf Klebeverbindungen und Verbundbaustoffe wurde verzichtet, sodass das Gebäude zukunftsfähig sowohl für Rückbau- als auch Umbauprozesse aufgestellt ist.
Das Gebäude wurde komplett 3D-geplant und die Modelle wurden zwischen Planern und ausführenden Unternehmen ausgetauscht. BIM-Verfahren kamen jedoch nicht zum Einsatz.
Schulschluss (Foto: HGEsch)
Welche Überlegungen stecken hinter den Entscheidungen für die eingesetzten Materialien?Die Wahl der Materialien fand im ersten Schritt aus Nachhaltigkeits- und Vorfertigungsüberlegungen statt. Später mussten einzelne Entscheidungen angepasst werden, zum Beispiel aus Brandschutzgründen oder auch um Kosten einzusparen.
Unser Team ist sehr engagiert darin, Zukunftsthemen aufzuspüren, sich darin weiterzubilden und dieses Wissen in die Projekte hereinzutragen. Das Thema der sozialen Nachhaltigkeit ist in unseren Schulbauprojekten und der Schulbauberatung ein elementares, da wir Kommunen und Schulgemeinschaften dahingehend beraten, nutzungsoffen für die Quartiere zu sein, Raumnutzungssynerigen zu kreieren, um insgesamt weniger und flächensparender zu bauen und gebaute Räume über einen längeren Tages-Nutzungs-Zeitraum zu bespielen.
Das zirkuläre Bauen ist derzeit an vielen Stellen noch beschränkt durch die Normung und auch Verantwortungsthemen bei der Gewährleistung. Hier erwarten wir uns größeren Handlungsspielraum durch den E-Bauantrag und die dafür nun endlich in Angriff genommene BGB-Gesetzesänderung zum Begriff »Stand der Technik« versus normgerechtes Bauen.
Lageplan (Zeichnung: gernot schulz : architektur)
Obergeschoss (Zeichnung: gernot schulz : architektur)
Schnitt (Zeichnung: gernot schulz : architektur)
Struktur (Piktogramm: gernot schulz : architektur)
2023
Theodor – Heuss Straße 51
30853 Langenhagen
Auftragsart
Wettbewerb 1. Preis, VgV-Verfahren
Bauherrschaft
Stadt Langenhagen
Architektur
gernot schulz: architektur GmbH, Köln
Annegret Kufferath (Projektleitung), Fenja Ludes (stellv. PL)
Mitarbeit: Agota Ujlaki, Niklas Roth, Nathalie Bendig, Lukas Pauw, Felix Mayer, Johanna Köck
Fachplaner
Freianlagenplanung: urbanegestalt PartGmbB, Köln
Tragwerksplanung: wh-p GmbH, Stuttgart
Technische Ausrüstung: Ingenieurgesellschaft Grabe mbH, Hannover
Elektro: Ingenieurbüro Schlegel & Reußwig GmbH, Lage/Lippe
Bauleitung
Ernst2 Architekten AG, Hannover
Kunst am Bau
Lotte Lindner & Till Steinbrenner, Hannover
ALLES WANDELT SICH, NICHTS VERGEHT
Ausführende Firmen
Rohbau: ARGE Kallage und Rolfes Bau, Vechta
Gussasphalt Terrazzo: Hofmeister Gussasphalt GmbH & Co. KG, Herford
Lärche massiv, Hybridbau: Rubner Holzbau GmbH, Augsburg
Fachwerkträger, Hallenkonstruktion Lärche und Baubuche: Holzbau Amann GmbH, Weilheim
Tischlerarbeiten, feste Einbauten, Möblierung Fritz Schlecht GmbH, Altensteig
Holzlamellendecke: metogla GmbH & Co. KG, Coswirg
Möblierung Aula, Mensa, Klassenräume: Flötotto Einrichtungssysteme GmbH
Bruttogeschossfläche
29.068 m²
Gebäudevolumen
164.396 m³
Kubikmeterpreis
520 €/m³, brutto
Gebäudekosten
85.500.000 €, brutto
Gesamtkosten
88.000.000 € brutto
Auszeichnungen
BDA-Preis Niedersachsen
Nominierung DAM-Preis
Nominierung Staatspreis Niedersachsen
Fotos
HGEsch