Klarheit und Prägnanz

Webler + Geissler Architekten
24. April 2019
Ansicht vom Göckelhof (Bild: Sebastian Mayer, Berlin © ERCO GmbH)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Das Leben und Schaffen des 1723 in Marbach geborenen Astronomen, Kartographen, Mondforschers und Mathematikers Tobias Mayer sollte in einem zeitgemäßen Ensemble präsentiert werden. Jenes sollte aus dessen historischem Geburtshaus in der Altstadt und einem modernen Museumsbau bestehen. Der besondere Ort sowie die hohen Anforderungen des Denkmalschutzes machten den Entwurf zu einer anspruchsvollen Aufgabe. Die Herausforderung bestand darin, weitreichende Vorschriften zu berücksichtigen, ohne jedoch dem Ergebnis seine Klarheit und Prägnanz zu nehmen.

Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Archäologen vermuten, am Bauplatz habe einst ein turmartiges Gebäude gestanden. Unsere Grundidee war daher, eine monolithische Kubatur zu schaffen – archetypisch in der Form, modern in der Ausführung. Ein Turm markiert einen Ort durch seine himmelsstrebende Kontur. Aus dieser Idee wurde die Formensprache des Museums abgeleitet. Zusätzlich wird eine Analogie zur Sternwarte aufgebaut – einem Ort, von dem aus man wie einst Tobias Mayer den Mond und andere Himmelskörper beobachten und vermessen kann.

Bei der Materialwahl spielte die Umgebung eine maßgebende Rolle. Entscheidend war die Frage, welche Baustoffe sich gut in das mittelalterliche Stadtbild einfügen würden. Wir experimentierten in Zusammenarbeit mit der Denkmalschutzbehörde mit verschiedenen Materialien. Pragmatischer Sichtbeton war dabei ebenso im Gespräch wie historisierender Lehm. Schließlich fiel die Wahl auf handgeschöpften Klinkerstein. So zeigt die Fassade einerseits eine Klarheit, die gewöhnlich dem Beton zueigen ist, und andererseits geht die Idee, traditionelle Materialien zu bevorzugen, nicht verloren.

Tobias Mayers Geburtshaus (Bild: Oliver Rieger)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Der Baukörper ist wesentlich durch den mittelalterlichen Ort und Kontext geprägt. Bei der Ausgestaltung der Details konnte aus Mayers reichem Leben und Schaffen geschöpft werden: Wir haben seine Farbenlehre mit den sechseckigen Feldern –Ergebnis seiner Beschäftigung mit Farbmischung und der menschlichen Farbrezeption – aufgegriffen. Sie findet sich etwa in den Fensterformen im Obergeschoss wieder. Ein zweigeschossiges Fenster von 6 m Höhe gewährt Einblicke und rahmt zugleich eine schöne Aussicht auf die umliegenden Fachwerkhäuser. 

Die 160 m2 große Ausstellungsfläche ist wie folgt unterteilt: Im Erdgeschoss finden sich Exponate zum Themenbereichen Kartografie und Kupferstich, im ersten Obergeschoss dreht sich alles um die Mondforschung sowie die Lösung des Längenproblems und im zweiten Obergeschoss befindet sich schließlich die Bibliothek. Mit der Ausstellung wird das Leben und Werk Mayers aufbereitet. Das Untergeschoss, ein modern interpretierter Gewölbekeller, steht für Sonderausstellungen zur Verfügung. Außerdem wird dort lokal gebrautes Bier ausgeschenkt. Und auch die Marbacher Winzer nutzen diese Räumlichkeiten.

Themenbereich Kartografie und Kupferstich (Bild: Oliver Rieger)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?

Im historischen Geburtshaus befindet sich seit vielen Jahren ein kleines Museum. 2012 konnte der Trägerverein das benachbarte Grundstück zwecks einer Erweiterung erwerben. Nach einem vorausgegangenen Architektenwettbewerb fand sich 2015 das Unternehmerpaar Erika und Herrmann Püttmer bereit, den Tobias-Mayer-Verein zu unterstützen und beauftragte uns mit der Realisierung des Bauvorhabens.

Ausstellung zur Mondforschung (Bild: Oliver Rieger)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Das denkmalgeschützte Tonnengewölbe des alten Kellers aus dem 14. Jahrhundert konnte trotz aufwendiger bauhistorischer Sondierungen und statischer Untersuchungen nicht erhalten werden. Auf besonderen Wunsch der Bauherrschaft entstand an diesem Ort ein eigenständiger, moderner Raum für unterschiedlichste Nutzungen. 

Aufgang zur Bibliothek (Bild: Oliver Rieger)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Sowohl die sorgfältig auf den Altbau abgestimmte Farbgebung der handgeschöpften, kleinteiligen Ziegel mit bündiger Verfugung im gleichen Farbton als auch die außenbündigen Festverglasungen der Kastenfenster unterstreichen den monolithischen Charakter des Neubaus. Für uns helfen sie somit eine sich ergänzende Einheit von Alt und Neu zu schaffen.

Bibliothek mit Teeküche (Bild: Oliver Rieger)
Veranstaltungsraum im Untergeschoss (Bild: Oliver Rieger)
Eingangssituation (Bild: Oliver Rieger)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: Webler + Geissler Architekten)
Schnitt (Quelle: Webler + Geissler Architekten)
Tobias-Mayer-Museum
2018
Torgasse 13
71672 Marbach am Neckar

Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Erika und Herrmann Püttmer, Backnang
Stadt Marbach
Tobias-Mayer-Verein, Marbach

Architektur
Wettbewerbsentwurf: Knappe Innenarchitekten, Marbach
Architekt: Webler + Geissler Architekten BDA, Stuttgart
Projektleiter: Carsten Boenicke
Mitarbeiter: Valentin Spaeth, Meike Hammer, Mingxia Sun
 
Fachplaner
Statik + Fassade: Riva GmbH Engineering, Backnang
Brandschutz: Halfkann + Kirchner, Stuttgart
Vermesser: Bartholomä & Kunzi Vermessungsbüro, Kirchberg an der Murr
Haustechnik: Windmüller Technik GmbH, Schwäbisch Hall
Elektro: pbe - Beljuli Planungsgesellschaft mbH, Pulheim
Ausstellungsdesign: Vista Rasch GmbH, Leinfelden-Echterdingen

Ausführende Firmen
Rohbau: Team 2 GmbH, Backnang
Sichtmauerwerk: L&S Verblend GmbH, Rhede
Heizung/Lüftung: Windmüller GmbH, Schwäbisch Hall
Sanitär: Uwe Wolf, Kirchberg a.d. Murr
Elektro: Elektrotechnik Wolf, Kirchberg a.d. Murr
Sicherheitstechnik: AlarmPartner GmbH, Winnenden
Designestrich: Duramique P&K Flooring Group, Nellmersbach
Trockenbau: Dirk Eckhold GmbH, Burgstetten
Fliesen: Karl Körner GmbH, Stuttgart
Innenausbau: Mannsperger Möbel + Raumdesign, Kleinbottwar
Ausschank/Gastronomie: Sprecher Küchenarchitektur, Stuttgart

Hersteller
Fassade: Kolumba™ | K11, Petersen Tegl A/S, Denmark
Boden-/Wandbeläge: Noraplan, nora systems GmbH, Weinheim
Fliesen: Koninklijke Mosa BV, Niederlande
Beleuchtung: ERCO GmbH, Lüdenscheid
Sanitärkeramik: Duravit AG, Hornberg
Armaturen: Hansa Armaturen GmbH, Stuttgart
Lichtschalter: Albrecht Jung GmbH & Co. KG, Schalksmühle
Küchenmöbel: Valcucine S.p.A., Italien
Türen: Neuform Türenwerk GmbH & Co. KG, Erdmannhausen 
Möbel: Artek + Fredericia, Vitra by store S, Stuttgart
 
Bruttogeschossfläche
ca. 340 m²

Gebäudevolumen
ca. 1.080 m³

Gesamtkosten
ca. 2.700.000 € brutto (KG 200 bis 700)
 
Fotos
Sebastian Mayer, Berlin © ERCO GmbH
Oliver Rieger Photography, Stuttgart

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