Kindervilla am Kurpark

Scala Architekten und Stadtplaner mit Jeggle Architekten
20. Oktober 2021
Foto: Scala Architekten
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Einerseits im städtebaulichen Ansatz:

Die Lage der Olgakrippe (Königin Olga übernahm einst die Schirmherrschaft über diese seit Mai 1875 bestehende Kindertagestätte, daher der Name) auf dem Gelände einer ehemaligen Unternehmervilla aus dem Jahr 1912 am Rand des Kurparks Bad Cannstatt wird als großes Potenzial für eine Rückführung zur „städtebaulichen-Bestands-DNA“ und der damit zusammenhängenden „Körnung“ des Quartiers betrachtet. Das aus den 1950er-Jahren stammende Bestandsgebäude mit sieben Gruppen der ehemaligen Olgakrippe präsentierte sich, ähnlich wie die benachbarte Sportklinik, als eher horizontal ausgedehnter Baukörper, was der „Körnung“ des Quartiers wenig entsprach. Durch den Abbruch des Altbestands und den Neubau der jetzigen „KITA am Kurpark“ (für neun Gruppen) ergab sich die Chance, über einen ortstypischen Stadtbaustein zur originären Anmutung des Quartiers zurückzufinden. Die Wiederaufnahme der ortsspezifischen, eher vertikal ausgedehnten Villentypologie verhalf auch zu einer Maximierung der zur Verfügung stehenden Frei- und Außenflächen. 

Andererseits – damit zusammenhängend – im objektbezogenen Konzept: 

In der auch vertikalen Organisationsform einer neungruppigen Kita über fünf Geschosse, konzeptionell angelehnt an die Metapher der „gestapelten Stadt“: die „Kinderhäuser“ (Gruppen- und Schlafräume), angeordnet um den zentralen „Marktplatz“ (gemeinschaftlicher Bereich zwischen den Gruppenräumen), spiegeln dieses Konzept einer kleinen, in Form von einer über fünf Etagen „gestapelten Stadt“ deutlich wider.

Mittig auf diesem „Marktplatz“ führt ein vertikal durchgesteckter „Licht- und Luftstrumpf“ als energiegeladene Skulptur durch alle Stockwerke der „gestapelten Stadt“ und schafft eine einzigartige, unübersehbare Beziehung zwischen „oben und unten“ sowie „innen und außen“. 

Dieses eigenwillige, speziell für die Kindervilla entwickelte Objekt (Genehmigung über eine ZiE) stärkt durch seine Zentrierung auf dem „Marktplatz“ nicht nur die identitätsstiftenden, gemeinschaftlichen Innenräume, sondern trägt als lichtführende Skulptur über seine thermodynamischen Potenziale zur Nachtauskühlung bei. Deshalb auch „Luftstrumpf“: im Schnitt bei einer Temperaturdifferenz von 3° Celsius zwischen innen und außen über einen Luftstrom mit 2 bis max. 3 Beaufort (= ca. 5 km/h).

Eine weitere Besonderheit der „KITA am Kurpark“ sind die sogenannten „Lichtaugen“ im Haupttreppenhaus. 

Sie erfüllen zwei Funktionen: Zum einen sollen sie durch ihre „fernglasgleiche“ Ausgestaltung und ihre Ausrichtung auf die gegenüberliegende ehem. Versuchswerkstatt von Gottlieb Daimler daran erinnern, was ein einzelner Mensch bewegen kann, welch „Großes“ (so relativ das auch sein mag…) aus seinem Tun (mit kleinen, bescheidenen Anfängen) erwachsen kann. Der Blick durch die „Lichtaugen“ auf die Gedächtnisstätte soll in diesem Sinne Mut machen, den eigenen Weg mutig zu suchen und dann auch zu gehen. Zum anderen bildet dieses optisch-lichttechnische Objekt aus 28 Lichtaugen in der Hausfassade bei Dunkelheit ein einzigartiges kleines Lichtkunstwerk in der Straßenansicht. 

Die „Kiemen“ (Foto: Jeggle Architekten)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Die Inspirationen erschließen sich aus den o.a. Hinweisen zum Besonderen, die diese Frage (und die Antworten dazu) in Teilen bereits einschließen: Sie fußen auf der eigenständigen Typologie und Geschichte des Ortes, beginnend in der städtebaulichen Einbindung bis hin zur Material- und Farbfindung. Einfälle liegen im Bemühen um einen Diskurs mit den Nachbarschaften, fast im Sinne einer Suche, die im Ansatz dem „Kontextualismus“ oder einer „analogen Architektursprache“ verpflichtet ist, die allerdings klar und deutlich das „Jetzt“ mit einbezieht. Kurzum: der Ort trägt die Antworten bereits in sich. So fordert auch die Randlage an einem Kurpark, einer außerordentlichen „Filetlage“, eine gewisse Dichte und das Ziel, dass hier ein „Haus für alle und viele“ möglich wurde. Ein Umfeld dieser Güte bedingt, dass viele Nutzerinnen und Nutzer und nicht nur wenige Privilegierte an dieser Qualität teilhaben können. So ist die Entwicklung von der Unternehmervilla über die Olgakrippe der 1950er-Jahre mit sieben Gruppen zur heutigen „Kindervilla“ mit neun Kindergruppen aus allen Bevölkerungsschichten eine konsequente Fortführung dieses Desiderats. 

Die Lichtaugen (Foto: Scala Architekten)
Blick durch das Lichtauge auf die gegenüberliegende Daimler-Gedenkstätte (Foto: Scala Architekten)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Die Nachbarschaft zur „Daimler-Gedenkstätte“ und zum Kurpark sowie die (in Teilen noch vorhandenen) ortstypische Körnung der „Villenarchitektur“ erfordern entsprechende Antworten, die wir hoffen, mit der realisierten Lösung auch gefunden zu haben.
Das zuvor einheitlich abschüssige Gelände konnte gartenseitig leicht nach unten, zum Gebäude abgeklappt werden, sodass sich nun eine großzügige, weitgehend ebene und damit auch frei bespielbare Fläche mit den beiden ersten Geschossen und den oberen Terrassen (neu) verknüpfen kann. Der neue Stadtbaustein wurde so weit wie möglich nach Norden gerückt. Dadurch konnte im Zusammenspiel mit der restaurierten und umgenutzten alten Wagenhalle ein etwas kontemplativer „Südhof“ entstehen. Die formal freundliche Wagenhalle blieb als Reminiszenz an die ehemalige Villenarchitektur erhalten und ergänzt optisch auf ganz eigene Art und Weise über die grüne Fuge der Kastanienallee (Taubenheimstraße) hinweg den öffentlichen Bezug zum Kurpark und zur Gottlieb-Daimler-Gedächtnisstätte.

Blick aus dem großzügigen Gartenbereich auf die Kindervilla (Foto: Thomas Herrmann)
Die skulpturale Fluchttreppe, die über ihre Primäraufgabe hinaus zusätzlich alle Geschosse mit den Terrassen und Aussenräumen verknüpft (Foto: Thomas Herrmann Photography)
Der kontemplative Südhof (Foto: Thomas Herrmann Photography)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Bei einem Projekt für eine öffentlichen Bauherrschaft, das über fast sieben Jahre erarbeitet wurde, war fast selbstredend eine lange und geduldige Auseinandersetzung mit allen Beteiligten notwendig, im Besonderen in der Abstimmung der erhöhten Brandschutzanforderungen, die in Teilen in einer ZiE mündeten. Inhaltlich war das sicher oft befruchtend, dennoch mit einem erheblichen Zeit- und Abstimmungsaufwand für alle Beteiligte verbunden. Auch selbstverständlich, dass all die Anforderungen geschickt eingebunden werden mussten, ob man sie nun direkt sieht oder nicht.

Blick in das „güldene“ Haupttreppenhaus: „…Olga, Olga…lass mir Dein Haar herunter...“ (Foto: Thomas Herrmann Photography)
Die gute Olga hat alles gut im Blick! (Foto: Scala Architekten)
Das „rote Geschoss“ als Teil der gestapelten Stadt für Kinder (Foto: Jeggle Architekten)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Selbst etwas verwundert meinen wir, dass trotz der intensiven Ämterabstimmung und der komplexen Anforderungen, z.B. seitens des Brandschutzes und der Fluchtwegorganisation u.a.m. der ursprüngliche Wettbewerbsentwurf in weiten Teilen in das realisierte Ergebnis weitergetragen werden konnte. Der Umstand, dass öffentliche Ausschreibungen auch eine „Vielfalt“ an unterschiedlichen Unternehmern und deren „Zielsetzungen“ mit sich bringen, fordert oft einen zusätzlichen Tribut an Zeit und Nerven, sicherlich zuletzt umso mehr von einer „geduldigen“ Bauleitung. 

Der gerahmte Blick in den „Grünen Salon“....hier Marktplatz (Foto: Jeggle Architekten)
Der grüne „Schatzkiste“ (Foto: Jeggle Architekten)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Es erscheint zunehmend anspruchsvoller, diese Inhalte zu integrieren bzw. in ein Konzept einzubinden, denn die (hier verschärfte) EnEv musste unterschritten werden, die verdrehten und teilweise auskragenden Geschosse („gestapelte Stadt“) erforderten gewissen tragwerksplanerische Finessen und die Haustechnik musste „gebändigt“ werden, konnte sich aber fast unsichtbar in diese Bedingungen einfinden. 

All diese Einzelheiten des Bedarfs konnten sich in das vorgetragene Konzept fast dienend eingliedern, nicht unbedingt unter-, aber gut einordnen, sodass sie integraler und eben nicht zelebrierter Bestandteil eines übergeordneten Konzeptes werden konnten.

Die „rote Kieme“: der geführte Blick in einer Sitz-und Spielnische (Foto: Scala Architekten)
Der Licht-und Luftstrumpf im „blauen Geschoss (DG) (Foto: Thomas Herrmann Photography)
Blick durch den Licht-und Luftstrumpf durch 4 Geschosse (Foto: Jeggle Architekten)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Nehmen wir das Wort “Erfolg“ mal raus: 

wir glauben, dass bereits in der Rückführung zur städtebaulichen „Körnung“ eine grundsätzliche und evtl. positiv wirksame Stadtreparatur erzielt werden konnte. 

Ob nun einige Materialien und Produkte, wie der eigens entwickelte Licht-und Luftstrumpf, die Lichtaugen oder gar der faserverstärkte Beton unterstützend wirksam werden, bleibt anderen im Urteil überlassen. 

Wir hoffen jedoch, dass die Anforderungen oder gar Verpflichtungen an ein „anständiges Haus“ mit einem „guten Anzug“ in einer öffentlichkeitswirksamen Lage, wie hier am Kurpark, erfüllt werden konnten.

Der Ort und sein Umfeld (Zeichnung: Scala Architekten)
Grundriss EG (Zeichnung: Scala Architekten)
chnitt (Zeichnung: Scala Architekten)
Diagramme zum Architekturkonzept (Zeichnung: Scala Architekten)
Olgakrippe Bad Cannstatt
2020
Taubenheimstraße 12
70372 Stuttgart - Bad Cannstatt
 
Nutzung
Kindertagesstätte für 9 Gruppen

Auftragsart
Wettbewerb, Öffentlicher Auftrag
 
Bauherrschaft
Landeshauptstadt Stuttgart, vertreten durch das Hochbauamt
Referat Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen
Liegenschaftsamt, vertreten durch das Technische Referat, Hochbauamt Abt. 65-5, Stuttgart

Architektur
„Arge Olga“: Scala Architekten und Stadtplaner mit Jeggle Architekten, Stuttgart
und Kernen-Stetten

Fachplaner
Pfrommer + Roeder Freie Landschaftsarchitekten BDLA IFLA, Stuttgart
Fritz Deufel Ingenieurgesellschaft mbH, Deizisau
Ingenieurbüro Giller-Weltecke, Stuttgart
Raible + Partner GmbH & Co. KG, Sindelfingen
Kuhn Decker Ingenieure und Architekten GmbH & Co. KG, Sindelfingen
GN Bauphysik Finkenberger + Kollegen, Stuttgart
Geotechnik Stuttgart GmbH, Stuttgart

Bauleitung
Jeggle Architekten
 
Kunst am Bau
Scala Architekten
Licht-und Luftstrumpf, Lichtaugen

Ausführende Firmen
Abbruch: SER Sanierung im Erd- und Rückbau GmbH, Heilbronn
Gerüst: Arnold Gerüstbau GmbH, Korntal-Münchingen
Betonfassade: FaTec GmbH & Co KG, Naumburg
Rohbau: Grötz Bauunternehmung GmbH, Nürtingen
Dachabdichtung: Refa Dachbau GmbH, Freiberg am Neckar
Dachbegrünung + Freianlagen: Hans Herthneck e.K. Garten- und Landschaftsbau, Stuttgart
Fenster: Fink Duo GmbH, Nellingen
Plisseeanlagen: Raumdesign, Stuttgart-Untertürkheim
Estrich: Modern Estrich Bau GmbH, Merzig
Bodenbeläge: Bode Böden, Freiberg am Neckar
Fliesen: von Au - Gehrung Fliesen GmbH, Nürtingen
Innenputzarbeiten: Gottfried Mack Stukkateurfachbetrieb GmbH, Pliezhausen
Trockenbau: Ullrich & Schön GmbH, Fellbach-Schmiden
Sanitärtrennwände: SANA Trennwandbau, Luhe-Wildenau
Stahl-Glas-Elemente: Trauschke GmbH, Appenweier
Stahlzargen-Holztüren: Fink Duo GmbH, Nellingen
Schlosser: Schlosserei Karl Kübert, Hochdorf
Möbel Küchen: Fink Duo GmbH, Nellingen
Maler: Kraft GmbH Ludwigsburg, Ludwigsburg
Baureinigung: Soylak FM GmbH Gebäudereinigung, Stuttgart
Schließanlage: Zweygart Fachhandelsgruppe GmbH & Co. KG, Gärtingen
Sanitär: Weinbuch GmbH, Süßen
Heizung: Biber Wärme + Wasser GmbH, Waiblingen
Lüftung: Knödler LKK GmbH, Rudersberg
Elektroanlagen: Elektro Sever GmbH, Stuttgart
Aufzug: Kone GmbH Aufzüge u. Rolltreppen, Ludwigsburg
 
Energiestandard
Primärenergiebedarf 115,0 kWh (m² x a), verschärfte Anforderungswerte der EnEV damit eingehalten.
 
Bruttogeschossfläche
ca. 1.850,00 m²
 
Gebäudevolumen
ca. 5.500,00 m²
 
Kubikmeterpreis
Aus KG 300, s.u.: ca.780,00 €/m³
 
Gebäudekosten
ca. 4,280.000 € Kostengruppe 300 nur Gebäude, ohne Abbruch
Gesamtkosten
7,800.000 € (alle KG- en)
 
Fotos
Ralf Blum in Jeggle Architekten
Sayman Bostanci und Jörg Esefeld in Scala Architekten
Thomas Herrmann Photography, Stuttgart

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