Integrative Nachverdichtung

Kauffmann Theilig & Partner
30. März 2022
In die Nachbarschaft integriert und zugleich eigenständig ist das Ensemble. (Foto: Roland Halbe)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Bauherrin des Projektes ist die Erich und Liselotte Gradmann Stiftung, vertreten durch Oberbürgermeister a. D. Herbert Rösch. Der Stiftungszweck sind Sozialprojekte. Das Grundstück im Zentrum von Ruit ist in markanter Lage, eine verdichtete Bebauung an dieser Stelle lässt sich aus dem Kontext des Ortes ableiten, ist aber zunächst nicht über städtebauliche Rahmenplanung abgesichert. Die Grundstücksverhältnisse waren beengt, zugleich sollte die Ausnutzung hoch sein. Es galt zudem, bezahlbaren Wohnraum möglichst günstig zu schaffen.

Materialkomposition aus Faserzement-, Putz- und Blechoberflächen (Foto: Roland Halbe)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Das Gebäudeensemble mit fünf Obergeschossen an der markanten Ecke leitet sich aus den Randbedingungen der Nachbarschaft ab. Zum einen werden Trauf- und Firsthöhen übertragen und Adaptionen an die Baukörper der direkte Nachbarn vorgenommen. Abschrägungen der Fassaden erreichen Abstandsflächen und gewährleisten damit gute Tageslichtbedingungen für uns selbst und die Nachbarn und fügen sich in den Formen-Kanon der Umgebung ein. Zum anderen werden sinnvolle Wegebeziehungen im Erdgeschoss ermöglicht. Es entsteht eine individuelle Figur mit plastischen Ausbildungen als Reaktion auf Ort und Baurecht. Das Ergebnis ist formal beherrscht und verzichtet darauf die Zwänge abzubilden.

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Die Bauherrin besaß die Kraft und das Verständnis, hat die klugen Randbedingungen für ein Raumprogramm eingebracht, hat die Kraft, in einem volatilen Prozess von Planung und Herstellung das Projekt und das Ziel aufrecht zu erhalten und ggf. weiterzuentwickeln.

Wohnung mit Luftraum im 2. Obergeschoss (Foto: Roland Halbe)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Die städtebauliche Absicht und das städtebauliche Konzept bestanden von Beginn an. Die konkrete formale Ausbildung hat sich bzgl. den Möglichkeiten des Raumprogramms, des Baurechts und am Ende auch der Baukonstruktion verändert und adaptiert. Die konkrete Abstimmung mit den Nachbarn hat – in einem so engen Kontext – Anpassungen notwendig gemacht. Die Vollziegelklinkerfassade hätte aus bautechnischen Gründen nur mit sehr großem Aufwand umgesetzt werden können und wurde durch eine Hülle mit geschuppten, horizontal gegliederten Faserzementplatten und einer horizontal gestrichenen Putzoberfläche ersetzt. Die ursprünglich geplante Tiefgarage wurde aus Gründen der technischen Machbarkeit durch ebenerdige Garagenstellplätze (Doppelparker) ersetzt. 

Terrasse mit weitem Ausblick bis zur schwäbischen Alb (Foto: Roland Halbe)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Ja, die kompakte Figur schafft ein günstiges Verhältnis von Hülle zu umbautem Volumen. 
Die Balance zwischen transparenten Bauteilen (Licht, Ausblick) und opaken Bauteilen (Wärme) hat zu dem Fassadenbild geführt. Die in dieses Bild integrierten Loggien sorgen zusätzlich für natürliche Belichtung und Belüftung in der Tiefe des Raums. Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist geradezu das Motto des Projektes: Die Verdichtung auf engem Grund schont Ressourcen;
Das Angebot der Bauherrin, für Pflegekräfte einen angemessenen Wohnraum zu schaffen, erfüllt die Bedingung einer gesellschaftlichen Nachhaltigkeit.

Abendatmosphäre des Ensembles mit öffentlichem Innenhof (Foto: Roland Halbe)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Die differenzierte Gestalt der Fassade schafft eine wohltuende Vielfalt in der Einheit. Die handwerkliche Bearbeitung der Materialien bildet den Wert, signalisiert Bemühung und Nähe. Die handwerkliche Qualität ersetzt eine wesentlich teurere Fassadenhaut.

Lage an zentraler Kreuzung zwischen Marktplatz und Grüner Mitte (Zeichnung: Kauffmann Theilig & Partner)
Individuelle Wohnungszuschnitte Grundriss 3. Obergeschoss (Zeichnung: Kauffmann Theilig & Partner)
Schnitte durch das Vorder- und das Hinterhaus (Zeichnungen: Kauffmann Theilig & Partner)
Wohnungsbau für Pflegekräfte ‚Liselotte‘ Ostfildern-Ruit
2021
Kirchheimer Straße 29+32, Hedelfinger Straße 4
73760 Ostfildern-Ruit

Nutzung
Wohnen, Gewerbe
 
Auftragsart
Direkte Auftragsvergabe
 
Bauherrschaft
Erich und Liselotte Gradmann-Stiftung, Ostfildern
 
Architektur
Kauffmann Theilig & Partner, Freie Architekten PartGmbB, Ostfildern
Professor Andreas Theilig, Rainer Lenz 
Andrea Litterer, Thomas Theilig
Projektleitung: Andreas Nothdurft, Lukas Sigwart
Mitarbeit: Xiao Qi, Hsin-Yu Chuang Julia Kalmbach
 
Fachplaner
Freianlagen: KTP mit Gänßle + Hehr Landschaftsarchitekten PartGmbB, Esslingen
Tragwerksplanung: Pfefferkorn Ingenieure GbR, Stuttgart
HLS-Planung: sk Ingenieurgesellschaft mbH, Großbettlingen
E-Planung: Zeeb + Frisch GmbH, Kirchentellinsfurt
Bauphysik + Brandschutz: umt Umweltingenieure, Ulm
Bodengutachten: Büro für angewandte Geowissenschaften, Tübingen

Ausführende Firmen
Abbruch: Heinrich Feess GmbH & Co.KG, Kirchheim /Teck
Erd- u. Rohbau: Bauunternehmung Strobel GmbH, Ostfildern-Scharnhausen
Dachabdichtung: Scholtz Dachdeckermeister GmbH, Ostfildern
WDVS + Innenputz /Trockenbau: KM-Systembau GmbH, Stuttgart
Faserzement-Fassade: Wolf Fassaden GmbH & Co. KG, Schönaich
Fenster + PRF: Alu Technic K.Rinkenburger GmbH, Baienfurt
Schlosser: Ferral Schlosserei & Stahlbau, Ostfildern
Estrich: ARES Estrich-Team GmbH, Nagold
Parkliftanlage: Wöhr Autoparksysteme GmbH, Friolzheim
Aufzug: Kone GmbH, Ludwigsburg
HLS: Hanselmann GmbH, Leinfelden-Echterdingen
Elektro: Nägele Elektrotechnik GmbH
Parkett: Die Wohnidee Stolz GmbH, Wendlingen am Neckar
 
Hersteller
Fassadentafeln Equitone natura PRO: Etex GmbH
Blecheindeckung prefa prefalz Dachplatte R16: Prefa GmbH
Organischer Oberputz StoSignature Linear 10 ‚Besenstruktur‘: Sto SE & Co. KG
 
Energiestandard
KfW 55
 
Bruttogeschossfläche
2.490 m²
 
Gebäudevolumen
8.140 m³
 
Kubikmeterpreis
479 €/m³
 
Gebäudekosten
3.900.000 €

Fotos
Roland Halbe Fotografie, Stuttgart

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