Hierarchielos strukturiert

LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei
13. Mai 2020
Treppe und unregelmäßig verlegte Solnhofener Platten in den Erschließungsbereichen (Foto: Roland Halbe)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Der dm-Drogeriemarkt hat eine eigene Unternehmensphilosophie, die ganz wesentlich auf den Gründer des Unternehmens, Götz Werner zurückgeht. Diese basiert, wie dieser selbst schreibt, auf der ‚Mitmenschlichkeit und Partnerschaftlichkeit‘ gegenüber den Mitarbeitern, Kunden und Handelspartnern. Obwohl kein anthroposophisches Unternehmen, so spielt, wie wir es von außen sahen, die Wertevorstellung Rudolf Steiners eine große Rolle.

Ziegelschale der Fassade aus wiederverwendeten Abbruchsteinen (Foto: Roland Halbe)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Das Gebäude sollte eine weitgehend hierarchielose Struktur bekommen. Es gibt keine ‚Chefetage‘, das Volumen wurde auf drei bis vier Geschosse ausgelegt, die wabenförmige Struktur mit den Innenhöfen bildet ein Netz von Arbeitsflächen, die ohne die für einen Verwaltungsbau typischen Flure auskommt. Die Treppenhäuser dienen nicht nur der Erschließung, sondern sind als eigenständige Kommunikationsbereiche dezentral angelegt. Es gibt also kein ‚Haupttreppenhaus‘. Rückgrat der Anlage ist eine zentrale Magistrale, an der die inneren Treppenräume liegen. Sie verbindet das Eingangsfoyer auf der Westseite mit dem Betriebsrestaurant, das sich mit einer Terrasse und einer angestauten Wasserfläche nach Osten öffnet. 

Die einzelnen Arbeitsbereiche sind stützenfrei ausgebildet, um verschiedene Möblierungen zu ermöglichen. Jeder einzelne Innenhof hat eine eigene Gartengestaltung. Die städtische Straße, die vor dem Haupteingang vorbei führt, ist Teil der firmeneigenen Platzanlage. Gegenüber dem Verwaltungsbau befindet sich das Parkhaus. 

Balkone dienen, nicht technoid, sondern rein baulich, der Verschattung der Büroflächen. (Foto: Roland Halbe)
Haupteingang (Foto: Roland Halbe)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Das Grundstück liegt in knapper Entfernung zur A5 und der Autobahnaus- und Einfahrt von Karlsruhe-Durlach. Mit dem Parkhaus sollte das Hauptgebäude vor Lärm geschützt werden. Entgegen den für Autobahnkreuze typischen Architekturen von Unternehmen und Einkaufszentren, sollte ein Stadtbaustein gesetzt werden, der sich in seiner Gestalt und Materialisierung von den genannten Gebäuden unterscheidet. 

Am dm-Platz 1 (Foto: Roland Halbe)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

In der Aufgabenstellung zum Wettbewerb waren die wesentlichen programmatischen Inhalte festgelegt. Deshalb blieb die Grundstruktur, wie auch schon im konkurrierenden Verfahren, durchgehend erhalten. 

Hinsichtlich der atmosphärischen Wirkung, der Oberflächen und Farben, gab es eine intensive Nutzerbeteiligung, ebenso wie bei den nutzungsspezifischen Aufgaben bei der Organisation und Ausstattung der Arbeitsbereiche. Die Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft und den Mitarbeitern war durch gegenseitiges Verständnis und Vertrauen geprägt – kurzum: sie entsprach der Wertevorstellung von dm. 

Innenhof mit Kräutergarten (Foto: Roland Halbe)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Grundsätzlich hat sich das Projekt nur wenig verändert. Es wurde jedoch Schritt für Schritt verfeinert. Ursprünglich hatten wir nur drei Geschosse geplant (wegen der erwähnten Hierachielosigkeit und dem Gedanken, weitgehend ohne Aufzüge auszukommen), aus Platzgründen wurde dann ein Teil des Gebäudes um ein viertes Geschoss erhöht. 

Stützenfrei ausgebildeter Arbeitsbereich (Foto: Roland Halbe)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Zuerst die Ziegelschale der Fassade aus gebrauchten Abbruchsteinen. Wir verwenden solche Steine seit vielen Jahren, weil die Wiederverwendung von Baumaterial keine Energie bei der Herstellung oder einem Recycling-Prozess benötigt. Beim Innenausbau sind es vor allem die Holzoberflächen aus Ahorn und in der Eingangsebene der unregelmäßig verlegte Naturstein, sogenannte Solnhofener Platten. 

Der Außenbereich des Betriebsrestaurants mit Entspannung versprechender Wasserfläche (Foto: Roland Halbe)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Für unser Konzept stand die Dauerhaftigkeit und das Bemühen um gute Werte bei den Lebenszykluskosten im Vordergrund. Große Bemühungen und viele Diskussionen bedurfte es, die Beteiligten von der eingesetzten dezentralen Belüftung der Büroflächen zu überzeugen. Es dürfte eines der ersten größeren Bürogebäude sein, das mit pulsierenden, dezentralen Lüftungsgeräten ausgestattet ist. Das erspart große Kanalführungen und Zentralen, nachweislich aber auch Aufwendungen für Energieproduktion. 

Die Idee der flur- und stützenfreien Ausbildung der Büroflächen, ebenfalls lange beraten, sichert eine beidseitige Belichtung der Räume. Die davorliegenden Balkone verschatten die Fassaden aus Holzrahmenfenster und ergeben ein angenehmes, nicht so sehr technoides Raumgefühl. 

Der gekrümmte Baukörper vermeidet lange Sichtachsen und lässt das große Volumen gegenüber den benachbarten kleinkörnigen Siedlungsbauten harmonischer erscheinen. 

Das Betriebsrestaurant liegt an der Ostseite der Magistrale (Foto: Roland Halbe)
Treppenhäuser dienen als eigenständige Kommunikationsbereiche (Foto: Roland Halbe)
Lageplan (Zeichnung: LRO)
Grundriss Erdgeschoss Verwaltungsgebäude (Zeichnung: LRO)
Grundriss Erdgeschoss Parkhaus (Zeichnung: LRO)
Schnitt Ost-West (Zeichnung: LRO)
Neubau dm-drogerie markt Unternehmenszentrale in Karlsruhe
2019
Am dm-Platz 1
76227 Karlsruhe

Nutzung
Verwaltungsgebäude und Parkhaus

Auftrag
hervorgegangen aus einem 2-stufigen Gutachterverfahren
 
Bauherrschaft
dm-drogerie markt GmbH + Co. KG
 
Architektur 
LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei, Stuttgart
LRO Projektleitung: Sophie Röcker
LRO Projektteam: Benjamin Berbig, Richard Scheele, Benjamin Mauritz, Peter Leidlmayer, Anna Noack, Andreas Ernst, Simon Scheithauer, Jean-Philippe Maul, Philipp Gantenbrink, Frank Bohnet, Ekaterina Volkovskaya
 
Fachplaner
Projektsteuerung: fc.ingenieure Projektsteuerung GmbH, Ettlingen
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Dr. Binnewies, Hamburg
Prüfstatik: Ingenieurgruppe Bauen, Karlsruhe
Bauphysik: ITA Ingenieurgesellschaft für technische Akustik mbH, Wiesbaden
Brandschutz: Halfkann + Kirchner PartGmbB, Erkelenz
Geologe / Tiefbauplanung: GHJ Ingenieurgesellschaft für Geo- und Umwelttechnik mbH & Co. KG, Karlsruhe
Planung HLS: Pfeil & Koch Ingenieurgesellschaft Beratende IngenieureVBI, Stuttgart
Planung ELT: GBI Gackstatter Beratende Ingenieure GmBH, Stuttgart
Küchenplanung: Reisner & Frank GmbH, Ingenieure, Unternehmensberater, München
 
Bauleitung
Ernst2 Architekten AG, Stuttgart
 
Ausführende Firmen
Rohbau: ARGE Max Bögl / Implenia, Stuttgart
Fassade (Holzfenster, Balkone, Sonnenschutz): Schindler Fenster + Fassaden GmbH, Roding
Fassade RC-Ziegel: Lagierski Klinkerbau GmbH & Co. KG, Neckarsulm
Fassade Parkhaus + Schlosserarbeiten: Vorndran Metallbau GmbH & Co. KG
Trockenbau + Innentüren: Lindner AG, Arnstorf
Schreinerarbeiten: Friedrich Hanselmann GmbH & Co. KG, Neuweiler / Stegmüller Innenausbau GmbH, Rosenfeld
Think Tanks: Alfred Kiess GmbH, Stuttgart

Hersteller
Schreibtische: Ophelis (Schreibtische als Eigenentwicklung für dm)
Konferenzmöbel: Vitra MedaMorph / Click / Physix
Reihenbestuhlung Konferenz: Enea Ema Chair
Teppich: Interface Touch & Tones
Sonnenschutz: Warema Senkrechtmarkise
Lüftungsgeräte: LTG FVP Pulse

Bruttogeschossfläche
Verwaltung: BGF 40.952 m² und Parkhaus / Sondernutzung: BGF 21.854 m²

Gesamtkosten
120.000.000 €
 
Fotos
Roland Halbe

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