Forschendes Entwerfen

gernot schulz : architektur
15. Mai 2019
Sakraler Raum: Die Christkönigkapelle mit Maßwerkfassade und den mit historischer Grissaille-Technik gestalteten Fenster. (Bild: Simon Wegener)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Besonders war die Arbeit an diesem geschichtsträchtigen Ort, an dem ein besonderes Gebäude mit umfangreichem Raumprogramm umgesetzt werden sollte. Den Ort mit seiner tausendjährigen Bau- und Kulturgeschichte galt es dabei genauso zu bewahren und fortzuschreiben wie die Geschichte der Institution Jugendbildungsstätte des Erzbistums Köln, die auch schon 100 Jahre besteht.

Sakraler Raum: Die Christkönigkapelle mit eigens angefertigten Kirchenbänken und Kerzenfenster (Bild: Simon Wegener)
Eine besondere Ehre für die Architekten war der Entwurf der Kirchenausstattung: Ambo und Altar mit Dornenzweig als Verweis auf die Dornenkrone Jesu (Bild: Simon Wegener)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Seit 20 Jahren wird in Deutschland wieder intensiv die Fachdebatte zum angemessenen architektonischen Ausdruck von Erweiterungs- und Neubauten in denkmalgeschützter Bauumgebung geführt. Gerade vor diesem Hintergrund erforderten Ort und Aufgabe, eine eigene Haltung in dieser Debatte zu finden. Die neuerliche Auseinandersetzung mit der „Rheinischen Moderne“ war die Hauptinspiration unserer Arbeit.

Christkönigkapelle zur blauen Stunde (Bild: Stefan Schilling)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Oberstes städtebauliches Ziel war es, dem Ort seine baukulturelle Identität als „Klausur im Tal“ zurück zu geben. Dies erforderte insgesamt eine Straffung der baulichen Kubatur und Rückbau aller im Umfeld erstellten Funktionsgebäude, KFZ-Stellflächen und verwildertem Grün. 

Für die Bestands- und Neubauten suchten wir nach einem archaischen Ausdruck der Räume, um an die verloren gegangene Klosterarchitektur an diesem Ort zu erinnern. Die gewölbten Betondecken und tektonischen Lamellendecken übertragen die Atmosphäre überwölbter historischer Räume und Strukturen historischer Balkendecken in die Neuzeit – jedoch ohne diese zu kopieren.

Innenhof mit Blick auf den Altenberger Dom. Christkönigkapelle (links) und Zimmertrakt (rechts) im Obergeschoss und Seminarräumen im EG (Bild: Simon Wegener)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Die Zusammenarbeit mit allen Verantwortlichen auf Bauherren-, Nutzer-, Denkmalschutz- und Fachingenieurseite war in der Entwurfsphase baukünstlerisch geprägt und hatte als oberstes Ziel dem Ort und der Aufgabe gerecht zu werden. Unsere erste Kostenschätzung fiel zeitlich mit der Causa „Tebartz van Elst“ im Nachbarbistum Limburg zusammen, was die Verantwortlichen auf Bauherrenseite zu einer Budgetkürzung unseres Projekts veranlasste. Wir mussten bei gleichem Flächenprogramm 25% der Baukosten einsparen. Es war von Vorteil, dass wir zu diesem Zeitpunkt die Grundlagen zum Umgang mit Ort und Aufgabe gemeinsam definiert und auch intellektuell durchdrungen hatten. Bei allen schmerzlichen architektonischen und materiellen Einschnitten, die die folgenden Umplanungen für das Projekt gebracht haben, ist dieser Geist im fertigen Gebäude spürbar geblieben. Der Bauteil Umgang/Kapelle verblieb in der für das Gesamtgebäude erdachten baulichen und materiellen Qualität und zeigt u.E. beispielhaft die Möglichkeiten neuzeitlicher Architektur im Zusammenspiel mit historischen Bauqualitäten.

Innenhof mit Blick auf den Altenberger Dom. Christkönigkapelle (rechts) im Obergeschoss und Seminarräumen im Erdgeschoss (Bild: Simon Wegener)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Am Anfang des Projekts stand der Satz des Bauherren „Wir wollen ein Haus bauen“. Dieser Satz beinhaltete den Wunsch, sich auf die Grundherausforderungen eines Hauses an einem Ort und für seine Aufgabe zu besinnen und wenig bis gar nicht modisch zu sein. Die Entwurfsphase führte somit zu einem Projekt, welches idealerweise energieautark und mittels bewährter Bautechniken und Materialien gebaut wird. Vor diesem Hintergrund fielen Entscheidungen zum Umgang mit alter Bausubstanz (keine Außendämmung, Innendämmungen nur dort wo bauphysikalisch unabdingbar) und zur Energieversorgung (perspektivisch ortsnah CO2-frei erzeugt). 

Innere Verteilerebene zwischen Rezeption, Domladen, Seminarräumen und Zimmertrakten (Bild: Simon Wegener)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Unsere Arbeit baut auf eine intensive Grundlagenermittlung und Konzeption des Architekten Joachim Schwister vom erzbistümlichen Bauamt in Köln auf. Mit dem damaligen Rektor der Jugendbildungsstätte Pfr. Mike Kolb hatten wir einen visionären Nutzer-Verantworlichen an unserer Seite. Diese personelle und institutionelle Konstellation aus Bauherrenschaft, Nutzer und uns als verantwortliche Architekten für Gebäude, Ausbau und Freiraumplanung hat den Entwurf auf eine gesamtkünstlerische Ebene der Diskussion mit den Beteiligten gehoben. Diese Grundlage war essentiell vor dem Hintergrund späterer personeller Wechsel auf Nutzer- und Bauherrenseite und trägt das Haus. Das so Entstandene war und ist für alle Baubeteiligten und Nutzer auch eine Herausforderung.

Dauerausstellung der in der Bauphase gefundenen Grabungsfunde (Bild: Simon Wegener)
Foyer im Dialog der historischen Zeitschichten (Bild: Stefan Schilling)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Wir haben einen außergewöhnlich schönen Klinker gefunden, der sehr mit den verschiedenen steinernen Fassaden der Bestandsbauten harmoniert. Eine ortsansässige Firma hat mit Herzblut (aber auch mit viel Zeit) ausdruckstarke Sichtbetonflächen geschaffen. Handwerker, die traditionelle Bautechniken beherrschten, Archäologen, die intensiv um Bewahrung von Grabungsfunden im Projekt geworben haben, und Spezialisten neuer Bautechniken haben mit Ihrem Wissen zum Gesamtausdruck und punktuellen Highlights im Gefüge beigetragen. Besonders hervorzuheben ist die Kapellenfassade. Hier ist es gelungen aus dem Gesamtengagement aller Beteiligten Baukunst zu schaffen. Unser Dank gilt Vielen: Einer österreichischen Firma, die perfekte Fertigteile aus Faserbeton herzustellen weiß, einem Luxemburger Fassadenbauer, der Glashalterungen bis zur Nicht-Sichtbarkeit zu reduzieren vermag, einem Paderborner Glasbauunternehmen, das die mittelalterliche Grissaille-Technik beherrscht, einem ortsansässiger Steinmetz, der die Betonfertigteile wie Teile eines mittelalterlichen Maßwerkfensters zu fügen vermochte und nicht zuletzt einem Bauherrn, der auch bei Störungen im Bauverlauf nicht das Handtuch warf.

Aussergewöhnliche Deckenstrukturen, Lamellen und Licht im Einklang in der neuen Mensa der Jugendbildungsstätte (Bild: Simon Wegener)
Grundrisse des vorgefundenen Zustandes 2011, der historischen gotischen Abtei und nach der Neustrukturierung 2018. (Bildquelle: gs:a)
„Haus Altenberg“ Jugendbildungsstätte des Erzbistums Köln mit Christkönigkapelle
2018
Ludwig-Wolker-Straße 12
51519  Odenthal-Altenberg

Nutzung
Jugendgästehaus und Jugendbildungsstätte 
 
Auftragsart
Direktauftrag

Bauherrschaft
Erzbistum Köln, Generalvikariat

Architektur
gernot schulz : architektur gmbh, Köln, Prof. Gernot Schulz
Projektleiterin: Cathérine, Minnameyer
Mitarbeiter: Andreé Zweering, Raphaella Burhenne de Cayres, Benedikt Reipen, Niklas Menn, Alexander Phan, Christine Pfeiffer, Gudrun Warnking, Caroline Wend, Cordula Zorn

Fachplaner
Ausschreibung und Bauleitung: H+P Bauingenieure, Köln
Tragwerksplanung + Brandschutz: Kempen Krause Beratende Ingenieure, Köln
TGA: ZWP Ingenieur-AG, Köln
Bauphysik: Schwinn Ingenieure, Bonn
Landschaftsarchitektur: Friedrich Altzweig, Köln
Lichtplanung: Licht Kunst Licht AG, Bonn

Bauleitung
H+P Bauingenieure, Köln

Ausführende Firmen
Rohbau: Johann Thelen GmbH, Erftstadt
Sonderfassaden, Innentüren: Annen GmbH & Co.KG, Farschweiler
Holzfenster/ Türen: Berg GmbH & Co.KG, Overath
Betonmöbel: Florack Bauunternehmung GmbH, Heinsberg
Lamellendecke: Johannes Houben GmbH, Heinsberg
Steinmetzarbeiten: Denkmalpflege Schorn GmbH & Co.KG, Köln
Kapellenfenster: Glasmalerei Peters Studios, Paderborn

Hersteller
Maßwerkfassade Kapelle: Fa. Rieder, A-Maishofen
 
Energiestandard
EnEV 2009

Bruttogeschossfläche
12.140 m²
 
Gesamtkosten
42.000.000 €

Auszeichnungen
Kölner Architekturpreis 2017
DAM Shortlist 2019
Mies van der Rohe Shortlist 2019
 
Fotos
Simon Wegener
Stefan Schilling

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