Fließender Stein
Dreiseitig geschlossen, nach Norden orientiert: Das Büro behet bondzio lin architekten schmückt ein Verbandsgebäude in Münster mit einer hochwertigen Fassade. Roland Bondzio berichtet uns davon, wie man mit Steinen fließende Formen schafft.
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?Wir hatten das große Glück, mit dem Textilverband einen sehr engagierten Auftraggeber mit einem ungewöhnlich hohen gestalterischen Anspruch und Sachverstand zu haben. Das Präsidium hatte das Ziel, mit dem neuen Verbandsgebäude sowohl optimale Arbeits- und Tagungsbedingungen zu schaffen als auch ein prägnantes und optimistisches Zeichen für die gesamte Branche zu setzen.
Das Textile sollte in dem Gebäude das Leitthema darstellen. Der Bebauungsplan gab aber vorrangig roten Ziegel als Fassadenmaterial vor. Inspiriert hat uns die Beethoven Skulptur von Max Klinger (zu sehen im Leipziger Museum der Bildenden Künste), die er Anfang des 20. Jahrhunderts in einem siebzehnjährigen Prozess aus verschieden Steinen zusammengesetzt und bearbeitet hat. Klinger zeigt hier dem Betrachter in Perfektion die Anmutung eines „leichten Faltenwurf“, der offensichtlich aus Stein besteht und dennoch den Eindruck erweckt, durch einen Windhauch von Beethovens Knien gleiten zu können.
Bei diesem Projekt haben alle Beteiligten – das Präsidium und der Bauausschuss des Verbandes, die Mitgliedsunternehmen, die Fachplaner und Handwerksunternehmen, die Architekten – „in bester textiler Tradition“ zusammengewirkt. Die hohen technischen und gestalterischen Kompetenzen auf Bauherrenseite haben diesen Prozess mit intensiven Diskussionen und vielen guten Ideen bereichert. Die gute Gestaltung stand hierbei immer im Vordergrund.
Die Idee des dreiseitig geschlossenen Baukörpers, mit der eindeutigen Ausrichtung der Arbeitsbereiche nach Norden und Blick in den angrenzenden Grünraum, bestand von Anfang an. Um die Anmutung einer textilen Oberfläche zu erreichen, haben wir viele Varianten getestet. Am besten konnte die Entwicklung der Sondersteine das Bild transportieren. Die versetzte Anordnung und die Auskragung um bis zu sieben Zentimeter aus der Fassadenebene ergab in zahlreichen 1:1 Mock-ups schliesslich das bewegte, textile Bild, das wir uns gewünscht haben. Die Bewegtheit und das damit verbundenen Licht-Schatten-Spiel ist eine Eigenschaft des Ziegels, die schon seit seinem Aufkommen in der Architektur als Gestaltungsmittel eingesetzt wird.
Das Gebäude ist konsequent nach Osten, Süden und Westen geschlossen. Eine Nebenraumspange bildet eine „dicke Wand“ nach Süden. Alle Büro- und Aufenthaltsräume, sowie der Veranstaltungsbereich öffnen sich nach Norden. Durch diese Entscheidung wird die Aufheizung der Innenräume durch direkte Sonneneinstrahlung verhindert. Ergänzende Sonnenschutzmaßnahmen sind nicht notwendig, der Ausblick in den angrenzenden Grünraum mit dem Wandel der Jahreszeiten ist uneingeschränkt möglich. Die Nordausrichtung in Kombination mit einer Betonkernaktivierung sichert ohne weitere aktive Kühlung einen hohen klimatischen Raumkomfort über das ganze Jahr.
Für die äußere Erscheinung des Gebäudes sind es die Wasserstrichziegel. Zum Einsatz kamen Standardsteine sowie sechs Sondersteine, die wir bereits in den frühen Planungsphasen in enger Kooperation mit der Ziegelei Deppe entwickelt haben. Hierbei haben wir sehr viel mit der Oberfläche und der Farbe der Ziegel sowie dem Verlauf und der Fugenfarbe experimentiert.
In der Innenraumgestaltung haben wir gemeinsam ein Farbkonzept entwickelt, das alle textilen Elemente umfasst. Dabei haben wir zum Beispiel die guten akustischen und klimatischen Eigenschaften von Filz ausgenutzt. Ob als großes Wandbild im Vortragssaal oder als kleinere Wand- und Tischelemente in den Mitarbeiterbereichen.
2017
Martin-Luther-King-Weg 10
48155 Münster
Auftragsart
Direktauftrag im Anschluss an ein konkurrierendes Verfahren
Bauherrschaft
Verband der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie e.V., Münster
Architektur
behet bondzio lin architekten, Münster, Leipzig, Taichung
Martin Behet, Roland Bondzio, Michael Lin
PL: Stefanie Gaasch
Team: Tim Kossel, Pavla Briksova, Ines Schulte, Anika Schneider, David Chen, Sebastian Gatz
Fachplaner
Tragwerk / Bauleitung: Gantert + Wiemeler Ingenieurplanung, Münster
Technische Gebäudeausrüstung: Ingenieurbüro Nordhorn GmbH & Co. KG, Münster
Landschaftsplanung: Tamkus Landschaftsarchitektur, Dortmund
Kunst am Bau
Planung: behet bondzio lin architekten, Roland Bondzio, Stefanie Gaasch, Pavla Briksova
Ausführung: Hey-Sign GmbH, Meerbusch
Filzobjekt Erschließung – Design: Bernadette Ehmanns
Filzobjekte in Sitzungsraum, Büroräumen und Erschließung
Ausführende Firmen / Hersteller
Klinker: Deppe Backstein-Keramik GmbH
Teppiche: Vorwerk & Co. Teppichwerke GmbH & Co. KG
Linoleum: Forbo Flooring GmbH
Rohbau- und Verblendarbeiten: Averbeck Bau GmbH & Co. KG
Metallbau-Fassaden: Alubau Puhlmann GmbH & Co. KG
Lichtwände/-decken, Segeldecken: Ellermann GmbH
Blend- / Sichtschutz Büros und Vorhang Sitzungsraum: DRAPILUX Schmitz-Werke GmbH + Co. KG
Systemtrennwände: Strähle Raum-Systeme GmbH
Wandbild Mitarbeiterraum im 1.OG: PONGS Textil GmbH
Paravent Mitarbeiterraum im 1.OG: Hey-Sign GmbH
Pendelleuchten im Foyer: YDOL GmbH & Co. KG
Bruttogeschossfläche
2.620 m²
Gebäudevolumen
11.356 m³
Gesamtkosten
8.200.000 € brutto
Fotos
Thomas Wrede
behet bondzio lin architekten
Reimund Braun