Einfach Bauen!

haascookzemmrich STUDIO2050
17. Juli 2019
Südwestfassade mit Hauptzugang. (Foto: Brigida González)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Die Alnatura-Arbeitswelt ist eine lichte, offene Bürolandschaft für bis zu 500 Mitarbeiter. Zu den Besonderheiten des Gebäudes zählt der Einsatz einer innovativen Stampflehmfassade, die weltweit erstmal mit einer geothermischen Wandheizung belegt wurde. Außergewöhnlich ist auch die schallwirksame Holzlamellendecke, die das Atrium und die komplett offen gehaltenen Büroflächen überspannt.

Die in Stampflehmtechnik erstellten Wände enthalten nicht nur Lehm aus dem Westerwald und Lavaschotter aus der Eifel, sondern auch recyceltes Material aus dem Tunnelaushub von Stuttgart 21. Ein Erdkanal, der das klimaneutrale Gebäude mit Frischluft aus dem angrenzenden Wald versorgt, tageslichtdurchflutete Räume, flexible Arbeitsplätze, eine Regenwasser-Zisterne sowie Photovoltaik- und Geothermieanlagen erfüllen höchste ökologische Anforderungen. Es ist ein Haus mit einem geringen Energieverbrauch und optimiertem Innenkomfort, das ressourcenschonend unter dem Einsatz natürlicher oder wiederverwendeter Materialien entstanden ist.

Alnatura Arbeitswelt Atrium. (Foto: Brigida González)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Unsere Inspiration war die Frage: Wie schaffen wir es, ein Haus für 500 Menschen zu bauen, das mit einem Minimum an Primärenergie und Technik ein Maximum an räumlicher Vielfalt und Komfort liefert? 

Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Für den 55.000 Quadratmeter großen Alnatura-Campus wurde das ehemalige US-Kasernengelände der Kelley-Barracks im Südwesten von Darmstadt umfassend renaturiert: Versiegelte Flächen wurden aufgebrochen und das anfallende Material in den Freiflächen verbaut.

Es war unser Ziel, das Ensemble des Alnatura-Campus mit einem Kindergarten, dem Erlebnisgarten und der Arbeitswelt auf der Konversionsfläche zwischen dem suburbanen Umfeld der ehemaligen Kaserne und dem angrenzenden Westwald als Bindeglied zu gestalten.

Die Lage und die Ausrichtung des Gebäudes wurden behutsam nach mikroklimatischen Gesichtspunkten festgelegt. Um bestmögliche Tageslichtbedingungen im Inneren zu bieten, ist das Gebäude mit seinen Längsseiten Nord-Süd-orientiert. Damit wird sichergestellt, dass durch das Oberlichtband des Atriums reines Nordlicht ins Gebäude geleitet wird. Ungewollte solare Wärmegewinne können vermieden werden.

Auf der sonnenbeschienenen Südseite des Gebäudes befindet sich mit dem Teich ein natürlicher Klimapuffer, der das Mikroklima des Standorts im Sommer positiv beeinflusst. Die hohen Bestandskiefern auf der Südseite des Gebäudes liefern im Sommer die gewünschte Verschattung. Außerdem wird das Sonnenlicht über eine 480 Quadratmeter große Photovoltaik-Anlage auf dem Dach zur Energiegewinnung genutzt.

Besprechungsraum. (Foto: Brigida González)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Die Entwicklung des Gebäudes lief in enger Kooperation mit dem Bauherrn. Entwurfsentscheidungen wurden gemeinsam getroffen und in über 50 Bausitzungen hat sich eine enge Bindung zwischen uns Architekten und dem Bauherren entwickelt.

Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

In den ersten Monaten der Arbeit wurden verschiedene Lösungsansätze sowohl für die Geometrie wie auch die Materialität des Gebäudes erprobt. Neben städtebaulichen und architektonischen Kriterien wurden intensive Untersuchungen zum Lebenszyklus der gewählten Baustoffe angestellt. 

Unterstützt wurden wir hierbei von der TU München, die mit uns im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsauftrags der DBU, das Projekt unter dem Aspekt der Lebenszyklusbetrachtung begleitet hat. Nachdem die Entwurfsentscheidungen getroffen waren, hat sich das Bauwerk nicht mehr wesentlich verändert.

Brücke im 2.Obergeschoss. (Foto: Brigida González)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Die Alnatura-Arbeitswelt folgt den Grundsätzen einer ganzheitlichen, nachhaltigen Architektur, was sich unter anderem in der DGNB-Zertifizierung in Platin ausdrückt. Es war unser Anliegen aufzuzeigen, daß diese Herangehensweise keinen architektonischen Verzicht bedeutet, sondern ein belebendes Element in der Entwicklung von neuen Entwurfsansätzen sein kann. 

Ostfassade. (Foto: Brigida González)
Holzdach mit Schallschutzdecke im 2. Obergeschoss. (Foto: Brigida González)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Zu den Besonderheiten des Gebäudes zählt eine Stampflehmwand, die in Zusammenarbeit mit Martin Rauch und Transsolar entstanden ist. Die einzelnen Stampflehmblöcke wurden an der Nord- und Südfassade zu 16 je 12 Meter hohen, selbsttragenden Wandscheiben geschichtet. Die Stampflehmfertigteile, die direkt neben der Baustelle vorgefertigt wurden, haben eine 17 Zentimeter starke Kerndämmung aus recyceltem Schaumglas-Schotter. Zudem wurde in den Wänden Material aus dem Tunnelaushub des Bahnprojekts Stuttgart 21 wiederverwendet. Um der Oberflächenerosion von Stampflehm entgegenzuwirken, sind horizontale Erosionsbremsen aus Ton und Trasskalk in der Wand eingebracht. 

Die graue Energie bei der Herstellung, Verarbeitung und einem möglichen Rückbau von Lehm ist praktisch Null. Durch die Langlebigkeit des Materials wie auch durch die hervorragende Luftfeuchteregulation und Wärmespeicherfähigkeit des Lehms entsteht ein Bau von hoher Wertstabilität. Die Oberfläche bleibt frei von Algen- oder Moosbildung, der Reinigungs- oder Pflegeaufwand der Fassade entfällt. 

Lehmfassade. (Foto: Brigida González)
Lageplan (Zeichnung: haascookzemmrich STUDIO2050)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: haascookzemmrich STUDIO2050)
Schnitt (Zeichnung: haascookzemmrich STUDIO2050)
Alnatura Arbeitswelt
2019
Mahatma-Ghandi -Straße 7
64295 Darmstadt

Nutzung
Büro und Restaurant
 
Auftragsart
Direktanfrage / Mehrfachbeauftragung

Bauherrschaft
Alnatura Produktions- und Handels GmbH
 
Architektur
haascookzemmrich STUDIO2050, Stuttgart
Partner in Charge: Martin Haas 
Team: Sinan Tiryaki (Projektleitung), Elena Krämer (Projektleitung), Philip Furtwängler, Lena Götze (Innenarchitektur), Yohhei Kawasaki, Eduardo Martin Rodriguez, Eva Engele, Ioannis Siopidis
 
Fachplaner
Ausschreibung und Objektüberwachung: BGG Grünzig Ingenieurgesellschaft, Bad Homburg
Landschaftsarchitekten: Ramboll Studio Dreiseitl GmbH, Überlingen
Tragwerksplaner: Knippers Helbig GmbH, Stuttgart
Energieberater: Transsolar Energietechnik GmbH, Stuttgart
Elektroplaner: Ingenieurbüro Werner Schwarz GmbH, Stuttgart
TGA-Planer: Henne & Walter GbR, Reutlingen
Bauphysik: knp.bauphysik gmbH, Köln
Brandschutzgutachter: TSB Ingenieurgesellschaft mbH, Darmstadt
Lehmbau: Lehm Ton Erde Baukunst GmbH, Schlins, Österreich
 
Bauleitung 
BGG Grünzig Ingenieurgesellschaft, Bad Homburg / haascookzemmrich STUDIO2050

Ausführende Firmen 
Rohbau: Karrié Bau GmbH & Co.KG
Lehmfassade: Lehm Ton Erde Schlienz,Österreich
Glasfassade: Zimmerei Sieveke 49393 Lohne
Holzdach: Grossmann Bau GmbH & Co.KG
Möbel: Vitra

Bruttogeschossfläche 
13.500 m² 

Gebäudekosten 
24.300.000 €
 
Auszeichnung
DGNB Platin
 
Fotos
Brigida González

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