Beständigkeit und Identität

Steimle Architekten BDA
12. Juni 2019
Bücherei Kressbronn im Zentrum der Gemeinde Kressbronn am Bodensee (Foto: Brigida González)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Dem baulichen Erbe mit Rücksicht und Respekt zu begegnen, dabei den Charakter des alten Stadels im Zentrum von Kressbronn zu erhalten und ihn mit möglichst wenigen, wohldurchdachten Eingriffen in ein modernes, offenes Haus zu transformieren, war die besondere Herausforderung der Bauaufgabe. Nicht nur von außen, besonders auch von innen wird die Balance aus Geschichte und Gegenwart zur besonderen Qualität des Hauses. 

Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Der Charakter des ehemals landwirtschaftlich genutzten Stadels mit seinem massiven Sockel und dem darüberliegenden Tennengeschosses mit seiner filigranen Holzkonstruktion und dem weit auskragenden Satteldach wurde aufgegriffen und mit wenigen architektonischen Mitteln in der heutigen Zeit verortet. Die bestehende Holzverschalung mit ihren Lücken und Spalten inspirierte zur Umsetzung der in Vertikalachse unterschiedlich gedrehten Lamellenstruktur der Fassade des Tennengeschosses über dem massiven Sockel aus Dämmbeton.

Zusammenspiel des massiven Betonsockels und Betonkerns mit der filigranen Holzkonstruktion des Tennengeschosses (Foto: Brigida González)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Auf dem geschichtsträchtigen Areal im Zentrum der Gemeinde Kressbronn spiegelt das historische Gebäudeensemble als Gehöft aus dem alten Gasthaus und der dazugehörigen Ökonomie einen Teil der örtlichen Wirtschafts- und Sozialgeschichte wider. An diesem städtebaulich prominenten Standort, ist durch die neue öffentliche Nutzung des Stadels als Bücherei und Bürgertreff ein wichtiges Puzzleteil zu neuem Leben erweckt worden. Mit ihrer Wegeverbindung zum nahegelegenen Rathaus und der Festhalle wird die Bücherei als Teil des Großen und Ganzen verstanden. 

Für das gewünschte Lichtspiel in der Bücherei wurde die alte Fassade subtil transformiert und die Holzschalung in Vertikalachse unterschiedlich gedreht. (Foto: Brigida González)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Der Grundgedanke der Gebäudestruktur mit massivem Sockel sowie der Kerneinbauten und der sich darüber stülpenden filigranen Holzkonstruktion mit dem weit auskragenden Satteldach war bereits im Wettbewerbsentwurf verankert. Der Kern schält sich aus dem Betonsockel heraus, verbindet im Innenraum die zwei oberen Geschosse und bewirkt durch seine offene Galerie ein spürbar anderes Raumerlebnis. Die handwerkliche Authentizität des Betons und der Holzkonstruktion überträgt diese Entwurfsansätze auf das gebaute Werk.

Die Besucher werden im Foyer mit wenigen, ruhig wirkenden Materialien empfangen (Foto: Brigida González)
Im Innenraum verbindet die freistehende Treppe die zwei oberen Geschosse. Die offene Galerie bewirkt ein spürbar anderes Raumerlebnis. (Foto: Brigida González)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Die sorgsame Restaurierung des Dachstuhls und der Holzkonstruktion des Tennengeschosses stellen die Besonderheit des Projektes dar. Einem auf ein erforderliches Minimum reduzierten technischen Aufwand stehen wohlbedachte baukonstruktive Maßnahmen gegenüber, die zur gewünschten Nachhaltigkeit beitragen. Dabei prägen individuelle energetische, konstruktive und gestalterische Lösungsansätze die Projektumsetzung. Es gibt keine minderwertigen Materialien, es gibt keine Hierarchien, keinen Status, nichts teures. Es geht vielmehr um Beständigkeit und Identität.

Die neuen Bücherregale verzahnen sich mit dem bestehenden Fachwerk des Stadels. Alt und neu werden in einen spannungsvollen Dialog gesetzt.  (Foto: Brigida González)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Es stehen hauptsächlich zwei Materialien im Mittelpunkt der Umsetzung des Projekts. Der Dämmbeton mit seinem massiven homogenen Charakter bildet die Basis des Gebäudes. Großzügig gesetzte Öffnungen mit tiefen Laibungen schaffen die Verbindung und Durchblicke zwischen Innen und Außen. Darüber vermittelt die aus vorvergrautem Holz hergestellte Lamellenstruktur eine würdevolle Leichtigkeit. Sie filtert das Tageslicht und lässt das gewünschte diffuse Licht für die Nutzung der Bücherei in den Obergeschossen entstehen.

Mit ausreichend Tageslicht bietet der Stillarbeitsraum auf der Galerie den Besuchern einen ruhigen Rückzugsort. (Foto: Brigida González)
Die Sichtbetonoberflächen der Kerneinbauten korrespondieren mit den individuell geplanten Einbaumöbeln aus Eiche. Foto: Brigida González
Lageplan. Zeichnung: Steimle Architekten BDA
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: Steimle Architekten BDA)
Grundriss Obergeschoss (Zeichnung: Steimle Architekten BDA)
Schnitt (Zeichnung: Steimle Architekten BDA)
„immer gewesen sein was ich bin, und doch so anders als ich war“ (Piktogramme: Steimle Architekten BDA)
Büchrei Kressbronn a. B. – Öffentliche Folgenutzung eines historischen Stadels
2018
Hemigkofener Straße 11
88079 Kressbronn am Bodensee

Auftragsart
Beauftragung gem. HOAI nach Teilnahme an nichtoffenem Realisierungswettbewerb 

Bauherrschaft
Gemeinde Kressbronn a. B., Kressbronn a. B.
 
Architektur
Steimle Architekten BDA, Stuttgart
Jens Oehmigen

Fachplaner
Tragwerksplanung: wh-p Ingnieure, Stuttgart
 
Bauleitung
vdo Architekten GmbH, Weingarten
 
Ausführende Firmen
Rohbau: Bohner Bau GmbH, Tettnang
Zimmer-/Dachdeckungsarbeiten Holzfassade/Sonnenschutz: Trautwein Holzbau GmbH, Achberg‐ Esseratsweiler
Schreiner/Innenausbau/ Innentüren: Achim Eisele, Möbel & Innenausbau, Engstingen
Bibliotheksausstatter: Schulz Speyer Bibliothekstechnik AG, Speyer
 
Hersteller
Dämmbeton/Sichtbeton: Liapor GmbH & Co. KG
Dachiegel, Doppelmuldenfalz: Dachziegelwerke Nelskamp GmbH
Brandschutztüren: joro türen gmbh
Innentüren: schutz in form GmbH
Tür-/Fenstergriffe: Franz Schneider Brakel GmbH + Co. KG
Schalter, Steckdosen: GIRA, Giersiepen GmbH & Co. KG
Deckeneinbauleuchten: Seeger KG
Hängeleuchten: planlicht GmbH & Co. KG
Einbaumöbel Holz Eiche: Planung Steimle Architekten BDA, Ausführung Eisele Möbel + Innenausbau
Sitzmöbel: vitra storeS GmbH
Aufzug: thyssenkrupp Aufzüge GmbH
 
Bruttogeschossfläche
860 m²

Gebäudevolumen
3.500 m³
 
Gesamtkosten
k.A.

Auszeichnung
Beispielhaftes Bauen 2018 Bodenseekreis

Fotos
Brigida González

Verwandte Artikel

Andere Artikel in dieser Kategorie

Aus vielerlei Holz
vor einem Tag
Kompakte Vielfalt
vor 2 Wochen
Als Teil des Quartiers
vor einem Monat
-273°C in Berlin
vor einem Monat