Baulich vermittelt im Stadtteil

Osterwold°Schmidt Exp!ander Architekten
9. November 2022
Ecke Auguste (Foto: Marcel Mischke)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Die Bauaufgabe „Wohn- und Geschäftshaus bzw. Mehrfamilienwohnhaus“ ist zunächst eher klassisch und traditionell. Jedoch stellte das kompakte 500 qm große Eckgrundstück im südöstlichen Zentrum Leipzigs eine Herausforderung dar. Sowohl architektonische als auch maßstäbliche Brüche der umgebenden Bebauung aus der eigentlich gründerzeitlichen Stadtentwicklung geben im direkten Anschluss sowohl die eingeschossige Gartenremise des Mendelssohn-Hauses als auch eine sechsgeschossige Nachbarbebauung vor. Ein reiner Lückenschluss der Ecke funktionierte hier nicht.

Nachbarschaft (Foto: Marcel Mischke)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Tatsächlich faszinieren uns stets aufs neue Gründerzeitbauten, die Rigorosität in ihrer Dimension, die geregelten, teils strengen Teilungsprinzipien. Sie bilden im Quartier ein solides, gesamtheitliches Stück Stadt und weisen im Innern derart beliebte und funktionale Strukturen auf, sodass die vielzitierte langfristige Gültigkeit in Wahrnehmung, Erwartung und Nutzung besteht.

Die Analyse der Nachbarschaft lag da also auf der Hand. In diesem Sinne haben wir ein diszipliniertes Winkelhaus zwischen den stattlichen Gründerzeitbauten und der grünen Oase des Mendelssohn-Hauses entwickeln wollen, das ruhig-hell-monochrom mit repetitiv gleichen und ausgewählt plastischen Elementen die Ecke betonen und unangestrengt von der Nürnberger- in die Auguste-Schmidt-Straße einschwenken sollte. Interessanterweise hat unser Bauherr die Gestaltung des Hauses mit weißem Putz, Natursteinbasis, Ausstellmarkisen, großen Fenstern mit schrägen Seitenfaschen und Loggien als „Palais“ vermarktet.

Maßstabsannäherung (Foto: Marcel Mischke)
Fassade (Foto: Marcel Mischke)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Nachdem sich Form und Dimensionierung des Gebäudes also direkt am anschließenden Nachbarn an der Nürnberger Straße orientieren und die Eckbetonung Analogie zur nächsten Quartiersecke gefunden hat, erfolgte auf der Südseite eine Höhenreduzierung der Baumasse von sieben auf vier Geschosse, um zwischen dichter innerstädtischer Bebauung auf der einen Seite und dem direkt anschließenden Mendelssohn-Garten mit Remise auf der anderen Seite einen maßstäblichen Bezug herzustellen. 

Daraus resultierte eine typologische Nutzungsvielfalt im Innern. Wir konnten ein breites Spektrum aus kleinen und großen Wohnungen generieren, die mit nur einem Treppenhaus nebst Aufzug erschlossen werden. Zwei quasi autark funktionierende Stadthäuser ergänzen das Wohnangebot. Die Abtreppungen schaffen dabei mit Dachterrassen und Dachgärten Freiraum auf dem kleinen Grundstück. 

Auf „kleinem Fuß“ wurden die geforderten PKW-Stellplätze organisiert. Wichtig war uns dabei, dass diese Fläche längerfristig umnutzbar ist und dass das Erdgeschoss als wichtige Kontaktfläche mit dem Stadtraum gewährleistet wird: als Laden, als multifunktionales Eingangsgeschoss der Stadthäuser, als repräsentativer Zugang für die Bewohner nebst Fahrradraum.

Fenster zum Hof (Foto: Marcel Mischke)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Vermarktungen von Wohnungen zu Privateigentum stehen unserer Erfahrung nach immer in Konflikt mit den Potenzialen für die Hausgemeinschaft und die „Korrespondenzbereiche“ des Hauses mit der Stadt. Darum haben wir uns in Planungs- bis Bauprozess mit dem Bauherrn insbesondere mit dem Erdgeschoss auseinandergesetzt. Letztendlich hat sich die bauherrenseitige Befürchtung schwer vermarktungsfähiger Laden- und Arbeitsbereiche hier nicht bestätigt – Sportstudio und Fahrradraum sind derzeitige Nutzungen im EG und die beiden drei- und viergeschossigen Stadthäuser werden zum Wohnen und Arbeiten genutzt.

Nachbarschaft (Foto: Marcel Mischke)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Die ursprünglich geplante gleichmäßige Terrassierung von sieben auf drei Geschosse des Gebäudes an der Südseite wurde von der Denkmalpflege als sehr dominant und eher untypisch für die gründerzeitliche Stadt angesehen. Im Ergebnis des fachlichen Austausches und der Überarbeitung in verschiedenen Varianten entstand die ausgeführte Lösung als gelungener Kompromiss.

Die ursprünglich geplanten Faltscherenläden, die geöffnet immer auch ein plastisches Element an den Fenstern gebildet hätten, wurden zu textilen Fallarmmarkisen, die nun nur im geschlossenen Zustand das Licht- und Schattenspiel auf der Fassade variieren.

Ecke (Foto: Marcel Mischke)
Ecke (Foto: Marcel Mischke)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Die sehr laute Nürnbergerstraße stellte harte Schallschutzanforderungen an die Fassaden – dennoch konnten sie als Holzfenster realisiert werden. Ambition des Bauherrn war ein Gebäude nach Effizienzhaus 40 bzw. 55 Standard (2019) zu planen und zu errichten. Letztlich mussten wir dadurch den einschaligen Wandaufbau zu gedämmter Art umplanen.

Lageplan (Zeichnung: Osterwold°Schmidt Exp!ander Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: Osterwold°Schmidt Exp!ander Architekten)
Grundriss Regelgeschoss (Zeichnung: Osterwold°Schmidt Exp!ander Architekten)
Schnitt (Zeichnung: Osterwold°Schmidt Exp!ander Architekten)
AUGUSTE – Wohnen in Leipzig
2021
Nürnberger Straße 24
04103 Leipzig
 
Nutzung
Wohnen, Dienstleistung

Auftragsart
privat
 
Bauherrschaft
Otto Heil Immobilien GmbH
 
Architektur
Osterwold°Schmidt Exp!ander Architekten BDA, Weimar
Matthias Schmidt, Antje Osterwold, Marko Schneider
 
Fachplaner
Statik: ibr Tragwerk, Erfurt
HLS, Elektro: MN Mörbitz|Nordhorn Ingenieure GmbH, Leipzig
Schallschutz: Graner Ingenieure, Leipzig
 
Bauleitung
Otto Heil Hoch- Tief- Ingenieurbau und Umwelttechnik GmbH & Co. KG

Ausführende Firmen
Rohbau, Tiefbau: Otto Heil GmbH & Co. KG, Taucha
Fenster: Nickel Fenster, Weißwasser
Aufzug: Kone GmbH, Markleeberg
 
Hersteller
Fassade EG, Naturstein: Sto
Fassade Kratzputz: Baumit
Fassade Feinputz: Alsecco
Sonnenschutz, Tuch screen: Warema
 
Energiestandard 
KfW 55
 
Bruttogeschossfläche
2.700  m²

Gesamtkosten
k.A.

Fotos
Marcel Mischke

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