Am Hang baut der Blick

schleicher ragaller architekten bda
13. November 2024
Am oberen Ende der zentralen Treppe angelangt, öffnet sich ein herrlicher Blick auf das Moseltal. (Foto: Zooey Braun)
Herr Ragaller, Herr Schleicher, wie reagiert der Entwurf auf den Ort?


Michael Ragaller: Ein kleines Baufenster an einem Steilhang und ein teilweise zu erhaltender Bestandsbau, in dem sich Büros und eine Küche befanden, bildeten schwierige Rahmenbedingungen für die Ergänzung eines Kinderhauses mit sechs Gruppen. Die mit der Steillage verbundene wunderbare Aussicht ins Moseltal und auf eine schön bewachsene Streuobstwiese wollten wir mit einem kompakten, zweigeschossigen Volumen herausarbeiten.

Der Hauptzugang liegt in einer überdachten Gebäudefuge zwischen Bestand und Neubau. Er lenkt den Blick unmittelbar in den Außenspielbereich auf den Streuobstwiesen. Vom Foyer gelangt man zur mittig gesetzten Haupttreppe mit Oberlicht, die als zentraler Verteiler dient.

Die Kindertagesstätte St. Clemens steht auf einem steilen Hanggrundstück. (Foto: Zooey Braun)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Domenik Schleicher: Wir studieren gemeinsam mit unseren Mitarbeitern immer wieder Vorbilder. Wir lieben beispielsweise Mario Bottas Idee des Oberlichts, die er für sein Schulhaus in Morbio Inferiore im Tessin Ende der 1970er-Jahre entwickelte. Je nach Sonnenstand verändert sich kontinuierlich die Lichtstimmung im Raum. Uns gefiel dieser Gedanke. Hinzu kommt, dass man in unserem Haus über die zentrale Treppe zum Licht aufsteigt und an ihrem oberen Ende durch ein großes Fenster einen herrlichen Blick über das Moseltal hat.

Die Treppe ist dabei mehr als nur Erschließung. Sie ist ein zentral gesetztes, spielerisches Element. Über den Treppenraum gelangt Tageslicht bis ins Erdgeschoss. Für die Kinder ist er ein besonderer Ort der Kommunikation, der im Raumprogramm eigentlich gar nicht abgebildet war: Die Treppenanlage dient ihnen als Spielstraße, Marktplatz oder Bibliothek – zumindest haben sie sich dort schon ihre »Schmökerecke« eingerichtet. 

Ansicht von Südwest (Foto: Zooey Braun)
Auf der Südseite befindet sich ein Außenspielbereich. (Foto: Zooey Braun)
Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerbsbeitrag oder direkt erteilt bekommen?


Michael Ragaller: Das Projekt resultiert aus einem nichtoffenen Realisierungswettbewerb mit 12 eingereichten Arbeiten, den wir im April 2018 gewinnen konnten. Es folgte ein nachgeschaltetes Verhandlungsverfahren, das jedoch an der Rangfolge nichts änderte. Uns wurde nach einstimmigem Beschluss der erste Preis zugesprochen. Trotz der relativ langen Zeit bis zur Realisierung sind alle wesentlichen Entwurfsgedanken aus dem Wettbewerbsbeitrag erhalten geblieben.

Stimmungsvolle Gestaltung: Über die Treppe steigt man zum Licht empor, das durch Oberlichter und ein großes Fenster einfällt. (Foto: Zooey Braun)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?


Domenik Schleicher: Nach Süden zur Aussicht in die Natur haben wir eine Brise-Soleil-Fassade vorgesehen, die Witterungsschutz ist und gleichzeitig als Balkon und Rettungsweg genutzt werden kann. Sie nimmt zudem die textilen Sonnenschutzmarkisen auf. Für uns ist es ein weniger beengendes Raumgefühl, wenn der Sonnenschutz wie eine zweite Haut mit etwas Abstand vor der Fassade sitzt. 

Auch für diese Lösung gibt es wunderschöne Vorbilder – zum Beispiel den Kindergarten von Giuseppe Terragni in Como. Die Bauherrschaft wünschte sich diese Gestaltung auch für die Nordseite, was uns ermöglichte, den Bestand unbemerkt zu überspielen und somit ein möglichst homogenes Erscheinungsbild aus Alt- und Neubau zu erhalten.

Garderoben und Oberlichtbänder im Obergeschoss (Foto: Zooey Braun)
Aus den Gruppenräumen sehen die Kinder ins Grüne. (Foto: Zooey Braun)
Beschäftigten Sie sich im Büro mit den Tendenzen des zirkulären Bauens und der sozialen Nachhaltigkeit?


Michael Ragaller: Wir sind durch die Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre geprägt, trotzdem ist der aktuelle Diskurs natürlich nicht an uns vorübergegangen: Wir unterstützen ausdrücklich die innerhalb des BDA formulierte Position vom »Haus der Erde« – zumal das meiste bereits vor 50 Jahren im Abschlussbericht des Club of Rome zu lesen war. Natürlich beschäftigt uns das zirkuläre Bauen, und wir fanden es zunächst erstaunlich, dass die von uns vorgeschlagene Holzbauweise als ungewohnt wahrgenommen wurde. Unserem beharrlichen Drängen auf einen Lowtech-Ansatz in der Haustechnik wurde beispielsweise nicht nachgegeben, was wir schon allein aufgrund der Lage des Baus auf einer Streuobstwiese bedauerlich finden. 

Neben dem bewussten Materialeinsatz, der sich am Konzept der Kreislaufwirtschaft orientiert, spielt für uns auch die soziale Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle. Wir glauben daran, dass architektonisch qualitätsvolle Räume, natürliche Belichtung, klar gesetzte und gerahmte Ausblicke sowie sorgfältig geplante Innenausbauten ein Gefühl des Wohlbefindens vermitteln. Leider ist dieses oftmals aber nicht in objektiv bewertbaren Zahlen und Entscheidungsvorlagen zu belegen. Hier spielt die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft eine wesentliche Rolle.

Lageplan (© schleicher ragaller architekten bda)
Grundriss Erdgeschoss (© schleicher ragaller architekten bda)
Grundriss Obergeschoss (© schleicher ragaller architekten bda)
Schnitt (© schleicher ragaller architekten bda)
Kita St. Clemens in Trier-Ruwer
2024
Auf Mohrbüsch 30
54292 Trier
 
Nutzung
6-gruppige Kindertagesstätte für 150 Kinder
 
Auftragsart
Beauftragung nach 1. Preis im Realisierungswettbewerb vom April 2018
 
Bauherrschaft
Katholische Kirchengemeinde St. Clemens Trier-Ruwer vertreten durch das Bistum Trier
 
Architektur
schleicher.ragaller architekten bda, Stuttgart
Michael Ragaller und Domenik Schleicher
Mitarbeit: Claudia Kaufmann, Robert Rau, Lorena Stephan
 
Fachplaner
Tragwerksplanung: Ing. Büro Johann Ritz, Trier
TGA Planung: Bayer & Friedrich, Trier
Außenanlagen: Karlheinz Fischer Landschaftsarchitekt BDLA, Trier
Bauleitung: Weltzel, Hardt + Partner, Trier
 
Ausführende Firmen
Rohbau, Schmitz Hoch- und Tiefbau, Großlittgen
Zimmerarbeiten, Holzbau Stoffel, Dreis
Dachabdichtung, Plöcher & Kalle GmbH, Zeltlingen
Fenster, Schreinerei Metzdorf, Neumagen
Tischlerarbeiten, Weber Innenausbau, Wittlich
 
Hersteller
FSB
Forbo
Anröchter Muschelkalk
 
Gesamtkosten
7.5 Mio. €
 
Fotos
Zooey Braun

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