Zum Tod des deutsch-amerikanischen Architekten Helmut Jahn

Von Mies bis Sobek

Falk Jaeger
10. de maig 2021
Helmut Jahn (Foto: Ingrid von Kruse)

Es ist die Bilderbuch-Erfolgsstory von einem, der auszog, in der Neuen Welt sein Glück zu machen. Der 1940 in Nürnberg geborene und im beschaulichen Zirndorf aufgewachsene Lehrersohn war 1966 nach dem Diplom an der TU München nach Chicago gegangen, um sich am MIT zum Postgraduate-Studium einzuschreiben. Dort studierte er unter anderem bei Myron Goldsmith und Fazlur Khan, den Hochhausideologen und Wolkenkratzer-Ingenieuren des Architekturbüros Skidmore, Owings and Merrill SOM. Und er hat dort Ludwig Mies van der Rohe erlebt, was ihn derart beeindruckte, dass er zunächst zum Miesianer wurde und sich an dessen Gestaltungskanon orientierte. Er blieb am Michigansee, trat 1967 in das Architekturbüro C. F. Murphy Associates ein und gelangte rasch in die obere Etage. Nach sechs Jahren war er bereits als Vizedirektor verantwortlich für Planung und Entwurf. 1982 übernahm er die Geschäftsführung des Büros Murphy/Jahn, das ab 2012 nur noch Jahn firmierte. 

Mit Bibliotheken, Sporthallen und Schulen begann er, um dann immer größere Bauaufgaben zu übernehmen. Bekannt wurde er mit dem Xerox Center, einem eleganten Hochhaus in Chicago (1980), berühmt wurde er durch das State of Illinois Center (1985), konzeptionell vielleicht sein stärkstes Werk. Mitten im Straßenraster steigt es auf als schräg angeschnittener, gläserner Kegelstumpf. Im Inneren liegt eine haushohe, öffentliche Halle, wie er sie später auch in Berlin realisierte. Der Bau sollte die offene, transparente Verwaltung des Bundesstaats zum Ausdruck bringen und die zukunftsgewandte Technik feiern. Der Bautypus machte vielfach Schule, der Bau selbst ist inzwischen schadhaft und vom Abriss bedroht.

Atrium des James R. Thompson Centers, ehemals State of Illinois Center (Foto: Kenneth C. Zirkel, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Jahn setzte die Technik dekorativ ein und wurde zum High-Tech-Architekten, moderat freilich, nicht wie Rogers und Foster, die damals die Konstruktion zum Designobjekt erhoben, und auch nicht wie Calatrava, der Konstruktion im Grenzbereich zur Bionik dramatisierte.
Mitte der achtziger Jahre kann man ihn dann durchaus als postmodernen Architekten bezeichnen. Seine großmaßstäblichen Bauten wurden zunehmend dekorativer. Er entwickelte einen Individualstil, das Vexierspiel mit Glasflächen, transparent oder als Farbtafeln, wurde zu seinem Markenzeichen. Putz oder Stein kamen nicht infrage, allenfalls Aluminium, das zu seinem bevorzugten Farbkanon Blau, Grau und Silber passte. Hochhäuser gestaltete er in seiner postmodernen Phase gerne in der von Sullivan geprägten Tradition Chicagos, mit klassischer Dreiteilung in Sockel, Schaft und Krone. Er hatte erkannt, dass Erinnerungen an die glamourösen Art-Deco-Türme der 1930er-Jahre bei den Investoren noch immer Beifall finden. Eines dieser gefälligen Hochhäuser konnte er 1985-91 in Frankfurt bauen, den 265 m hohen Messeturm, der von der hiesigen Fachpresse und Architektenszene allerdings sehr reserviert aufgenommen wurde.

Sony Center Berlin (Foto: Membeth, CC0, via Wikimedia Commons)

Helmut Jahn selbst residierte in Chicago in einem opulenten Hochhaus am Wacker Drive, einem dramatischen Turmbau aus dem Jahr 1926. Wenn er im Tempietto auf dessen Spitze den Gast zum Lunch empfing, erklärte er in seiner an Henry Kissingers Deutsch erinnernden Diktion ringsum die Aussicht und wies hinüber zum berühmten Chicago Tribune Tower. Dort unterhielt Josef Paul Kleihues „auf Augenhöhe“ ein Büro, als er 1994-96 in Chicago das Museum of Contemporary Art baute. Jahn hatte ihm 1990 als Juryvorsitzender den Auftrag verschafft. Es traf sich ganz gut, dass Kleihues 1992 der Jury für das Sony Center in Berlin vorsaß und ihn seinerseits ins Spiel bringen konnte.
Jahns Sony Center (1993-99) steht nach dem Messeturm in Frankfurt und dem München Airport Center in der inzwischen stattlichen Reihe von Projekten, die der gebürtige Nürnberger in Deutschland realisierte. Zu seinen zahlreichen Flughafenbauten in aller Welt gehört auch das Terminal in Köln/Bonn. Allein am Kurfürstendamm hat er drei Marken gesetzt, am Anfang den gläsernen Keil des neuen Kranzler-Ecks, in der Mitte das extrem schmale „Handtuchhaus“ und am Halensee das Athena-Haus KU 119.

Testturm von ThyssenKrupp in Rottweil (Foto: Rainer Viertlböck)

Hochhäuser hat „Turmvater Jahn“ auch in München gebaut, den Skyline Tower in Schwabing und die beiden Highlight Towers, nicht ganz unumstritten, weil sie am Ende der Ludwigstraße die Silhouette bestimmen, sowie in Bonn den PostTower, auch er wegen seiner Dominanz über Egon Eiermanns Abgeordnetenhochhaus „Langer Eugen“ kritisiert. Seit Bonn arbeitete er eng mit dem Ingenieur Werner Sobek zusammen und kehrte damit der Postmoderne den Rücken, zuletzt 2014 beim mehrfach preisgekrönten spektakulären Aufzug-Testturm von ThyssenKrupp in Rottweil.

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