Paul Schmidt: „Wir sind vom Produkt Stroh überzeugt und deshalb empfehlen wir es“

Katinka Corts
14. de desembre 2022
Foto: Mirko Fabian

Bei der Geschichte um die Sesshaftwerdung der drei kleinen Schweinchen stürzte das Strohhaus beim Wolfspusten ein, das Holzhaus verlor ebenso und nur jenes aus Stein bestand die Prüfung. Schrieben Joseph Jacobs (oder später Elizabeth Shaw mit der deutschen Version) die Geschichte heute neu, müssten sie wohl andere Maßstäbe ansetzen. Stand das Bauen mit Stroh zu den Ursprungszeiten der Geschichte stellvertretend für Leichtheit und Bequemlichkeit, das Bauen mit Stein hingegen für fleißige und harte Arbeit, ist es heute doch ganz anders. Bauen mit Holz und Stroh, generell mit Naturmaterialien, erlebt eine immer stärkere Nachfrage. Bauen mit Stein – sagen wir zeitgemäß auch: Beton – ist in der Diskussion, zu viel CO₂ entsteht bei der Herstellung. Alle größeren Zementhersteller arbeiten an sparsameren Rezepturen und Ersatzstoffen, Forschende an Universitäten und Hochschulen ebenso. Und während der Holzbau seit Jahrzehnten auf dem Markt an Raum gewinnt und Anna Heringer das Bauen mit Lehm postuliert, setzen sich die Planer*innen von Atelier Schmidt aus dem Schweizerischen Truns für das Bauen mit Stroh ein.

Katinka Corts: Herr Schmidt, Ihre großen Bauten mit den tiefen Fenster- und Türlaibungen fallen auf im Stadtbild, das oft beliebig und repetitiv erscheint. Bauten mit Wänden aus Strohballen strahlen unmittelbar Ruhe und Nahbarkeit aus. Meinen Sie, es ist dieses Bild, was Bauherrschaften dazu bringt, mit Ihnen in Kontakt zu treten und über ein Gebäude ins Gespräch zu kommen?

Paul Schmidt: Wir haben es meist mit zwei verschiedenen Arten von Bauherrschaften zu tun: Die einen haben von unseren Strohbauten gehört und sind fasziniert von den Möglichkeiten. Die anderen kommen aus der Region unseres Büros, die mögen einfach unsere Architektur. Ich finde es sehr spannend mit den Einheimischen zu bauen, weil man die noch überzeugen muss von dieser Bauweise.  

Unser Argument für nachhaltiges Bauen sind immer die drei Faktoren Herstellungsenergie, Betriebsenergie und Lebensdauer. Im Detail heißt das, dass wir möglichst ökologisch Bauen, dann im Betrieb wenig Energie verbrauchen – also wo immer möglich auf mechanische Lösungen verzichten – und ein ästhetisches Gebäude errichten wollen, das dank seiner Anpassbarkeit eine sehr lange Lebensdauer hat. Und wir sagen: Denken Sie an ein Kloster! Das Kloster Disentis zum Beispiel stammt aus dem späten 17. Jahrhundert, ist aber damals so gut konzipiert worden, dass es auch jetzt noch nutzbar ist und alle Bedürfnisse bedient.

Bei unseren Projekten wollen wir deshalb alle drei Faktoren berücksichtigen – Stroh ist nur Mittel zum Zweck. Es ermöglicht uns, die Herstellungs- und Betriebsenergie zu reduzieren. Das überzeugt die meisten und sie verstehen, dass man ökologisch bauen sollte. Ob es dann aber Stroh oder Schafwolle wird, das ist nebensächlich. Ich verstehe aber auch die Wahrnehmung von außen, dass wir eine Strohbaufamilie sind.

Haus B, Safienthal (Foto: Atelier Schmidt)

Sie machen also den Fächer auf und beschränken sich nicht von Vornherein darauf, bestimmte Materialien einzusetzen?

Wir schreiben dem Bauherrn generell nichts vor. Wir sind aber vom Produkt Stroh überzeugt und deshalb empfehlen wir es. Beim Umbau für einen Schafzüchter haben wir hingegen mit Schafwolle gearbeitet. Sein Wohnbau ist ein Holzstrickgebäude, dessen Optik wir erhalten wollten. Stroh hätten wir außen davorsetzen müssen und somit den Strickbau versteckt, innen konnten wir hingegen mit Wolle dämmen.

Obwohl Wolle ein gutes Dämmmaterial ist, werden die Schafe in erster Linie zur Landschaftspflege und zur Fleischproduktion gehalten und die Wolle wird oft entsorgt. Einige Firmen stellen daraus Dämmmaterial her, doch das kostet dann mehr als Stroh, weil die Wolle erst noch zu einem Bauprodukt verarbeitet werden muss. Wir wollen aber ja auch ökonomische Bauten erstellen.

Obwohl der Baustoff Stroh direkt und günstig verfügbar ist, hat er keine Lobby. Die Gewinnmarge ist zu gering und entsprechend gibt es keine aufwändigen Marketingkampagnen wie bei anderen Baustoffen. Stroh ist vermutlich sogar der einzige staatlich subventionierte Baustoff, den es auf dem Markt gibt.

Genau – unsere Gebäude können zwar gleich teuer sein wie Holzbauten, dürfen aber nicht teurer werden als konventionelle Bauten. Denn dann springen die Kunden ab.  Es ist eine große Herausforderung, unter diesen Prämissen ein ökologisches Gebäude zu bauen und gleich hohe Kosten zu erreichen.

Kürzlich habe ich in einer Ausschreibung den Vergleich gemacht: Für einen Holzbau mit 36cm Wandstärke haben wir die Lieferung und den Einbau von Kleinstrohballen offerieren lassen und den eingebauten Strohballenquadratmeter für 55 Franken angeboten bekommen. Als Vergleich haben wir die Glaswolle genommen, die an sich günstig ist. Bei gleicher Wanddicke kostet die Glaswolle pro Quadratmeter geliefert und montiert etwa  70 Franken! In der Analyse der Dämmstoffe, mit denen wir schon gearbeitet haben – Isofloc, Holzwolle, Glaswolle, Steinwolle, Schafwolle – sind wir zum Schluss gekommen, dass die Vorteile des Strohs im Vergleich einfach unschlagbar sind.

Haus G, Mergoscia (Foto: Atelier Schmidt)

Bauen mit nachhaltigen Baustoffen wird in der Schweiz nicht vom Bund finanziell gefördert. Die Förderprogramme drehen sich stets um die Betriebsenergie, also Holzheizungen, Wärmepumpen oder Gesamtsanierungen nach Minergie-Standard.

Bisher spielen Herstellung und Lebensdauer bei diesen Programmen leider keine Rolle. In der Schweiz kann ein Haus theoretisch mit EPS/XPS gedämmt sein und eine Komfortlüftung haben – und es bekommt ein Minergie-Label. Ein anderes Beispiel: Es gibt inzwischen Sanitärhersteller, die mit komplizierten Prozessen Restwärme aus dem Abwasser eines Hauses gewinnen wollen. In diesem Bereich, nur darauf fokussiert, mag das ein Ansatz sein. Aber auch dabei wird mit der Lupe auf die Betriebsenergie geschaut. In der Gesamtsicht ist diese Herangehensweise falsch. Die Herstellungsenergie und die Lebensdauer sind viel wesentlicher.


Mir ist in den vergangenen Jahren aufgefallen, dass oft versucht wird, neuartige Dämmstoffe aus Naturmaterialien zu entwickeln. So gibt es Ideen, an Stränden angespültes Seegras zu verarbeiten oder zerhäckselte Jutesäcke aus der Industrie zur Ausfachung zu verwenden. Auch damit werden Reststoffe sinnvoll und ökologisch weiterverwendet.  

Auch wenn das so ist, darf man nicht die für die Verarbeitung benötigte Energie und die Transportkosten außer Acht lassen. Stroh ist in den meisten Gegenden in großen Mengen vorhanden, die Logistik dafür stellt gar die Landwirtschaft – und nicht die Bauindustrie! – und es ist kostengünstig. Man kann Dämmmaterialien natürlich auch an spanischen Küsten suchen, aber das Offensichtliche zu nutzen wäre meines Erachtens sinnvoller. Stroh müsste heute schon viel breiter angewendet werden, weil es alle Kriterien erfüllt.

Wenn das Stroh keine Lobby hat, können wahrscheinlich nur Vorzeigeprojekte, die national und international Beachtung finden, diese Idee verbreiten. Interessieren sich denn auch andere Büros für Ihre Expertise im Bereich Strohbau?

Das passiert, aber eher noch zu wenig. Vor etwa einem Jahr hat uns Herzog & de Meuron für ein Projekt als Fachplaner beigezogen. Das Büro hatte eine aufwendige Analyse zu vielen bekannten Dämmstoffen gemacht um herauszufinden, wie man Gebäude möglichst nachhaltig isolieren kann. In der Analyse kamen sie zum Schluss, dass sich Stroh zum Weiterarbeiten gut eignet.

In der Abwägung der ökologischen und ökonomischen Aspekte wurde entschieden, das Dach mit Stroh und die Wände und den Boden mit Zellulose zu dämmen.  Kleinstrohballen sind etwa 36 cm dick und eignen sich gut für den Einbau in eine Holzelementwand. Wenn die Wanddicke geringer ist, können die Strohballen vom Feld nicht mehr direkt genutzt werden. In einem solchen Fall müssen die Strohballen aufgeschnitten und gehäckselt werden, damit das Stroh als Einblasdämmung genutzt werden kann. In diesem Vergleich war Zellulose wirtschaftlicher. Bei einem anderen Projekt haben wir aus Brandschutzgründen auch schon mit Steinwolle geplant. Der Gebäudeabstand entsprach nicht der Norm. Jedes Projekt muss man individuell betrachten.
 

Dieses Resultat entspricht Ihrer Philosophie: Jene Produkte nutzen, die im Kontext am ökonomischsten und ökologischsten sind. Abseits der reinen Nutzung als Dämmmaterial kann Stroh aber auch lasttragend eingesetzt werden, also ganz ohne tragendes Holzwerk. Ist diese Bauweise auch schon auf dem Markt angekommen?

Wir haben Stroh bereits bei verschiedenen Projekten lasttragend eingesetzt. Aber auch hier sind wir mit dem bereits genannten Problem konfrontiert: Die Margen sind gering, die Bauindustrie hat kaum Interesse an derlei Produkten und es ist schwierig ausführungswillige Unternehmen zu finden. Es gibt Unternehmen im EU-Raum, die genormte Baustroh-Ballen nach DIN anbieten. Im Endeffekt ist es das Stroh vom Feld, es wird aber ausgeblasen und damit sauberer. Aber auch etwa 50% teurer. Marktwirtschaftlich besteht nicht viel Interesse daran – das Produkt ist schließlich schon da und man kann es nur künstlich teurer machen.

Ausstellungs- & Bürogebäude Gartist GmbH, Bubikon (Foto: Atelier Schmidt)
Ausstellungs- & Bürogebäude Gartist GmbH, Bubikon (Foto: Atelier Schmidt)

Ihr Einsatz für die traditionellen, natürlichen Materialien wie Holz, Stroh, Lehm und Kalk lässt mich wundern: Sehen Sie in irgendeinem der heute viel genutzten Materialien auch etwas Gutes oder hätten wir uns den Umweg über die Erdölprodukte auch sparen können?

Natürlich verschließen wir nicht die Augen vor der heutigen Zeit! Hinsichtlich der Abdichtung sind Erdölprodukte ein Segen, denn man muss den Wasserschutz weniger konsequent betreiben. Fundamente bestehen meist aus Beton, weil das aus ökonomischer Sicht sinnvoll ist. Auch bei unserem Projekt in Nänikon haben wir uns dafür entschieden, auf eine weiße Wanne zu bauen und nicht auf eine schwarze. Und das deshalb, weil es ökologischer ist. Denn die Konsequenz des nicht wasserdichten R-Betons ist die höhere Herstellungsenergie, denn hier brauchen wir Bitumen.

Würde das Budget keine Rolle spielen, könnte man Gebäude auch wie früher bauen: als Strickbau auf einem Bruchsteinfundament. Wobei wir aus betriebsenergetischen Aspekten heute auch keinen Strickbau mehr draufsetzen würden, sondern vielmehr eine Holz-Stroh-Konstruktion, damit die Herstellungsenergie und die Betriebsenergie gering bleiben.
 

Bauherrschaften erhoffen sich als Investor*innen häufig eine interessante Rendite. Billig und schnell zu bauen ist dementsprechend verlockend. Gleichzeitig taucht der Begriff „enkelgerechtes Bauen“ immer mehr in der Diskussion auf und Bauherrschaften werden – entweder intrinsisch motiviert oder aufgrund der Nachfrage des Marktes – offener für ökologische Baumaterialien. Kann man beide Wünsche gleichzeitig bedienen?

Die Häuser in Nänikon sind ein Investorenprojekt und wir konnten mit nachhaltiger Bauweise eine marktgerechte Rendite erzielen! Das beweist, dass Investorenbau auch so betrieben werden kann. Man braucht für diese Projekte Bauherrschaften, die über den eigenen Tellerrand schauen und mit etwas geringerer Nettorendite zufrieden sind. Verkleide ich Bauten mit EPS/XPS, ist die Rendite kurzfristig höher – der Nachwelt ist aber nicht gedient.

Noch mal: Wenn es gesetzlich geregelt würde, dass der Fokus der Förderbeiträge nicht auf dem Betrieb liegt, sondern dass die Herstellungsenergie auch wesentlich ist, kämen andere Ergebnisse heraus. Wie wäre es, wenn jemand, der ein Gebäude mit viel Herstellungsenergie baut, später gezwungen wäre, die Betriebsenergie noch viel weiter zu senken als Ausgleich? Künstliche Dämmstoffe würden uninteressant. Es muss auf gesetzlicher Seite was passieren. In Deutschland hat die Regierung unter Olaf Scholz die Förderbeiträge sistiert und will sie neu organisieren. Der Fokus soll weg von der Betriebsenergie und die Herstellungsenergie soll auch ein Faktor bei der Beurteilung eines Projektes werden. Solange wir auf einem aus Sicht der Natur ungerechten Markt spielen, auf dem nachhaltige mit nicht nachhaltigen Bauprodukte in Konkurrenz stehen, werden Bauherrschaften lieber sechs Prozent Nettorendite wollen als vier Prozent.

Alte Heuballenpresse mit Transmissionsantrieb (Foto © OSU Special Collections & Archives : Commons, via Wikimedia Commons)

Hoffen wir also auf einen wachsenden Kreis an Bauherrschaften, die sich mit dem Thema des enkelgerechten Bauens befassen und nicht nur die kurzfristige Rendite betrachten bei der Materialwahl für ein Gebäude.

Es ist schon sehr schwierig, einen guten Weg zu finden und ein Bewusstsein für ein anderes Bauen auch bei großen Investoren zu schaffen. Deshalb glaube ich auch hier: Der beste Weg ist, die Herstellungsenergie der Betriebsenergie gleichzusetzen in der Beurteilung der ökologischen Werte. 

Schlussendlich sollten wir Häuser bauen, die örtlich verwurzelt sind und viele Nutzungen erlauben, damit die Lebensdauer möglichst lang ist. Bisher ist zum Glück keines unserer Gebäude abgerissen worden – unser Ziel ist, dass ein Haus wenn möglich mehrere hundert Jahre stehen kann. Denn dann ist es nachhaltig. Sonst nicht.

Vielen Dank für das Gespräch.

WERNER SCHMIDT architekt

WERNER SCHMIDT architekt
Andrea Bocco Guarneri

23 x 21cm
288 Pàgines
616 Illustrations
Hardcover
ISBN 9783990435052
Birkhäuser Verlag
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