Mehr als Speer

Falk Jaeger
22. d’abril 2023
Nürnberg, Reichsparteitag 1937, RAD-Parade. Der große Appell des Reichsarbeitsdienstes auf der Zeppelinwiese, während des Vorbeimarsches der 38000 Arbeitsdienstmänner (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-C12658 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons)

„Jede große Zeit findet ihren abschließen­den Wertausdruck in ihren Bauwerken. Wenn Völker große Zeiten innerlich erleben, so gestalten sie diese Zeiten äußerlich. Ihr Wort ist dann über­zeugender als das gespro­chene: Es ist das Wort aus Stein!“. Der das in einer Rede 1938 in München formulierte, Adolf Hitler, war in jungen Jahren durch die Aufnahmeprüfung der Kunstakademie in Wien gefallen, doch der Rektor hatte ihm die Eignung zum Architekten bescheinigt. „In wenigen Tagen wußte ich nun auch selber, daß ich einst Baumeister werden würde“, schrieb er in „Mein Kampf“. Es kam anders, auf dem Feld der Architektur blieb er wie zuvor Kaiser Wilhelm II. begeisterter Dilettant, und hatte er in der Architektur wie in der Politik Großes vor. 

Seine gigantischsten Projekte blieben kriegsbedingt Utopie. Doch was realisiert wurde, von Aachen bis Stettin und Breslau, von Hamburg bis Berchtesgaden, ist heute kontrovers diskutierte Hinterlassenschaft. Erhalten oder ächten, Denkmalschutz oder abreißen, pragmatisch nutzen oder als Gedenkort präparieren, angesichts der Masse und der Vielfalt des baulichen Erbes jener zwölf Jahre gibt es keine Norm.

Bauen im Nationalsozialismus war mehr als monumentaler Neoklassizismus, „Mehr als Speer“, so auch der Arbeitstitel einer Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz, jenem Ort, an dem Albert Speer als „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt Berlin“ für die Zeit nach dem „Endsieg“ die „Reichshauptstadt Germania“ geplant hat. Anlass ist der Abschluss des durch das Bundesbauministerium beauftragten Forschungsprojekts „Planen und Bauen im Nationalsozialismus. Voraussetzungen, Institutionen, Wirkungen“, dessen Ergebnisse vorgestellt werden sollen. 28 Forscherinnen und Forscher hatten fünf Jahre an dem Projekt gearbeitet. Vier Bände mit 1300 Seiten umfasst die wissenschaftliche Publikation (Hirmer Verlag, Subskriptionspreis bis 30.04.23  220 Euro, danach 270 Euro). 

Die NS-Architektur ist durchaus schon Gegenstand umfangreicher Forschungsarbeiten gewesen, vor allem deren Funktion als petrifizierte Macht von Partei und Staat, deren politische Semantik, deren verschiedenen Ausprägungen (Reduktionsklassizismus für monumentale Staats- und Repräsentationsbauten, funktionalistische Moderne für den Industriebau sowie regionale, heimatverbundene Bauformen für Kasernen, Jugendherbergen, Erholungsheime und dergleichen in der Provinz, aber auch deren Fortleben in Planungsämtern und personelle Kontinuitäten nach dem Krieg.

Wohl deshalb lagen die Schwerpunkte des Forschungsprojekts der unabhängigen Historikerkommission nicht im vordergründigen Bereich der architektonischen Gestaltung und der Stilfragen. Es ging um politische und gesellschaftliche Aspekte des Bauens, den Umstand, dass das Bauen alle Lebensbereiche durchdrang und „sowohl der Integration der ´Volksgenossen´ als auch dem völkisch-rassischen Ausschluss und der Vernichtung von ´Gemeinschaftsfremden´ diente“. Es ging, jenseits der wenigen realisierten Repräsentationsbauten, um die vielen landesweit entstandenen Wohnsiedlungen, Rüstungskomplexe, Verwaltungsbauten, Kasernen, Autobahnen und Konzentrationslager. Es ging um die persönliche Mitverantwortung von Bauschaffenden für die Errichtung des Terrorsystems, aber auch um die Verdrängung, Verharmlosung und Ausblendung deren Teilhabe am NS-Staat nach dessen Ende.

Ein ungeheures Forschungspensum also, dessen Ergebnisse sich aufgrund der Vielfalt und der Materialfülle niemals in einer Ausstellung abbilden lassen. So musste es in den verschiedenen Abteilungen bei jeweils wenigen, oft willkürlich und zusammenhanglos erscheinenden Beispielen und (überwiegend) Fotos bleiben. Bei den internationalen Zusammenhängen etwa, hier ein wenig Mussolini, da Iofans Sowjetpalast, dort die Franklin D. Roosevelt zugeschriebene Karte der USA von 1938, in der er ein Raster von Autobahnen eingezeichnet hat. So gesehen ist der Versuch, ein breit angelegtes, interdisziplinäres Forschungsvorhaben in vier Sälen einer Ausstellung zur präsentieren, fehlgeschlagen.

Insbesondere ist es nicht wirklich gelungen, über die Präsentation von Fakten und Fallbeispielen hinaus wirklich neue oder gar überraschend Erkenntnisse zu vermitteln. Dazu bedarf es vor allem vieler Texte. Nur vereinzelt bringen Besucher die Zeit und die Konzentration auf, sich durch alle Texte einer solchen Ausstellung durchzulesen und gar zusätzlich alle Filme anzusehen. Unabdingbar sind deshalb kurze, prägnante Einführungstexte der einzelnen Abteilungen, die es erlauben, die Kernaussage der Abteilung zu rezipieren und zu entscheiden, ob man sich die Abteilung näher ansehen will oder sich auf andere Aspekte konzentriert. Die gibt es zwar, doch sie sind nicht prägnant genug und oft unglücklich positioniert. Man beobachtet viele Besucher, die mehr oder weniger orientierungslos hindurchschlendern, hier und da von Bildern fesseln lassen und die Bildunterschriften lesen.

Für Menschen, die sich mit dem Thema schon befasst haben, die um die Zwangsarbeit in Steinbrüchen und auf Autobahnbaustellen wissen, die von den idyllischen Kleinsiedlungen als vom Regime favorisierter idealer Wohnform gehört haben, die Nürnberg, Dachau und Auschwitz besucht haben, die Albert Speers „Erinnerungen“ gelesen haben und die wissen, dass der „Reichsarchitekt der Hitlerjugend“ und Speer-Mitarbeiter Hanns Dustmann nach dem Krieg für RWE und Victoria Hochhäuser und in Berlin das Café Kranzler gebaut hat, bietet der Ausstellung „Macht Raum Gewalt“ wenig Neues.

Dennoch handelt es sich natürlich um ein verdienstvolles Unterfangen, das Thema der NS-Architektur mit all ihren Facetten einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen, auch den zahlreichen Touristen am Brandenburger Tor. Wie funktioniert Architektur als Unterdrückungsinstrument? Wie war das Bauwesen im NS-Staat politisch und administrativ organisiert? Was war in den eroberten Gebieten im Osten geplant? Wie hat man durch Bunkerbau und Wiederaufbaupläne in den 1940er Jahren auf den Bombenkrieg reagiert? Solche Fragen werden angerissen.

Zu empfehlen ist der preisgünstige Katalog, der zu den in der Ausstellung naturgemäß knapp dargestellten Themen und Exponaten weiteres Material beigibt und vieles leistet, was die Ausstellung schuldig bleiben muss. Ein umfangreiches Veranstaltungs- und Filmprogramm, Führungen unterschiedlicher Formate sowie ein Bildungsprogramm für Schüler ergänzen das Informationsangebot.

Planen und Bauen im Nationalsozialismus – Voraussetzungen, Institutionen, Wirkungen

Planen und Bauen im Nationalsozialismus – Voraussetzungen, Institutionen, Wirkungen
Hg. Die Unabhängige Historikerkommission „Planen und Bauen im Nationalsozialismus“
4 Bände, insg. 1304 Seiten

22 x 31 cm
1304 Pàgines
1024 Illustrations
gebunden, im Schuber
ISBN 978-3-7774-4114-6
Hirmer Verlag
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Macht Raum Gewalt. Planen und Bauen im Nationalsozialismus
bis 16.07.2023 in der Berliner Akademie der Künste, Pariser Platz 4
Dienstag bis Sonntag 11 bis 19 Uhr, Eintritt frei. Katalog 320 Seiten, 20 Euro
zur Website der Ausstellung

 

Begleitprogramm

Zustand und Gelände (DE)
Mittwoch, 26.4., 19 Uhr, Hanseatenweg, € 6/4, Film (OmeU) und Gespräch mit Ute Adamczewski und Wolfgang Benz, Moderation: Angelika Königseder > mehr

Die leere Mitte (DE/EN)
Mittwoch, 3.5., 19 Uhr, Hanseatenweg, € 6/4, Film (OmeU) und Gespräch mit Hito Steyerl und Noa K. Ha, in Kooperation mit der nGbK > mehr

Zeit der Götter (DE)
Dienstag, 9.5., 19 Uhr, Hanseatenweg, € 6/4, Film und Gespräch, mit Lutz Dammbeck, Manja Präkels und Dorothea Schöne, Moderation: Matthias Dell > mehr

Die Stadt ohne Juden (DE)
Samstag, 13.5., 19.30 Uhr, Hanseatenweg, € 13/7, Stummfilm mit Livemusik von Olga Neuwirth, gespielt vom Ensemble PHACE > mehr

Sommerspiele (EN)
Mittwoch, 24.5., 19 Uhr, Hanseatenweg, € 6/4, Film und Gespräch, mit Eszter Salamon, Dorothee Richter u. a. > mehr

Räume der Untröstlichkeit (DE)
Mittwoch, 31.5., Pariser Platz, € 6/4, Gespräch mit Max Czollek und Ibou Diop, Moderation: Johanna M. Keller > mehr

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