Maigrün und Werkstattcharakter

Heinle, Wischer und Partner
27. de gener 2021
Das markante Grün der Fassade des Ursprungsbaus von 1976 blieb erhalten. Die ehemals feststehenden, großflächigen Verglasungen wurden durch kleinteiligere, teilweise elektrisch betriebene Öffnungsflügel ersetzt, die eine optimale natürliche Belüftung und Nachtauskühlung ermöglichen. (Foto: Brigida González)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Die Johannes-Gutenberg-Schule in Stuttgart ist mit 800 Ausbildungsplätzen eine der größten Fachberufsschulen für Druck- und Medienberufe in Europa. Ihre Anfänge gehen auf das Jahr 1903 zurück. Für die Ausbildung in den Berufen Druckwesen, Buchbinderei und Fotografie entstand nach den Plänen des Stuttgarter Architekten Prof. Roland Ostertag 1974–1976 ein Schulneubau, der gute 30 Abschlussjahrgänge später in die Jahre gekommen war. Neben der energetischen Optimierung, der Beseitigung baulicher Mängel, dem Rückbau von Schadstoffen und der Umsetzung der Barrierefreiheit war vor allem eine räumliche Neustrukturierung erforderlich, die der zunehmenden Bedeutung elektronischer Medien und der damit einhergehenden Veränderung der zu erlernenden Berufsbilder Rechnung trägt.

Hellere, frische Farben und sorgfältig ergänzte neue Materialien schaffen eine hohe Aufenthaltsqualität und ermöglichen eine einfache Orientierung in den sich wiederholenden Raumabfolgen. Das neue Farbkonzept und das neue Leitsystem wurden gemeinsam mit den Schülern und Lehrern der Johannes-Gutenberg-Schule erarbeitet.
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Die Gesamtsanierung erfolgte ab 2009 in Etappen unter Aufrechterhaltung des laufenden Schulbetriebes und wurde 2020 fertiggestellt. Der prägnante Charakter des Gebäudes mit dem markanten Einsatz der Farbe Grün, der Fassadengliederung und -rhythmisierung sowie der im Inneren erlebbaren Werkstattatmosphäre mit sichtbaren Konstruktionen, Leitungsführungen und Fügungen ist – in Abstimmung mit dem Urheber Prof. Ostertag – erhalten geblieben. Hellere, frische Farben und sorgfältig ergänzte neue Materialien schaffen eine hohe Aufenthaltsqualität und ermöglichen eine einfache Orientierung in den sich wiederholenden Raumabfolgen.

Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Das ursprüngliche Erscheinungsbild bewahrend, gibt sich die sanierte Fassade durch neue Konstruktionsprinzipien zu erkennen. Die neue Pfosten-Riegel-Konstruktion ist mit grünen Aluminiumtafeln verkleidet. Die ehemals feststehenden, großflächigen Verglasungen wurden durch kleinteiligere, teilweise elektrisch betriebene Öffnungsflügel ersetzt, die eine optimale natürliche Belüftung und Nachtauskühlung ermöglichen. Die Fassadenmalereien des Künstlers Jörg Dieterich von 1976 wurden erhalten.

Alle neuen Räume – beispielsweise für den allgemeinen und integrierten Fachunterricht, den Computer gestützten Unterricht, die elektronische Bildbearbeitung, den naturwissenschaftlichen Unterricht oder die beiden Fotoateliers und die beiden Tonkabinen – konnten ohne gravierende Eingriffe in tragende Bauteile untergebracht werden, da das Gebäude als Skelettbau ohne tragende Innenwände mit immer wiederkehrenden, ähnlichen Raumclustern konzipiert wurde.

Mit 800 Ausbildungsplätzen ist die Johannes-Gutenberg-Schule in Stuttgart eine der größten Fachberufsschulen für Druck- und Medienberufe in Europa. (Foto: Brigida González)
Insgesamt neun begrünte Innenhöfe ermöglichen die natürliche Belichtung aller Räume. (Foto: Brigida González)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Das beteiligte Schulverwaltungsamt der Landeshauptstadt Stuttgart hat besonders darauf geachtet hat, dass moderne Unterrichtskonzepte umgesetzt werden können. Offene Schülerarbeitszonen erlauben klassen- und fachübergreifende Gruppenarbeiten; Aufenthaltsnischen dienen als Selbstlernbereiche, in denen autonomes Lernen und unterrichtsunabhängiges, individuelles Üben möglich ist. Die Größe und die Ausstattung aller Unterrichtsräume lassen kooperative und mediengestützte Lernformen mit neuester Medientechnik zu.

Der Schülerbereich in der Mitte des Erdgeschosses fungiert als zentraler „Marktplatz“. Hier können größere schulinterne Veranstaltungen wie Vorträge, Preisverleihungen oder Ausstellungen stattfinden. Auch die Bearbeitung von Aufgaben allein oder in kleinen Gruppen ist durch die Einrichtung mit beweglichem Mobiliar möglich.

Mit 92 Sitzplätzen ist die Cafeteria für eine Ausgabe von 200 Essen pro Tag ausgelegt. Eine Mischung aus Sitzgelegenheiten und Stehtischen und unterschiedliche Zonierungen unterstützen den Club-Lounge-Charakter dieses offenen, großen Raumes ebenso wie die Integration von vier großen Medientafeln und die Möglichkeit zum Anschließen der Laptops.

Und schließlich: Das neue Farbkonzept und das neue Leitsystem wurden gemeinsam mit den Schülern und Lehrern der Johannes-Gutenberg-Schule erarbeitet. Von der weißen Tageslichtmitte – dem Marktplatz – ausgehend, taucht man in die verschiedenfarbigen Cluster ein, die als Spektralfarben die unterschiedlichen Wellenlängen des Lichts darstellen.

Eine Mischung aus Sitzgelegenheiten und Stehtischen und unterschiedliche Zonierungen unterstützen den Club-Lounge-Charakter der Cafeteria ebenso wie die Integration von vier großen Medientafeln und die Möglichkeit zum Anschließen der Laptops. (Foto: Brigida González)
 
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Die Fassaden der Innenhöfe erhielten großflächigere Verglasungen, so dass eine offenere Verbindung von Innen- und Außenraum und eine Betonung der gemeinsam genutzten Mittelzone erreicht wurden. Auch der Verzicht auf die räumliche Abtrennung der Mediathek und deren Integration in den Cafeteria-Bereich mit offenem WLAN, Bildschirmen zur Präsentation von digitalen Inhalten und Aufenthaltsmöbeln für selbst organisiertes Arbeiten verstärkt den offenen Charakter der Schule, baut Hindernisse ab und schafft Räume für vielfältige Nutzungen. 

In der eingeschossigen Werkstatthalle, die über nach Norden ausgerichtete Sheddächer belichtet wird, sind die Maschinen und Großgeräte für den praxisbezogenen Unterricht aufgestellt. (Foto: Brigida González)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Wiederverwertung bestehender Gebäude war es uns wichtig, dass markante Elemente wie beispielsweise Bodenbeläge, Sichtmauerwerk oder sichtbare Betonfügungen erhalten bleiben. Wir haben das bestehende Gebäude nicht als Rohmaterial für eine neuartige Gestaltung gesehen, sondern wollten den typischen Charakter und die Besonderheiten des ursprünglichen Entwurfs erhalten. Altes ist sichtbar geblieben, Nutzungsspuren inklusive. So wird die Geschichte eines Ortes erzählt und gleichzeitig können durch die Weiternutzung von Bestehendem Ressourcen geschont werden. Wir sehen darin eine exemplarische Antwort zur aktuellen Diskussion über den Umgang mit sanierungsbedürftigem Gebäudebestand.

Lageplan (Zeichnung: Heinle, Wischer und Partner)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: Heinle, Wischer und Partner)
Querschnitt (Zeichnung: Heinle, Wischer und Partner)
Johannes-Gutenberg-Schule Stuttgart
Gesamtsanierung
2020
Rostocker Straße 25
70376 Stuttgart

Nutzung
Berufsschule
 
Auftragsart
Direktvergabe
 
Bauherrschaft
Landeshauptstadt Stuttgart, Hochbauamt
 
Architektur
Heinle, Wischer und Partner 
Freie Architekten, Berlin, Dresden, Erlangen, Köln, Stuttgart, Wrocław
Team: Till Behnke (verantwortlicher Partner), Steffen Walter (Projektleitung), Elke Fichter, Manuela Kapp, Saniye Kocak, Heide Nerger, Philipp Steiff, Hans-Peter Turzer
 
Architekt Neubau (1976):
Prof. Roland Ostertag

Fachplaner
Freianlagenplanung: EGL Eurich Gula Landschaftsarchitektur, Wendlingen
Tragwerksplanung: Dietz Würtele Ingenieure, Stuttgart
Technische Gebäudeausrüstung (Heizung, Lüftung, Sanitär): Ingenieurgesellschaft für Haustechnik Wetzstein GmbH, Herrenberg
Technische Gebäudeausrüstung (Starkstrom): IGP Ingenieurgesellschaft für Technische Ausrüstung mbH, Pforzheim 
Technische Gebäudeausrüstung (Schwachstrom): Netze BW GmbH, Stuttgart
Bauphysik: GN Bauphysik Finkenberger + Kollegen Ingenieurgesellschaft mbH, Stuttgart
Brandschutz: ZeBraS, Zentrum für Brandschutz und Sicherheit, Uhingen
SiGeKo: Helmut W. Deutschle, Stuttgart
Projektsteuerung: Jeggle Architekten und Partner mbB, Kernen im Remstal
 
Kunst am Bau
Keine Kunst am Bau im Zuge der Sanierung. Aber die ursprüngliche Kunst, die Fassadenmalereien des Künstlers Jörg Dieterich von 1976, wurden bei der Sanierung erhalten.

Ausführende Firmen
Fassadenarbeiten: Hupfeld & Schlöffel Metallbau GmbH, Berkatal-Frankershausen
Abgehängte gewellte Decke: Ullrich&Schön GmbH, Fellbach
Gipskarton Trockenbau: Grubesic Montagebau, Fellbach
Systemwände: Lindner AG, Arnstorf
 
Hersteller
Fassade: Schüco International KG
Innentüren (Holztürblätter mit Stahlzargen): neuform – Türenwerk
Stahlglastürelemente: Jansen AG
abgehängte gewellte Decke: Habisreutinger/Topakustik, NH Akustik + Design AG
 
Energiestandard
Planung nach Vorgaben der EnEV 2014, energetische Optimierung und Entfernung baulicher Mängel; Erneuerung der gesamten Fassade, um Wärmeschutz, Schallschutz, Wasser- und Luftdichtigkeit, sowie den Brandschutzanforderungen zu entsprechen
 
Bruttogeschossfläche
14.934 m²
 
Gesamtkosten
34.000.000 €
 
Fotos
Brigida González

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