Historische Villa wird Kindertagesstätte

Dannien Roller Architekten+ Partner
23. d’octubre 2024
Die alten Türen, Fenster, Vertäfelungen und Sockelleisten aus Holz wurden weiß lackiert und ziehen sich wie ein Band durch das gesamte Gebäude. (Foto: Dietmar Strauß)
Frau Dannien, Herr Roller, worin liegt das Besondere in dieser Bauaufgabe?


Maren Dannien: Bereits bei der ersten Begehung der Villa im Stil der italienischen Renaissance waren wir angetan von ihrer eleganten Proportion und Fassadengliederung, der noblen, etwas zurückgesetzten Lage an der Planie, ihrer Einbettung in den parkähnlichen Garten und den hellen, großzügigen Wohnräumen. Ohne Frage stellte die größte Herausforderung für uns die denkmalgerechte Sanierung des ehemaligen Wohnhauses einer Kaufmannsfamilie dar, das gleichzeitig in eine städtische Kindertagesstätte mit vier Gruppen umgewandelt werden sollte.

Matthias Roller: Es ging dabei nicht nur um die behutsame Restaurierung, sondern auch um die Anpassung der Räume an die Anforderungen der neuen Nutzung. Unser Ziel war es, das Gebäude in seiner ursprünglichen Form zu verstehen und zu respektieren, während wir es gleichzeitig würdevoll weiterdachten. Dabei war es uns wichtig, den einzigartigen Charakter der Villa zu bewahren. So musste zum Beispiel die historische Gebäudediele in einen abgeschlossenen Treppenraum umgestaltet werden, der nun als Rettungsweg für die Kindertagesstätte dient.

Die Kinderküche befindet sich heute an der Stelle der früheren offenen Feuerstelle. Der bauzeitliche Abzug wurde in die Gestaltung der Küche integriert und als Esse neu entworfen. (Foto: Dietmar Strauß)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Matthias Roller: Seit vielen Jahren beschäftigen wir uns mit der Sanierung und dem Umbau von Bestandsgebäuden, die – wie auch bei diesem Projekt – häufig Baudenkmäler sind. Unsere Arbeit an solchen Projekten ist stets geprägt vom sensiblen Umgang mit der uns anvertrauten Bausubstanz. Mit kindlicher Neugier begaben wir uns auf eine Zeitreise ins Jahr 1887, stöberten in Stadtarchiven und erkundeten den Ort, die Villa sowie die Lebensgeschichte des Architekten Markus Zimmermann und seines Bauherrn, des Kaufmanns Alfred Knapp.

Maren Dannien: Wir begannen, das bürgerliche Leben in diesem Wohnhaus zu entdecken, beseitigten viele fehlerhafte Einbauten und legten die verschiedenen Zeitschichten der Bausubstanz frei. Wir sahen uns dabei weniger als Gestalter, sondern vielmehr als Beobachter, die die Entdeckungen, Fragmente und Gedanken des Gebäudes zu etwas Neuem weiterentwickelten. So entstand eine Architektur, die aus dem Kontext erwuchs – eine nonkonformistische Spiegelung der örtlichen Gegebenheiten.

Die Vordachkonstruktion greift die historische Körnung der Fassadenprofilierung des Backsteingebäudes mit seiner Sandsteingliederung auf, interpretiert sie jedoch in einer modernen Formensprache. (Foto: Dietmar Strauß)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?


Maren Dannien: Unser Gebäude reiht sich gemeinsam mit anderen beeindruckenden Stadtvillen entlang einer Kastanien- und Lindenallee ein. Es liegt etwas zurückgezogen in einem parkähnlichen Garten. Der Zugang erfolgt diskret über eine seitlich angeordnete Sandstein-Freitreppe. Um der öffentlichen Nutzung ein wenig besser gerecht zu werden und das Kinderhaus sichtbarer zu machen, haben wir die Treppe mit einem Vordach ergänzt. Dieses wirkt wie ein frei stehender Schirm, der über der restaurierten Treppe schwebt. Bei Nacht und in der Dämmerung ist er indirekt beleuchtet. Die Konstruktion greift die historische Detaillierung und die Körnung der Fassade auf, interpretiert sie jedoch in einer modernen Formensprache.

Die ursprüngliche Grundrissstruktur des Gebäudes folgte dem bürgerlichen Wohnprinzip mit großzügigen, teils gefangenen Räumen wie Salon, Herrenzimmer, Schlafzimmern, Wintergarten und Speisezimmer. Zunächst haben wir durch den Rückbau diese Raumzusammenhänge wieder freigelegt. Gemeinsam mit den zukünftigen Erzieherinnen konnten wir glücklicherweise ein pädagogisches Konzept entwickeln, das perfekt zu diesem Ort passt. Heute gibt es vier große Gruppenräume, ergänzt durch Themenräume wie unter anderem ein Bastel- und Malzimmer sowie einen Bewegungsraum, die eine Analogie zur Raumtypologie einer Villa herstellen.

Ein besonderes Detail: Die Kinderküche befindet sich heute an der Stelle der früheren offenen Feuerstelle. Den ehemaligen Abzug haben wir in die Gestaltung der Küche integriert und als Esse neu entworfen. Die Kinder nutzen das Haus nun im Rahmen eines halboffenen pädagogischen Konzepts.

Die verschiedenen Zeitschichten der Bausubstanz wurden freigelegt und die Fragmente des Gebäudes weiterentwickelt. (Foto: Dietmar Strauß)
Die nachgerüsteten Bodenbeläge wurden bewahrt und an Fehlstellen grafisch im Patchwork-Stil ergänzt. Das Farbkonzept der Räume spielt mit der vorhandenen Materialvielfalt. (Foto: Dietmar Strauß)
Die ursprüngliche Grundrissstruktur des Gebäudes folgte dem bürgerlichen Wohnprinzip mit großzügigen Räumen. (Foto: Dietmar Strauß)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt? Wie haben Sie ihnen Rechnung getragen?


Matthias Roller: Wie bei allen denkmalpflegerischen Sanierungen fühlten wir auch in diesem Projekt die Verpflichtung zu einem maximalen Substanzerhalt. Zunächst mussten wir die verfremdenden Einbauten beseitigen, um dann die kunstvollen und anspruchsvollen Zeugnisse der bürgerlichen Bauweise überhaupt erfassen zu können. Bei der Dachsanierung wurden die historischen Betondachziegel behutsam ausgebaut, bewertet, gelagert und nach den Dämmarbeiten wiederverwendet. Nur die schadhaften Ziegel wurden neu angefertigt und farblich passend engobiert.

Die angestrebte Nutzungsänderung machte zudem brandschutztechnische Ertüchtigungen erforderlich, die dezent in den Bestand integriert wurden. So bauten wir Bestandstüren, die keinen Brandschutz erfüllten, samt Zarge sorgfältig aus und setzten sie an anderen Positionen wieder ein.

Auch dem Auftraggeber lag viel daran, Bestandsmaterialien zu erhalten und Recyclingmaterial aus anderen öffentlichen Gebäuden wiederzuverwenden. So wurden etwa aus einer Schule ausrangierte Akustikplatten sorgfältig ausgebaut und integriert.

Als wir feststellten, dass in einigen Räumen die historischen Fußböden nicht zu erhalten waren, entschieden wir gemeinsam, die nachgerüsteten Bodenbeläge zu bewahren und diese an Fehlstellen grafisch im Patchwork-Stil zu ergänzen. Um die Bestandsmaterialien in ein stimmiges Farbkonzept einzubinden, wurden die Fliesen in den Kindertoiletten passend ausgewählt und ergänzt. Das Farbkonzept der Räume spielt mit der vorhandenen Materialvielfalt und setzt auf leichte Blau-, warme Grau- und Senf- sowie helle Grüntöne.

Foto: Dietmar Strauß
Beschäftigen Sie sich im Büro mit den Tendenzen des zirkulären Bauens und der sozialen Nachhaltigkeit?


Maren Dannien: Wir haben uns während des Studiums in Berlin kennengelernt, wo uns die Qualitäten der gründerzeitlichen Gebäude inspirierten: ihre materielle Robustheit und Standhaftigkeit sowie die strukturelle Flexibilität zur Umnutzung. Diese Eigenschaften haben unsere Vorstellung von Nachhaltigkeit maßgeblich geprägt. Unser Leitsatz ist daher bereits seit über 30 Jahren maximale Qualität in der Materialwahl wie auch im architektonischen Ausdruck. Wir wollen räumliche Flexibilität erreichen, sodass kein Rückbau des Gebäudes im Sinne der Zirkularität nötig wird. Die beste Form der Nachhaltigkeit ist für uns die Sicherstellung von Baukultur, der wir uns zutiefst verpflichtet fühlen.

Matthias Roller: In unserem Büro beschäftigen wir uns natürlich auch mit Projekten, die ein Zertifizierungsverfahren durchlaufen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse bieten wir unseren Auftraggebenden auch dann an, wenn solche Anforderungen zunächst nicht explizit formuliert werden.

Lageplan (© Dannien Roller)
Grundriss Erdgeschoss (© Dannien Roller)
Schnitte (© Dannien Roller)
Ansichten (© Dannien Roller)
Kinderhaus Planie
2024
Planie 30
72764 Reutlingen
 
Nutzung
Kindertagesstätte
 
Auftragsart
Vergabeverfahren
 
Bauherrschaft
Stadt Reutlingen, vertreten durch Hochbauamt Reutlingen
 
Architektur
Dannien Roller Architekten+ Partner, Tübingen
Maren Dannien, Matthias Roller, Theresa Esser, Andi Ramici, Joachim Wagner
 
Fachplaner
Statiker: Professor Faltlhauser, Reutlingen
HLS: Ingenieurbüro Wienand, Reutlingen
Elektro: Kuhn Ingenieure, Reutlingen
Brandschutz: Fachwert GmbH, Bad Dürrheim
Bauphysik: Rath+ Fritz, Metzingen
Küchenplanung: Ingenieurbüro Geisel, Reutlingen
 
Ausführende Firmen
Rohbau: Henzler Bau, Riederich
Dachdecker und Zimmermann: Holzbau Loos, Reutlingen
Klempner: Künstle GmbH Reutlingen
Putz+ Stuck: Mack, Pliezhausen
Maler: Geiselhart, Pfullingen
Schreiner: Single, Frickenhausen
Schlosser: Strasser, Tübingen
Fliesen: Nurkic, Riederich
Holzrestaurierung, Steidle, Rottenburg
Steinmetz: Mohring, Reutlingen
Steinmetz: Reuter, 
Bodenleger: Reinhard, Reutlingen
 
Hersteller
WC Trennwände: Trennwandanlagen, Meta
Fenstergriffe, Türgriffe: FSB
Farben: Brillux
Trockenbau: Knauf und Promat
Fliesen: Vitra
Stahl- Glastüren: Foster Fuego Light
Obertürschließer: dormakaba
Boden: DLW
Boden: Noraplan
Akustikplatten: Heradesign
Leuchten: LFT – 16, Ridi
Lichtschalter: LS 990, Jung
 
Bruttogeschossfläche
1.014 m²
 
Gesamtkosten
2.960.000 € brutto KG 200, 300, 400, 500 und 700 (ohne Einrichtung)  
 
Fotos
Dietmar Strauß Besigheim

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