Die urbanen Strategien der Internetkonzerne | Teil 2

Toronto geht Google ins Netz

Oliver Pohlisch
10. janeiro 2018
Der jüngste Protest vor dem geplanten Google-Campus-Standort im alten Umspannwerk in Berlin-Kreuzberg fand am 18. Dezember unter dem Motto "Google ist kein guter Nachbar" statt (Bild: Anne Huffschmid)

Die fortwährende Gültigkeit des neoliberalen Paradigmas sorgt für eine harte, interurbane Konkurrenz um privates Kapital, das sich zunehmend in den Händen großer Internetkonzerne konzentriert. Während der Onlinehändler Amazon das devote Buhlen der US-Städte um seine Gunst dazu nutzen wird, sich einfach weiter in urbane Flächen zu fressen, tritt Google dagegen gleich selbst als Stadtplaner und -verwalter auf. Googles Mutterkonzern Alphabet verfügt mit Sidewalk Labs unter der Führung des ehemaligen New Yorker Vizebürgermeisters Dan Doctoroff seit 2015 über eine Tochter, die Kommunen damit lockt, ganze Viertel mit digitalbasierten Instrumenten aufzupimpen. Und das kanadische Toronto hat angebissen: Eine städtische Entwicklungsgesellschaft will zusammen mit Sidewalk Labs das als unternutzt geltende Areal Quayside direkt am Ontario-See in ein "Laboratorium des urbanen Lebens" transformieren. Auf über 4,8 Hektar, die allerdings nur ein bescheidener Teil eines weitaus größeren Entwicklungsgebiets sind, sollen neben der Google-Zentrale für Kanada weitere "intelligente" Gebäude mit Wohn-, Gewerbe- und Büroraum entstehen. Geplant ist zudem, auf den Straßen selbstfahrende Autos zu testen und überall Sensoren und Kameras zu installieren, die Informationen über Umweltbedingungen, Lautstärke und Verkehrsdichte sammeln sollen.

Die digitale Infrastruktur von Quayside in wenigen Strichen (Bild: Sidewalk Toronto)
Die Public Realm Vision von Sidewalk Labs für Torontos Quayside. Aber was ist hier noch öffentlich? (Bild: Sidewalk Toronto)

Übersteht das Vorhaben in Toronto die gerade eben angelaufene öffentliche Konsultation, wäre es wohl das bisher avancierteste "Smart City"-Projekt, das im nordamerikanischen und europäischen Raum real wird. Sidewalk Labs selbst vermeidet die Verwendung des Begriffs "Smart City", wohl aufgrund der in den vergangenen Jahren lauter gewordenen Skepsis gegenüber den mit diesem Terminus verbundenen Entwicklungskonzepten.

Die vom Paradigma der Nachhaltigkeit genährte Vorstellung in den kommunalen Verwaltungen, mit Hilfe modernster Feed-Back-Technologien Emissionswerte, Energiekosten und den Verbrauch von Ressourcen senken zu können, traf in der Genese der "Smart City" auf eine Neuausrichtung großer Technologiekonzerne wie Siemens, IBM, Cisco oder Phillips – weg vom reinen Verkauf von Hard- und Software und hin zum Anbieten von Paketlösungen inklusive Dienstleistungen wie Beratung, Management und Evaluation von Verkehrsleit- und Transportsystemen, Stromnetzen oder Verwaltungsabläufen.

Alphabet bzw. Sidewalk Labs offeriert nun die Bereitstellung und den Betrieb von Infrastrukturen dermaßen kostengünstig, dass seit Jahren unter dem Joch der Austerität stehende Kommunen die Dienste des Internetkonzerns kaum ablehnen können. In Quayside, so Kritiker, werde man womöglich demonstriert bekommen, worauf es Sidewalk Labs dabei aber, geschickt verschleiert durch ökologische Rhetorik und Absichtsbekundungen, Vielfalt zu fördern, eigentlich ankommt: die Aneignung der urbanen DNA-Stränge – also der Ströme aller in der Stadt erzeugten Daten. Die Privatisierung der Stadt würde damit auf die Spitze getrieben, mittels künstlicher Intelligenz geriete die Befugnis über öffentliche Angelegenheiten in die Hände eines von keinem Wähler legitimierten Konzernmanagements, das ganz offen Allmachtsfantasien artikuliert. So verlautete Alphabet-Chef Eric Schmidt, die Idee zu Sidewalk Labs sei bei der Vorstellung all jener Dinge gekommen, "die man tun könnte, wenn uns nur jemand eine Stadt geben und uns die Verantwortung für sie übertragen würde."

Wird hier das bisher avancierteste "Smart City"-Projekt im nordamerikanischen und europäischen Raum entstehen? Die Quayside östlich von Torontos Downtown (Karte: Sidewalk Toronto)
Quayside ist nur ein kleiner Abschnitt von Torontos Eastern Waterfront, die mittels einer städtische Entwicklungsgesellschaft aufgewertet werden soll (Bild: Waterfront Toronto)

Nachvollziehbar, dass als Gegenentwurf zu privaten Steuerungsutopien eine Technologie-Souveränität der Kommune propagiert wird. So will die Verwaltung von Barcelona etwa Open-Source-Software, nutzerfreundliche digitale Dienste und kooperativ organisierte Sharing-Plattformen konsequent in den Dienst des Gemeinwohls stellen. Letzteres wird aber nicht immer automatisch von einer so progressiven Regierung wie der in der katalonischen Metropole definiert, die sich eine tiefgreifende Demokratisierung der Stadtgesellschaft auf die Fahne geschrieben hat. Die staatliche Verfügung über künstliche Intelligenz zeigt seine Schattenseiten recht schnell dort, wo nicht wie in Barcelona ehemalige Aktivisten aus der Mieterbewegung das Rathaus dominieren, sondern eine autoritäre Führung bestimmt, was gut für die Bürger ist, und damit gegebenenfalls auch, für welche Form von städtischer "smartness" internetbasierte Technologien genutzt werden.

Bezeichnenderweise kommen nirgendwo "Smart City"-Konzepte so inflationär zur Anwendung wie in China. Mehr als 200 "Smart Cities" soll es in dem Land schon geben und gemeinsam ist allen, dass in ihnen digitalen Instrumente nicht nur administrative Vorgänge effizienter machen oder den Ressourcenverbrauch mindern helfen. Unter dem Primat der Sicherheit sollen sie vor allem das Verhalten der Bewohner normieren. Die Hauptstadt des Emirats Dubai auf der arabischen Halbinsel nennt sich ebenfalls "smart". Die in ihrem öffentlichen Raum operierenden Sensoren, Kameras, Roboter und Drohnen dienen gleichermaßen der Verkehrslenkung wie auch der Strafverfolgung. "Smart City" kann hier als Synonym für einen diktatorischen Polizeistaat gelten.

Angesichts des mit ihr verbundenen privaten wie staatlichen Kontroll- und Lenkungswahns könnte man jetzt ganz ketzerisch den Visionären der "intelligenten Stadt" eine Wiederkehr der Technikskepsis der späten 70er Jahre an den Hals wünschen. Damit Städte wenigstens eine kleine Chance haben, zwar unvollständig und widersprüchlich, aber dafür auch offen, überraschend und lebendig zu bleiben. Der Protest gegen die wohlgemerkt im globalen Maßstab noch moderat scheinenden Pläne von Google und Zalando für Berlin, das ja durchaus eine tragische Geschichte als Schauplatz sinistrer Datenspeicherungen aufweist, könnte vielleicht Ausgangspunkt für ein solches Revival sein.


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