Himmelsgarten und Lamelle

Ulf Meyer
31. maio 2017
Ginza Place, Tokio (Bild: KDa)

Selbst das Nationalparlament sollte einmal von einem Berliner Architekten-Duo (Ende und Böckmann) gebaut werden – das war allerdings in den 1880er-Jahren! Seitdem waren die deutschen Architekten im Land der aufgehenden Sonne von der Bildfläche verschwunden – ganz anders als ihre europäischen Kollegen, die spätestens seit den 1990er-Jahren dicke Aufträge in Japan abstaubten. Ihre Bauten prägen die Silhouette von Tokyo mittlerweile kräftig mit: Von Jean Nouvel über Renzo Piano, Richard Rogers, Philipp Stark, Herzog & de Meuron und Mario Botta – es gibt kaum ein großes nicht-deutsches, europäisches Architekturbüro, das nicht mindestens ein Opus in Tokyo vorzuweisen hat.

Im letzten Jahr begann sich das Blatt nach 130 langen Jahren Abstinenz für die deutschen Planer zu wenden. Drei prominente deutsche Architekten haben jüngst stadtbildprägende Gebäude in japanischen Millionenstädten entworfen. Während Astrid Klein bei ihrem Entwurf für ein schlankes Geschäftshaus ein Motiv aus dem japanischen Kunsthandwerk in den Maßstab einer Fassade übersetzt, pflanzt Christoph Ingenhoven aus Düsseldorf für den Immobilienmagnaten Mori gleich zwei neue Hochhäuser in die Skyline der japanischen Kapitale. Und Florian Busch setzt sich in seinem Vergnügungsgebäude in Kyoto mit der Tradition der fensterlosen Fassaden in Japan auseinander. Doch der Reihe nach:

Fassade im Sukashi-bori-Stil

Ginza Place, Tokio (Bild: KDa)

Astrid Klein arbeitet als deutsche Architektin schon seit Jahren erfolgreich in Japan. Klein wurde in Italien in eine deutsche Familie geboren und hat mit Mark Dytham, nach Lehrjahren bei Toyo Ito in Tokio, 1991 ihr Büro KDa gegründet. Ihr «Ginza Place»-Gebäude hat eine Gitterfassade, die vom japanischen Kunsthandwerk inspiriert ist und aus 5'000 Aluminiumplatten besteht. Die auffällige Fassade liegt an einer der berühmtesten Kreuzungen Tokios, an der Ecke Ginza 4-Chome. 

Ginza Place, Tokio (Bild: KDa)

Der elfstöckige Mini-Turm beherbergt Showrooms für Nissan und fünf Restaurants. Seine «runde Ecke» ist von Jin Watanabes berühmtem Wako-Kaufhaus auf der gegenüberliegenden Ecke abgeleitet. Durchlässige «Sukashi-bori»-Muster werden in Japan traditionell für Körbe oder Geschirr verwendet. Beim Neubau ist das Muster an der Basis am engsten, um einen menschlichen Maßstab auf der Straßeebene zu schaffen. Es weitet sich nach oben hin und scheint sich zu wölben. Die Fassadenplatten bestehen aus Aluminiumblech, das gefaltet, verschweißt und pulverbeschichtet wurde, bevor es auf seiner Metallunterkonstruktion mit einer Fugenbreite von nur acht Millimetern befestigt wurde – eine deutsch-japanische Präzisionsarbeit, die ein altes Motiv aufgreift und abstrakt zeitgenössisch interpretiert.

High-Performance und vertikale Gartenstadt

Bild: Ingenhoven Architects

Das Geschäftsviertel Torano-mon in Tokio wird derzeit von ingenhoven architects aus Düsseldorf um zwei Hochhäuser erweitert. Links und rechts des «Torano-mon Hills Towers» (entworfen von Nihon Sekkei) wird ein Büro- und ein Wohnhochhaus gebaut und mit bewachsenen Fußgängerbrücken verbunden. Derartige Grünräume, und mögen sie auch noch so bonsai-klein und aufwendig in der Pflege sein, stehen in den park-armen japanischen Metropolen hoch im Kurs. Ingenhoven architects, weltweit als Erfinder des ökologischen Hochhauses bekannt, lassen die terrassenförmigen unteren Etagen der beiden Türme zu einer «Landschaft für Begegnung und Bewegung» zusammenwachsen. Die «vertikale Gartenstadt» und die Dachbegrünungen reduzieren den städtischen Wärmeinseleffekt. Auch die Fassaden tragen zu einem angenehmeren Mikroklima bei: Horizontale Simse spenden den Glasfassaden wie Brise-Soleil-Elemente Schatten. Die «Decks für Freizeit und Entspannung» gehen nahtlos in die horizontalen Vorsprünge der Etagen über. Die Simse dienen zugleich als Sonnenschutz, Pflanzfläche und Balkon. Die Grünanlagen auf verschiedenen Etagen gestaffelt, schaffen Freiflächen und reinigen die Luft. Die urbane Landschaft rund um die Türme soll «die Sinne mit Farben, Düften und Tönen stimulieren, kleine Wasserfälle das Tageslicht spiegeln».

Bild: Ingenhoven Architects

Das «Tokyo Square Garden»-Gebäude im Bankenviertel von Tokyo hat vorgemacht, welche ästhetischen und klimatischen Qualitäten auf diese Weise zu gewinnen sind. Auch bei ihrem Entwurf für die Marina Bay in Singapur setzen die Düsseldorfer Architekten ganz auf derartige Vegetations-Decks, die die Gebäude verbinden, wodurch eine mehrschichtige Stadtlandschaft im Wortsinn entsteht. Für den Tokyoter Entwurf wurde ein Rating der Kategorie «S» nach dem japanischen CASBEE-Standard für nachhaltiges Bauen beantragt. Kraft-Wärme-Kopplung, Grauwasser-Recycling, Solarglas, Regenwassersammlung, Photovoltaik-Paneelen sowie einer hocheffizienten Beleuchtung machen die beiden Hochhäuser in Torano-mon nach deutschen Maßstäben umweltverträglicher. Mit dem Bau des Fuji-Sankei-Hochhauses in Osaka hatte Ingenhoven zuvor bereits wertvolle Erfahrungen für das Bauen in Japan sammeln können.

Moiré-Effekt

K8-Gebäude, Kyoto (Bild: Florian Busch Architekten)

Das kleinste der drei Projekte ist das «K8-Gebäude» von Florian Busch in Kyoto. Busch hat in Tokio sein erfolgreiches Architekturbüro gegründet, nachdem er ebenfalls einige Jahre lang bei Ito gearbeitet hatte. Bei seinem K8-Haus wird Tageslicht – wie es in Japan Tradition ist – nur gefiltert und blick-geschützt durch Holzlamellen in die Innenräume gelassen. Auf einem nur gut fünfzig Quadratmeter großen Handtuchgrundstück im Ausgehviertel Ponto-cho, eingequetscht zwischen hohen Nachbargebäuden, hat Busch auf einen Fahrstuhl verzichtet und erschließt alle Ebenen mit einer schön gestalteten Treppe. Auf allen Ebenen des Gebäudes befinden sich Bars und Restaurants: Kunden können sich ihren Weg «Vom Aperitif im Erdgeschoss bis zum Digestif im Penthouse» bahnen. Auf der Gesamthöhe von fünf Etagen sind acht Split-Level untergebracht. 

Das Interessante an dem Gebäude ist jedoch seine Straßenfassade, die aus Hunderten von vertikalen Holz-Lamellen besteht, die in verschiedenen Winkeln montiert wurden: An den Seiten sind die Lamellen so schräg, dass die Fassade fast geschlossen wirkt, aber in der Mitte fallen Blicke in das Haus. Für Passanten entsteht so ein «Moiré-Effekt». Die Geschosse des knapp 17 Meter hohen «K8»-Gebäudes zeichnen sich nicht ab. Busch beweist mit dem K8-Gebäude, dass er die Eleganz des Lichteinfalls in der traditionellen japanischen Baukunst meisterhaft adaptieren kann. Da sich in dem Gebäude Bars befinden, lässt sich das Geschehen im Inneren abends nur erahnen, als Flirren hinter den Fassaden-Lamellen. 

K8-Gebäude, Kyoto (Bild: Florian Busch Architekten)

Zuletzt zurück zum Anfang der Geschichte: Ende und Böckmann, die beiden Berliner Architekten, hatten zwar 1886 und 1887 Tokio besucht und sogar beim Kaiser Audienz bekommen, allerdings zog sich ihr Bau über Jahrzehnte hin. Das Parlament musste in Provisorien tagen. Schließlich setzet sich 1918 Watanabe Fukuzos Entwurf durch, der an Ende und Böckmanns Arbeit erinnert. Der 1920 bis 1936 errichtete Bau folgt im Grundriss Fukuzos Entwurf, Dach und zentraler Turm in Form einer Stufenpyramide hingegen ähneln dem Drittplatzierten Entwurf von Takeuchi Shinshichi.

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