Besser Verdichten – mehr Masse, mehr nutzen

Autor:
Inge Beckel
Veröffentlicht am
Feb. 8, 2012

Die Erdbevölkerung wächst rasant. Dicht bebaute Megacities sind die Folgen auf anderen Kontinenten, doch auch in Europa ist Verdichten das Gebot der Stunde. Zersiedelung stoppen, die Stadtzentren als Wohnort wiedergewinnen – dass Verdichten nicht nur mit mehr Baumasse, sondern auch mit mehrfacher Nutzung erreicht werden kann, zeigen zwei Schweizer Beispiele: Um den Alpenraum als Naturraum zu schützen, drängt das Problem in der Schweiz besonders.
 
Ein Werkzeug zum Thema Verdichten "Dichter" nennt sich eine Broschüre, die das Amt für Städtebau der Stadt Zürich jüngst herausgab. Die Broschüre ist keineswegs eine Zusammenstellung literarischer Texte. Nein, nach Vorworten und informativen Einführungstexten werden 30 Beispiele von jüngeren Siedlungen auf dem Stadtgebiet vorgestellt – mit vielen Kennzahlen: etwa Wohnungsgrößen, Mietpreisen, Ausnützungsziffern, Überbauungsziffern. Interessant aber ist besonders die Anzahl der Bewohner – und dies vor allem im Vergleich mit dem vorherigen Bestand: Die Kennzahlen der neuen Bauten, bei denen es sich um Ersatzsiedlungen handelt, werden jenen der ehemaligen Siedlung gegenübergestellt. In der Regel liegt die Einwohnerzahl der Neubauten höher als jene der Altbauten. Es gibt aber auch Fälle, wo durch großzügigere Grundrisse die Zahl der Einwohner gesunken ist. Die Broschüre gibt ein gutes Werkzeug an die Hand, um konkreter zu erfahren, was Dichten bedeuten oder im Alltag sein kann.
Erstes Beispiel: Im "Sunnige Hof" in Albisrieden etwa – die Neubauten sind von Burkhalter Sumi Architekten – entstanden 15 Wohneinheiten mehr als die ehemaligen 134. Dies, obwohl die Fläche pro Person von rund 24 auf rund 41 Quadratmeter angestiegen ist. Die Siedlung Klee in Affoltern von Knapkiewicz & Fickert Architekten wurde dagegen auf grüner Wiese gebaut. Sie beherbergt in einem kleeförmigen, jedenfalls zusammenhängend gebauten "Blockrand" insgesamt etwa 1.000 Bewohner.
 
Stadt und Land Auch in der Wakkerpreis-2012-Gemeinde Köniz südwestlich von Bern ist "Verdichten" ein Ziel (siehe auch Podcast der Ausgabe 04|12 des eMagazins von swiss-architects.com). Dass Bern dies in vorbildlicher Weise gelingt, ist mit ein Grund für den Preis, der übrigens bei den Gemeindebehörden heute sehr beliebt ist. Wird einer Gemeinde der Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes zugesprochen, ist ihr schweizweite Publizität garantiert. Die Gemeinde wird als lebenswert, jedenfalls vorbildlich gepriesen, und das lockt vielleicht gar Neuzuzüger oder Firmen an. An Köniz ist außerdem vorbildlich, dass im Ort verdichtet wurde, ohne neues Bauland auszuweisen. Im Gegenteil, im Zuge einer Ortsplanrevision in den 1990er-Jahren entfielen 337 Hektar!
Denn Köniz will bei aller notwendigen Verdichtung den Einwohnern auch Landschafts- und Erholungsräume vor Ort bieten. So soll zum Beipiel Herzwil, ein zu Köniz gerhörender Ort, in seiner ländlichen Struktur und in seinem dörflichen Charakter erhalten bleiben – hier wurde kein Land für Neubaugebiete ausgewiesen. Es geht nicht darum, einseitig das Landleben hochzuhalten, nein: Der Mensch braucht neben städtischer Dichte, die anregend und belebend ist, Freiräume, Weite und Natur. Nun muss gesagt sein, dass Köniz mit seinen gut 50 Quadratkilometern Fläche das Glück hat, sowohl Stadt als auch Land auf eigenem Gemeindegebiet vorzuweisen. Ob in der Heimgemeinde oder beim Nachbarn: Stadt und Land wollen beide gelebt sein – sie wollen koexistieren.
 
Integrativ – nicht additiv Will man verdichten und nicht immer mehr Boden durch Bebauen versiegeln, spielt auch der Verkehr eine wichtige Rolle. In zentralen Lagen Köniz' finden sich – und dies an Kantonsstraßen – mehrere Tempo-30-Zonen. Ziel ist es hier, auf der gegebenen Verkehrsfläche sowohl Autos, Busse und Lastwagen passieren zu lassen als auch Fußgänger und Fahrradfahrer. Interessanterweise funktioniert das Prinzip am besten, wenn es viel Verkehr gibt. Dann müssen die Autos stärker auf das Geschehen rundherum achten, die Aufmerksamkeit der Fahrer ist hoch, die eigene Fahrt relativ langsam. Bewegen sich dazwischen noch Fußgänger, werden diese gut aufgenommen im allgemeinen Kommen und Gehen. Ist aber der Verkehr in den Zwischenzeiten am Vormittag und Nachmittag eher gering, fahren die Autos schneller – und für die Fußgänger wird es in der Tendenz gefährlicher. Hier heißt es: Autofahrer müssen dazu lernen.

Autos, Fahrräder, Fußgänger, ÖPNV: Erhält jede Sparte ihren eigenen Streifen, werden die Straßen immer breiter – was nicht nur Bodenverschleiß bedeutet, sondern in der Regel auch hässlich ist. Will man den öffentlichen Raum wieder vermehrt als Aufenthalts- und Lebensraum deklarieren und etablieren, müssen die Straßenräume bewusster und schließlich wieder besser gestaltet werden. Kunst im öffentlichen Raum kann ein Mittel dazu sein, ein Allerweltsheilmittel ist sie gewiss nicht. Es gilt ebenso, den öffentlichen Raum wirklich als Raum wahrzunehmen: Breite und Höhe eines Straßenraums sind also zentrale Faktoren. Anstelle den Verkehr additiv zu organisieren – Fahrbahn neben Buslinie neben Fahrradstreifen neben Bürgersteig – soll dieselbe Straßenfläche von mehreren Verkehrsteilnehmern genutzt werden können. Dies verlangt selbstverständlich Lernbereitschaft und guten Willen aller Beteiligten. Inge Beckel
 
Mehr...
zur Broschüre "Dichter. Eine Dokumentation der baulichen Veränderung in Zürich – 30 Beispiele"

zum Medienecho: Wakkerpreis für Köniz

zum Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes

zur Broschüre "40 Wakkerpreise: 1972-2011", eine Zusammenstellung von Stein am Rhein 1972 bis Ouest lausannois 2011

in der Serie Diskursbegriffe:
Löchrige Argumentation. Christian Holl über "Dichte"

Zur Koexistenz von Stadt und Natur siehe auch:
"Über das Verhältnis von Stadt und Natur", von Jenny Keller

Die Stadt gewinnt. Wer ökologisch leben will, wohnt in der Stadt, in: "BeobachterNatur", 10/2011