Hochschulgeschichten

Autor:
ub, sh
Veröffentlicht am
Nov. 3, 2010

Just hat das Wintersemester begonnen. Wir hören und lesen Epiloge zum Diplom und vom Bauchweh nach dem unbekömmlichen Beginn von Bachelor- und Masterstudium. Oder von faulen Studenten, die gerade mal 26 Stunden in der Woche lernen, und von Hochschulen, an denen vorne und hinten das Geld fehlt, um eine anständige Lehre, geschweige denn Forschung zu gewährleisten. Die Politik faselt von Exzellenz, Hochschullehrer beklagen ein schauderhaftes Bildungsniveau, akademische Würden werden zur Farce.
 
Gerangel ums Ranking
Da fragt ein talentierter Neffe, wo er denn Architektur studieren solle. Hilft ein Blick aufs Hochschulranking? Beim CHE-Ranking schneiden bei vielen Kriterien die Unis Hannover und Stuttgart sowie die Kunstakademie in Stuttgart am besten ab. Aber welche sind die wichtigsten Kriterien? Das muss jeder, der studieren will und eine "Hochschulreife" erworben hat, selber wissen – und landet dann auch in Weimar, München oder Biberach an der Riss. Berühmte Hochschullehrer? Unsinn, die sind nie an der Hochschule, sondern jetten um die Welt. Gute Pädagogen, aber sonst Nobodys? Unfug, die verschaffen einem nach dem Studium keinen Job. Große Fakultät, schöne Stadt? Blödsinn, bescheren große Seminare, hohe Lebenskosten und viel Ablenkung. So ließe sich Kriterium für Kriterium der Rankings durchdeklinieren und mit Vor- und Nachteilen bewerten. Informativ ist ein differenziertes Ranking durchaus, aber Entscheidungen nimmt es niemandem ab, es garantiert auch keine Zuverlässigkeit.
26 Stunden "arbeite" ein Student im Durchschnitt, lesen wir dieser Tage. Es mag vieles zusammenkommen: Vertrödelt wird die Zeit beim Googlen, Simsen, Twittern und Chatten, beim Jobben und wer-weiß-wobei. Die Gefahr, sich zu verzetteln, scheint groß: "Ich habe Angst, das ich im Studium verlerne, mich für Sachen zu interessieren" – meinte eine Studentin, die unter anderem das verschulte Studium kennen gelernt hatte. Schlimmer kann es kaum kommen.
Tatsächlich scheinen Studenten zu Versuchskaninchen der wirtschaftshörigen Kultusministerien zu werden, "Exzellenz" erreichen im wesentlichen die natur- und technikwissenschaftlichen Fakultäten, die wirtschaftsnah forschen. Architektur kann in diesem Sektor nur im Bereich Werkstoffentwicklung und Energie mithalten – womit weite Teile des Gefüges, aus dem sich unsere gebaute Umwelt zusammensetzt, unbeachtet bleiben. Aus der Not muss eine Tugend gemacht werden. Es droht eine verschärfte, wirtschaftsgelenkte Technisierung der Welt, in der die Werteentwicklung nicht geisteswissenschaftlich begleitet wird.
 
Exotisch, praktisch, gut?
Nicht nur durch die Einführung von Bachelor und Master und der damit einhergehenden, schrittweisen Abschaffung des Dipl.-Ing. hat sich die deutsche Hochschullandschaft verändert. Denn parallel dazu sprießen neue Studiengänge wie Pilze aus dem Boden: berufsbegleitende Master, kostengünstige Studiengänge und solche, für die man einen Batzen Geld auf den Tisch legen muss. Exemplarisch haben wir vier Neulinge ausgewählt, die mit so schillernden Namen wie "Prozess-Architektur" und "KlimaEngineering" auf sich aufmerksam machen.
Ersterer startete im September dieses Jahres an der Alanus Hochschule in Bonn. "Der [berufsbegleitende, auf vier Semester angelegte] Masterstudiengang bereitet ausgebildete Planer auf die gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft vor: Klimawandel und demographischer Wandel werden spürbare Auswirkungen auf Planen und Bauen haben." Das mag stimmen, doch kann sich heute jemand die Folgen überhaupt vorstellen? Und wenn ja, können wir uns wirklich darauf vorbereiten? In ein paar Jahren wissen wir mehr.
Eine Brücke zwischen Architektur und Bauphysik möchte die HFT Stuttgart mit ihrem neuen siebensemestrigen Bachelor "KlimaEngineering" schlagen. Das tut wirklich Not. Denn noch immer betrachten sich viele Architekturstudenten als Künstler, wollen sich und ihre meistens formalen, auf Ausdruck fixierten Ideen verwirklichen. Die "schnöde" Bauphysik steht da schon mal hinten an. Der Startschuss fällt mit dem Sommersemester 2011, Bewerbungen sind allerdings nur noch bis zum 15. Januar 2011 möglich.
Mit einem ebenfalls immer wichtiger werdenden Thema können sich Absolventen der Architektur und der angrenzenden Ingenieurdisziplinen im berufsbegleitenden Masterstudium "Planen und Bauen im Bestand" befassen. Es grenzt ans Absurde, dass dieser Themenkreis nicht ganz selbstverständlich an allen Hochschulen Kern der Ausbildung ist. Durchgeführt wird der "innovative, anwendungsbezogene, praxisorientierte..." Master von der Hochschule Biberach, der Bauakademie Biberach und dem Institut Fortbildung Bau. Die Anmeldung läuft bereits, losgehen wird es voraussichtlich im März 2011.
Nicht besonders spannend klingt der Titel eines neuen, an der FH Dortmund angebotenen Masters: "Gebäudehüllen aus Metall“. Die Beschreibung lässt allerdings aufhorchen. "Im konsekutiven Bachelor-Studiengang erwerben Sie allgemeine wissenschaftliche, künstlerische und methodische Kompetenzen, vertiefend dazu wichtige aktuelle Aspekte im Stahl- und Metallbau." Für all jene, die mehr dem Praktischen zugewandt sind, könnte dieser Studiengang eine interessante Alternative sein. Los geht es mit dem Sommersemester 2011.
 
BDA-Trainee-Programm Trax
Die Umstellung von den alten Diplomstudiengängen auf die neuen Bachelor und Master hat es aber auch mit sich gebracht, dass die Zeit für Praktika fehlt. Dieses Manko versucht der BDA Hessen mit einem neuen Programm auszugleichen: Trax, eine Abkürzung für die Begriffe "Training und Praxis im Architekturbüro". Während dieses fünfmonatigen Trainee-Programms sollen "Talente unterstützt und gefördert werden." Wichtig ist den Initiatoren – dem BDA Hessen, der Architektin Anke Wünschmann und dem Medienkünstler Achim Wollscheid – auch, dass die Teilnehmer nicht nur ihre Stärken, sondern ebenso ihre Schwächen erkennen und sich fortan besonders um diese Punkte kümmern. Damit dies umfassend gelingen kann, liegt der Schwerpunkt ihrer Arbeit alle vier Wochen in einem anderen Bereich. Dem Vorentwurf und der Wettbewerbsbearbeitung folgen Entwurfsplanung und Baueingabe, danach die Ausführungsplanung bevor Baumanagement und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit den Abschluss bilden. "Ergänzt wird das Programm durch regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen für alle Teilnehmer, in denen zusätzliche theoretische Kenntnisse vermittelt werden. Zum Abschluss eines jeden Moduls kommen die Trainees zusammen und vertiefen das aktuelle Modulthema über Vorträge, Diskussionen, Bürobesuche, praktische Übungen und Exkursionen." Für ihre Arbeit erhalten die Teilnehmer 750 Euro pro Monat von dem jeweiligen Büro. Denn wer nicht tagaus tagein für etwa sieben Stunden oder mehr im Büro sitzt und dafür keinen Lohn erhält, wird motivierter sein. Und die Architekten werden sich wohl für dieses Geld niemanden holen, um ihn nur Kaffee kochen oder kopieren zu lassen. Hier wird sich schließlich auch entscheiden, ob und wie gut Trax funktioniert. Da sich allerdings nicht nur die Studenten um einen Platz bewerben müssen, sondern auch die Büros erst nach Absprache in die Liste aufgenommen werden, darf man hier guten Muts sein.
 
Wofür bilden wir aus?
Glück und Unglück an unseren Hochschulen spiegeln die Schräglage unserer Gesellschaft wider. Wenn Jung und Alt, Rechts und Links derzeit gegen Großprojekte protestieren, entspricht dies dem Misstrauen, welches wir weiten Teilen unserer behäbigen, unbeweglichen Ausbildungsinstitutionen entgegen bringen. Sie haben die Bologna-Konsequenzen weitgehend verpennt und bessern jetzt mit "Zusatzmodulen" nach. Die Prämissen für eine Welt von morgen haben sie – träge, wie die meisten Hochschulen sind und von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht gestalten wollen und können. Hochschulen konnten mit dem realen Diskurs und den realen Entwicklungen nicht mehr Schritt halten und agierten nach dem Motto "Augen zu und durch". Dass außerdem kaum noch jemand bereit ist, über den Tellerrand hinauszuschauen, zeigt sich im flächendeckenden Niedergang des Studium Generale. Möge der Nachwuchs die Freiheit der Lehre und des Lernens auf allen Ebenen vehement einfordern – dabei muss man ihn mit bestem Wissen und Gewissen unterstützen. Zum Beispiel mit geisteswissenschaftlichen Lehrangeboten in den technischen und umgekehrt. Zum Beispiel mit Architekturtheorie, -soziologie und -geschichte als Pflichtfächer bis zum Diplom – ach, das gibt es ja nicht mehr ... ub, sh
Weitere Informationen:

Hochschul-Rankings im Überblick:
www.che-ranking.de

Kämpfer für den Diplom-Ingenieur:
www.tu9.de

Studienführer "Architektur und Stadtplanung“, Bund Deutscher Architekten (Hrsg.), Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 2009

Eine lange, aber bei weitem nicht komplette Liste mit Universitäten und Hochschulen, an denen man Architektur studieren kann, bietet der Baumeister in seinem Blog.