Das Kreuz mit der Schönheit

Autor:
ch
Veröffentlicht am
Sept. 6, 2010

Gegen Schönheit kann doch eigentlich niemand etwas haben. Auch gegen die schöne Stadt kann eigentlich keiner etwas haben. Sie wird in letzter Zeit wiederholt eingefordert. Doch schaut man sich an, was da tatsächlich gefordert wird, dann ist es nicht mehr so einfach, damit einverstanden zu sein.
 Christian Holl
Die Städtebaudiskussion hat einen neuen Kampfbegriff. Schönheit. Ehedem sollte nur unser Dorf schöner werden, Plaketten wurden für Blumenschmuck und Brunnenskulpturen verliehen, nun aber geht es um die Stadt. Die schöne Stadt, die hier gemeint ist, ist keine, die es gibt. Sie ist ein normatives Leitbild. Die schöne Stadt ist eine, die gefordert wird, ihre Schönheit solle dauerhaft sein, so heißt es in den "10 Grundsätzen zur Stadtbaukunst heute", die vom selbsternannten "Deutschen Institut für Stadtbaukunst" der TU Dortmund aufgestellt wurden. Hans Kollhoff beschreibt die schöne Stadt als die, "in der wir alle leben wollen". Leider verliere sich die europäische Stadt zusehends in den "Toy-Towns der Archigram-Pop-Up-Books". Kollhoffs Kritik richtet sich gegen die Stadt des globalisierten Konsum-Kapitalismus, in der Automobilfirmen ihre Museen im infantilen Stil bauten. Das alles ist also nicht schön. Kollhoff sagt aber nicht, was er mit schön meint, er verlasse sich auf das spontane Gefühl, das ihn hin und wieder ausrufen lasse: "Ist das nicht schön!" Dieser Ausruf ist ja eigentlich eine Frage, aber das Fragen ist nicht die Stärke der Kämpfer für die schöne Stadt. Eher das Behaupten. "Wir haben die Schönheit, nachdem sie im Städtebau der letzten 60 Jahre nicht vorkam, wieder thematisiert," behauptete beispielsweise Christoph Mäckler im Interview.
Es bleibt dem Leser überlassen, sich auszurechnen, wann demnach das letzte Mal Schönheit im Städtebau vorkam – und daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Es bleibt dem Leser auch überlassen, zu glauben oder nicht zu glauben, weder Alexander Mitscherlich noch Jane Jacobs, weder den Machern der IBA Berlin noch denen der IBA Emscher Park sei es um Schönheit gegangen. Sie haben es nicht so benannt, hatten dafür aber vielleicht auch einen Grund. Vielleicht haben sie die Vokabel "schön" aus dem Grund gemieden, den der Lyriker Oskar Pastior nennt – "aus Abneigung gegen sie, weil sie so oft als Wappentier oder Götzenbild herhalten musste", vielleicht haben sie sie umbenannt, um sie praktikabler im Sinne "erkenntnisfördernder Problemverlagerungen" (Pastior) zu machen. Darüber nachzudenken, würde aber die Sache komplex und unübersichtlich machen, und das muss vermeiden, wer gerne behauptet. Schlimm genug, dass die Stadt so komplex und unübersichtlich ist.
Man trifft hier auf eine merkwürdige Melange aus Kapitalismuskritik und Wertkonservativismus, auch eine aus Kenntnisreichtum und beschämender Vereinfachung der Wirklichkeit. Die frappiert am meisten. Die Peripherie sei nie Stadt gewesen, so Mäckler. So einfach geht das.
 Christian Holl
Wessen Schönheit?
Inzwischen ist nicht nur ein Kongress zum Thema abgehalten worden. Jüngst erschien auch ein Buch mit dem Titel "Die schöne Stadt". Es wurde von Klaus Theo Brenner herausgegeben. "Schöne Städte sind und waren immer nachhaltig, denn sie sind geprägt von zeitloser und anspruchsvoller Architektur", so der Verlagstext. Aha. Wie darf man das verstehen? Macht zeitlose und anspruchsvolle Architektur die Städte schön und nachhaltig, und wenn sie nicht schön und nachhaltig sind, war die Architektur eben nicht zeitlos und anspruchsvoll? Wir schauen ins Buch. Darin schreibt Brenner: "Wenn heute die 'schöne Stadt' eine kompakte Stadt sein soll, gewinnt automatisch deren komplementäre Seite, das Stadtgrün im Sinne künstlicher Landschaften, Bedeutung. Für das gute städtische Leben ist eine Landschafts- und Gartenkunst von essenzieller Bedeutung."
Wir sehen: Die schöne Stadt ist, erstens, die kompakte Stadt, zweitens, eine der zeitlosen, anspruchsvollen Architektur, in der, drittens, "die Teile nicht autonom sind oder zufällig und ungebunden herumstehen, sondern zueinander in einer erkennbaren Ordnung stehen" (Brenner), und die schöne Stadt ist viertens eine, in der Landschafts- und Gartenkunst gepflegt wird. Dann kann das städtische Leben auch ein gutes werden. Moral und Ästhetik werden aneinander geknüpft, als hätte es die Moderne nie gegeben, in der die Menschen aus ihren Bindungen befreit wurden, die ihnen durch Geschlecht, Herkunft oder Stand aufgezwungen wurden, als lebten wir noch in den Jahrhunderten, in der die Schönheit ein Signum einer von Gott gegebenen Ordnung war.
Was Schönheit ist, weiß der "Städtebauarchitekt". Den es aber – zumindest vorläufig – nicht gibt: "Was fehlt ist der Städtebauarchitekt, der dem Planer zur Seite steht, um qualitätvolle Stadträume zu schaffen. Solange alle Disziplinen nebeneinander her arbeiten, solange zum Beispiel die Verkehrsplanung nicht dem Stadtbild untergeordnet oder wenigstens als auch zu gestaltendes Element der Stadt gesehen wird, wird es in Zukunft keine Schönheit in der Stadt geben." So einfach ist das. Zum Glück sehen das manche anders: "Zu meinen, durch 'Exhumierung' oder auf andere Weise einen zweiten Johann Friedrich Christian Hess zu gewinnen, der genau weiß, was schön und gut ist, wo es lang geht, und dem alle folgen – das halte ich für groben Unfug", so Frankfurts Planungsamtsleiter Dieter von Lüpke.
 Klaus Theo Brenner (Hg.): "Die schöne Stadt"
Dabei ist der Stadtbaumeister oder Städtebauarchitekt ja keiner, der etwas erfindet, er steht im Dienst einer großen Sache. Beschworen werden Werte, Dauerhaftigkeit, Zeitlosigkeit, ein Bauen jenseits von Moden. Das Zeitlose kann nichts sein, was es noch nie gegeben hat: Die schöne Stadt ist demnach eine, die freigelegt werden muss, die potenziell immer da ist, weil sie schon da war. Sie ist eine Form der Wahrheit. Dann müsste es einen Punkt geben, von dem aus das historische Vokabular aus bewertet und auf seinen Wahrheitsgehalt geprüft werden kann. Diesen Punkt einzunehmen, beansprucht nun also – wieder einmal – der Architekt. Das hatten wir doch schon einmal.

Reduktion statt Komplexität
Es sei ja nun nicht bestritten, dass Plätze, Ensembles Häuser, schön sein sollen oder schöner werden dürften – ganz gleich an dieser Stelle einmal, wer was nun unter Schönheit versteht. Es ist aber höchst problematisch, mit dem Leitbild der schönen Stadt sie auf das zu reduzieren, was diesem Leitbild folgt und folgen kann – und damit viel zu viel von dem auszuschließen, was Stadt eben außerdem ist. Es ist eine Zumutung, die Definition von Schönheit so eng und dogmatisch zu fassen, dass sie Auserwählter bedarf, die für andere über die Schönheit der Stadt entscheiden. Diese schöne Stadt ist eine der Privilegierten. Deren normative Vorstellungen sollen – unter dem Legitimierungsfragen zudeckenden Mantel der zeitlosen Dauerhaftigkeit – auf andere Stadtteile übertragen werden. Dass dies eine Form der Macht ist, spüren die, die davon betroffen sind, genau. Es sind nicht die Bürger, die sich in Altstadtvereinen engagieren. In so manchem Berliner innerstädtischem Bezirk wird bereits jede Form der städtebaulichen Aufwertung mit Verdrängung gleichgesetzt und abgelehnt – das sollte mindestens genauso zu denken geben wie die nicht bestrittene Tatsache, dass ästhetische Vorlieben von Architekten zu lange an dem vorbeigegangen sind, was anderen wichtig war.
 Christian Holl
Die Stadt braucht gute Architekten – und bei allen Bedenken gegen die zitierten Herren soll deren Qualität als Architekt hier nicht zur Debatte stehen. Es wäre aber schön, wenn sie sich nicht nur in bildungsbürgerlicher Selbstbeweihräucherung ergingen und dort um Zustimmung buhlten, wo sie wissen, dass sie ihnen gewiss ist. Wenn in unerträglicher Vereinfachung in den bereits erwähnten zehn Grundsätzen behauptet wird, dass institutionelle und öffentliche Wohnbauträger keine guten "Stadtbauten" schafften, dann wird verkannt, dass genau diese Träger dafür sorgen, dass der Wohnungsmarkt auch die Bedürfnisse jener erfüllt, die sich kein Stadthaus auf der Parzelle leisten können. Komplexität statt Reduktion fordern die zehn Grundsätze – und scheitern selbst gleich beim sensibelsten Thema, dem Wohnungsmarkt.
Es wäre zu schön, wenn sich die Forderungen nach Stadtbaukunst und schöner Stadt nicht nur in abstrakten Forderungen nach Ökologie und Urbanität ergingen, wenn sie sich nicht nur in der Gestaltung repräsentativer Innenstadtorte und gehobener Wohnlagen erfüllten. Es wäre schön, wenn sich diese Architekten konkret auch um das kümmerten, was in unseren Städten besorgniserregend ist, sich mit denen auseinandersetzten, die Planung generell kritisch gegenüberstehen, weil sie sich von ihr nicht vertreten fühlen, aber auch keine Möglichkeiten haben, Repräsentanz wirkungsvoll einzufordern. Wie wäre es, sich offen mit deren Begriff von Schönheit auseinandersetzten? Da kommt vielleicht nicht die "schöne Stadt" heraus, die man schon von vorneherein im Kopf hat, aber damit kann man vielleicht seinen Teil dazu beitragen, dass uns die ganze schöne Stadt nicht irgendwann auseinander bricht. ch
Das Buch "Die schöne Stadt" wurde von Klaus Theo Brenner herausgegeben und ist erschienen im Jovis Verlag.

Zitierte Quellen:
Kohlhoff, Hans: Die schöne Stadt. In: Christoph Mäckler, Wolfgang Sonne (Hg.): Dortmunder Beiträge zur Stadtbaukunst, Band 1, Niggli Verlag Zürich, 2009

Pastior, Oskar: "Minze Minze flaumiran Schpektrum", Werkausgabe Band 3, Hanser Verlag München/ Wien, 2004

"10 Grundsätze zur Stadtbaukunst heute"